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Gleim, Johann Wilhelm Ludwig: Versuch in Scherzhaften Liedern. Bd. 2. Berlin, 1745.

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Doris, bist Du zu erweichen;
O so denk an iene Leichen,
Die der treuen Liebe Macht
Vor der Zeit ins Grab gebracht!
Soll ich mich zu Tode grämen?
Sage ia. Es soll geschehn.
Laß mich nur beim Abschiednehmen
Dich noch einmal freundlich sehn
Hörst du, was die Liebe fodert?
Wann einst dis Gebeine modert,
Dann erwache Dein Gehör;
Doch, dann fodert sie nichts mehr.
Ruf einmal bei tausend Zähren
Meine Asche aus der Gruft.
Doch, vielleicht wird sie nicht hören,
Wenn Dein Mund gleich selber ruft
Aber wenn ich noch im Grabe
Kräfte zum empfinden habe,
Wenn man dort noch sieht und hört,
Wenn mich dort Dein Gram noch stört;
O, was werd ich dann verspüren,
O, wie wird es Dich gereun!
Wie wird mich Dein Jammer ruhren,
Wenn ich nicht kan bei Dir seyn.
Sorgen,
Doris, biſt Du zu erweichen;
O ſo denk an iene Leichen,
Die der treuen Liebe Macht
Vor der Zeit ins Grab gebracht!
Soll ich mich zu Tode grämen?
Sage ia. Es ſoll geſchehn.
Laß mich nur beim Abſchiednehmen
Dich noch einmal freundlich ſehn
Hörſt du, was die Liebe fodert?
Wann einſt dis Gebeine modert,
Dann erwache Dein Gehör;
Doch, dann fodert ſie nichts mehr.
Ruf einmal bei tauſend Zähren
Meine Aſche aus der Gruft.
Doch, vielleicht wird ſie nicht hören,
Wenn Dein Mund gleich ſelber ruft
Aber wenn ich noch im Grabe
Kräfte zum empfinden habe,
Wenn man dort noch ſieht und hört,
Wenn mich dort Dein Gram noch ſtört;
O, was werd ich dann verſpüren,
O, wie wird es Dich gereun!
Wie wird mich Dein Jammer růhren,
Wenn ich nicht kan bei Dir ſeyn.
Sorgen,
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[XIII/0015] Doris, biſt Du zu erweichen; O ſo denk an iene Leichen, Die der treuen Liebe Macht Vor der Zeit ins Grab gebracht! Soll ich mich zu Tode grämen? Sage ia. Es ſoll geſchehn. Laß mich nur beim Abſchiednehmen Dich noch einmal freundlich ſehn Hörſt du, was die Liebe fodert? Wann einſt dis Gebeine modert, Dann erwache Dein Gehör; Doch, dann fodert ſie nichts mehr. Ruf einmal bei tauſend Zähren Meine Aſche aus der Gruft. Doch, vielleicht wird ſie nicht hören, Wenn Dein Mund gleich ſelber ruft Aber wenn ich noch im Grabe Kräfte zum empfinden habe, Wenn man dort noch ſieht und hört, Wenn mich dort Dein Gram noch ſtört; O, was werd ich dann verſpüren, O, wie wird es Dich gereun! Wie wird mich Dein Jammer růhren, Wenn ich nicht kan bei Dir ſeyn. Sorgen,

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Zitationshilfe: Gleim, Johann Wilhelm Ludwig: Versuch in Scherzhaften Liedern. Bd. 2. Berlin, 1745, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gleim_versuch02_1745/15>, abgerufen am 18.04.2024.