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Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790.

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1. Buch. 3. Tit.

II) Müssen die Handlungen der Unterthanen gleich-
förmig
, das heißt, alle nach einerley Regel unternom-
men worden seyn. Aus ungleichen Handlungen kann
keine Gewohnheit erwachsen. Denn aus solchen läßt sich
keine gewisse und beständige Regel herleiten. Man setze
also, der Richter eines Orts habe in einem Fall, da ein
Delinquent selbst nichts im Vermögen gehabt, die peinlichen
Kosten von den Unterthanen beytreiben lassen; sie hätten
solche auch das erste und zweytemahl getragen, das dritte-
mahl aber ganz verweigert; das viertemahl nur das Henker-
geld beygebracht, so kann derselbe, wenn er in einem fünften
Falle die Inquisitionskosten abermahl verlangt, die Gerichts-
unterthanen aber dieselben verweigern, sich auf keine Ge-
wohnheit berufen. Denn dazu wird erfordert, daß in der
ganzen Reihe von Handlungen, wodurch eine Gewohnheit
begründet werden solle, auch nicht eine einzige vorkomme,
welche denen übrigen entgegen ist. Dieses ist es, wenn
die Rechtslehrer sagen, die actus consuetudinis intro-
ductivi
müssen uniformes et continui seyn. Hieraus er-
hellet zugleich, daß eine Gewohnheit, die noch in ihrer
Entstehung ist, durch eine einzige contraire Handlung
gleichsam in ihrer Geburt ersticket werden kann 79).

III) Dürfen die Handlungen nicht der gesunden
Vernunft
, noch dem Wohl des Staats oder
dem Besten der Kirche zuwider seyn. Sonst ist
die Gewohnheit unvernünftig. Eine solche aber
kann nie eine gesetzliche Kraft erlangen, weil sich hier
keine Einwilligung des Gesetzgebers annehmen lässet 80).

So
79) S. Tob. Iac. reinharth Select. Observat. ad Christi-
naei
decisiones Vol. IV. Obs.
65.
80) Nov. iustiniani CXXXIV. cap. 1. wo es nach der Hom-
bergischen Version heißt: Neque consuetudines nominent, aut
quae-
1. Buch. 3. Tit.

II) Muͤſſen die Handlungen der Unterthanen gleich-
foͤrmig
, das heißt, alle nach einerley Regel unternom-
men worden ſeyn. Aus ungleichen Handlungen kann
keine Gewohnheit erwachſen. Denn aus ſolchen laͤßt ſich
keine gewiſſe und beſtaͤndige Regel herleiten. Man ſetze
alſo, der Richter eines Orts habe in einem Fall, da ein
Delinquent ſelbſt nichts im Vermoͤgen gehabt, die peinlichen
Koſten von den Unterthanen beytreiben laſſen; ſie haͤtten
ſolche auch das erſte und zweytemahl getragen, das dritte-
mahl aber ganz verweigert; das viertemahl nur das Henker-
geld beygebracht, ſo kann derſelbe, wenn er in einem fuͤnften
Falle die Inquiſitionskoſten abermahl verlangt, die Gerichts-
unterthanen aber dieſelben verweigern, ſich auf keine Ge-
wohnheit berufen. Denn dazu wird erfordert, daß in der
ganzen Reihe von Handlungen, wodurch eine Gewohnheit
begruͤndet werden ſolle, auch nicht eine einzige vorkomme,
welche denen uͤbrigen entgegen iſt. Dieſes iſt es, wenn
die Rechtslehrer ſagen, die actus conſuetudinis intro-
ductivi
muͤſſen uniformes et continui ſeyn. Hieraus er-
hellet zugleich, daß eine Gewohnheit, die noch in ihrer
Entſtehung iſt, durch eine einzige contraire Handlung
gleichſam in ihrer Geburt erſticket werden kann 79).

III) Duͤrfen die Handlungen nicht der geſunden
Vernunft
, noch dem Wohl des Staats oder
dem Beſten der Kirche zuwider ſeyn. Sonſt iſt
die Gewohnheit unvernuͤnftig. Eine ſolche aber
kann nie eine geſetzliche Kraft erlangen, weil ſich hier
keine Einwilligung des Geſetzgebers annehmen laͤſſet 80).

So
79) S. Tob. Iac. reinharth Select. Obſervat. ad Chriſti-
naei
deciſiones Vol. IV. Obſ.
65.
80) Nov. iustiniani CXXXIV. cap. 1. wo es nach der Hom-
bergiſchen Verſion heißt: Neque conſuetudines nominent, aut
quae-
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[446/0466] 1. Buch. 3. Tit. II) Muͤſſen die Handlungen der Unterthanen gleich- foͤrmig, das heißt, alle nach einerley Regel unternom- men worden ſeyn. Aus ungleichen Handlungen kann keine Gewohnheit erwachſen. Denn aus ſolchen laͤßt ſich keine gewiſſe und beſtaͤndige Regel herleiten. Man ſetze alſo, der Richter eines Orts habe in einem Fall, da ein Delinquent ſelbſt nichts im Vermoͤgen gehabt, die peinlichen Koſten von den Unterthanen beytreiben laſſen; ſie haͤtten ſolche auch das erſte und zweytemahl getragen, das dritte- mahl aber ganz verweigert; das viertemahl nur das Henker- geld beygebracht, ſo kann derſelbe, wenn er in einem fuͤnften Falle die Inquiſitionskoſten abermahl verlangt, die Gerichts- unterthanen aber dieſelben verweigern, ſich auf keine Ge- wohnheit berufen. Denn dazu wird erfordert, daß in der ganzen Reihe von Handlungen, wodurch eine Gewohnheit begruͤndet werden ſolle, auch nicht eine einzige vorkomme, welche denen uͤbrigen entgegen iſt. Dieſes iſt es, wenn die Rechtslehrer ſagen, die actus conſuetudinis intro- ductivi muͤſſen uniformes et continui ſeyn. Hieraus er- hellet zugleich, daß eine Gewohnheit, die noch in ihrer Entſtehung iſt, durch eine einzige contraire Handlung gleichſam in ihrer Geburt erſticket werden kann 79). III) Duͤrfen die Handlungen nicht der geſunden Vernunft, noch dem Wohl des Staats oder dem Beſten der Kirche zuwider ſeyn. Sonſt iſt die Gewohnheit unvernuͤnftig. Eine ſolche aber kann nie eine geſetzliche Kraft erlangen, weil ſich hier keine Einwilligung des Geſetzgebers annehmen laͤſſet 80). So 79) S. Tob. Iac. reinharth Select. Obſervat. ad Chriſti- naei deciſiones Vol. IV. Obſ. 65. 80) Nov. iustiniani CXXXIV. cap. 1. wo es nach der Hom- bergiſchen Verſion heißt: Neque conſuetudines nominent, aut quae-

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Zitationshilfe: Glück, Christian Friedrich von: Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Erlangen, 1790, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/glueck_pandecten01_1790/466>, abgerufen am 25.11.2024.