Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gleditsch, Johann Gottlieb: Vermischte botanische und ökonomische Abhandlungen. Bd. 2. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

mit vieler Mühe und Sorgfalt ausgeraupten Gar-
ten, wo sie in kurzer Zeit alle Bäume überzogen.
Die meisten waren damals in der Länge eines Na-
gels am kleinen Finger. Ich erinnere mich noch
wie die weiße Wäsche, die selbigen Tages auf dem
Kirchhofe aufgehangen war, von diesen Raupen
ganz schwarz bedeckt wurde.

Wenn man einem unerfahrnen sagte, daß ein
solch kriechendes Gewürme, wie diese Raupen wa-
ren, in seinem dermahligen Zustande vermögend
sey, sich ohne Flügel durch die Luft von einem Orte
zum andern, und durch eine solche Entfernung, zu
begeben, so würde er nicht wissen, wie dieses mög-
lich seyn könne. Es hat indessen mit dieser Sache
seine Richtigkeit. Die jungen Raupen haben die
Art an sich, daß wenn man den Zweig, an welchem sie
sitzen, durch ein gelindes Klopfen ein wenig er-
schüttert, sie sich mit einem langen Faden herunter-
terspinnen. Da nun ein jeder Wind diese Erschüt-
terung verrichtet, und ihr Körper übrigens von so
geringem Gewicht ist, daß er, besonders wenn sie
noch den Faden aus sich heraus gesponnen haben,
gar leicht von der Luft getragen werden kann, so be-
dienen sie sich dieses Mittels, um von einem Zweige
und von einem Baume auf den andern zu kommen.
Auf solche Weise gieng damahls ein ganz unzählba-
res Raupenheer, mit einem günstigen Nordwinde,
von den Weiden ab, wo niemand daran gedacht
hatte, ihre Nester zu zerstöhren, nach den Gärten

zu

mit vieler Muͤhe und Sorgfalt ausgeraupten Gar-
ten, wo ſie in kurzer Zeit alle Baͤume uͤberzogen.
Die meiſten waren damals in der Laͤnge eines Na-
gels am kleinen Finger. Ich erinnere mich noch
wie die weiße Waͤſche, die ſelbigen Tages auf dem
Kirchhofe aufgehangen war, von dieſen Raupen
ganz ſchwarz bedeckt wurde.

Wenn man einem unerfahrnen ſagte, daß ein
ſolch kriechendes Gewuͤrme, wie dieſe Raupen wa-
ren, in ſeinem dermahligen Zuſtande vermoͤgend
ſey, ſich ohne Fluͤgel durch die Luft von einem Orte
zum andern, und durch eine ſolche Entfernung, zu
begeben, ſo wuͤrde er nicht wiſſen, wie dieſes moͤg-
lich ſeyn koͤnne. Es hat indeſſen mit dieſer Sache
ſeine Richtigkeit. Die jungen Raupen haben die
Art an ſich, daß wenn man den Zweig, an welchem ſie
ſitzen, durch ein gelindes Klopfen ein wenig er-
ſchuͤttert, ſie ſich mit einem langen Faden herunter-
terſpinnen. Da nun ein jeder Wind dieſe Erſchuͤt-
terung verrichtet, und ihr Koͤrper uͤbrigens von ſo
geringem Gewicht iſt, daß er, beſonders wenn ſie
noch den Faden aus ſich heraus geſponnen haben,
gar leicht von der Luft getragen werden kann, ſo be-
dienen ſie ſich dieſes Mittels, um von einem Zweige
und von einem Baume auf den andern zu kommen.
Auf ſolche Weiſe gieng damahls ein ganz unzaͤhlba-
res Raupenheer, mit einem guͤnſtigen Nordwinde,
von den Weiden ab, wo niemand daran gedacht
hatte, ihre Neſter zu zerſtoͤhren, nach den Gaͤrten

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0274" n="266[264]"/>
mit vieler Mu&#x0364;he und Sorgfalt ausgeraupten Gar-<lb/>
ten, wo &#x017F;ie in kurzer Zeit alle Ba&#x0364;ume u&#x0364;berzogen.<lb/>
Die mei&#x017F;ten waren damals in der La&#x0364;nge eines Na-<lb/>
gels am kleinen Finger. Ich erinnere mich noch<lb/>
wie die weiße Wa&#x0364;&#x017F;che, die &#x017F;elbigen Tages auf dem<lb/>
Kirchhofe aufgehangen war, von die&#x017F;en Raupen<lb/>
ganz &#x017F;chwarz bedeckt wurde.</p><lb/>
        <p>Wenn man einem unerfahrnen &#x017F;agte, daß ein<lb/>
&#x017F;olch kriechendes Gewu&#x0364;rme, wie die&#x017F;e Raupen wa-<lb/>
ren, in &#x017F;einem dermahligen Zu&#x017F;tande vermo&#x0364;gend<lb/>
&#x017F;ey, &#x017F;ich ohne Flu&#x0364;gel durch die Luft von einem Orte<lb/>
zum andern, und durch eine &#x017F;olche Entfernung, zu<lb/>
begeben, &#x017F;o wu&#x0364;rde er nicht wi&#x017F;&#x017F;en, wie die&#x017F;es mo&#x0364;g-<lb/>
lich &#x017F;eyn ko&#x0364;nne. Es hat inde&#x017F;&#x017F;en mit die&#x017F;er Sache<lb/>
&#x017F;eine Richtigkeit. Die jungen Raupen haben die<lb/>
Art an &#x017F;ich, daß wenn man den Zweig, an welchem &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;itzen, durch ein gelindes Klopfen ein wenig er-<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttert, &#x017F;ie &#x017F;ich mit einem langen Faden herunter-<lb/>
ter&#x017F;pinnen. Da nun ein jeder Wind die&#x017F;e Er&#x017F;chu&#x0364;t-<lb/>
terung verrichtet, und ihr Ko&#x0364;rper u&#x0364;brigens von &#x017F;o<lb/>
geringem Gewicht i&#x017F;t, daß er, be&#x017F;onders wenn &#x017F;ie<lb/>
noch den Faden aus &#x017F;ich heraus ge&#x017F;ponnen haben,<lb/>
gar leicht von der Luft getragen werden kann, &#x017F;o be-<lb/>
dienen &#x017F;ie &#x017F;ich die&#x017F;es Mittels, um von einem Zweige<lb/>
und von einem Baume auf den andern zu kommen.<lb/>
Auf &#x017F;olche Wei&#x017F;e gieng damahls ein ganz unza&#x0364;hlba-<lb/>
res Raupenheer, mit einem gu&#x0364;n&#x017F;tigen Nordwinde,<lb/>
von den Weiden ab, wo niemand daran gedacht<lb/>
hatte, ihre Ne&#x017F;ter zu zer&#x017F;to&#x0364;hren, nach den Ga&#x0364;rten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266[264]/0274] mit vieler Muͤhe und Sorgfalt ausgeraupten Gar- ten, wo ſie in kurzer Zeit alle Baͤume uͤberzogen. Die meiſten waren damals in der Laͤnge eines Na- gels am kleinen Finger. Ich erinnere mich noch wie die weiße Waͤſche, die ſelbigen Tages auf dem Kirchhofe aufgehangen war, von dieſen Raupen ganz ſchwarz bedeckt wurde. Wenn man einem unerfahrnen ſagte, daß ein ſolch kriechendes Gewuͤrme, wie dieſe Raupen wa- ren, in ſeinem dermahligen Zuſtande vermoͤgend ſey, ſich ohne Fluͤgel durch die Luft von einem Orte zum andern, und durch eine ſolche Entfernung, zu begeben, ſo wuͤrde er nicht wiſſen, wie dieſes moͤg- lich ſeyn koͤnne. Es hat indeſſen mit dieſer Sache ſeine Richtigkeit. Die jungen Raupen haben die Art an ſich, daß wenn man den Zweig, an welchem ſie ſitzen, durch ein gelindes Klopfen ein wenig er- ſchuͤttert, ſie ſich mit einem langen Faden herunter- terſpinnen. Da nun ein jeder Wind dieſe Erſchuͤt- terung verrichtet, und ihr Koͤrper uͤbrigens von ſo geringem Gewicht iſt, daß er, beſonders wenn ſie noch den Faden aus ſich heraus geſponnen haben, gar leicht von der Luft getragen werden kann, ſo be- dienen ſie ſich dieſes Mittels, um von einem Zweige und von einem Baume auf den andern zu kommen. Auf ſolche Weiſe gieng damahls ein ganz unzaͤhlba- res Raupenheer, mit einem guͤnſtigen Nordwinde, von den Weiden ab, wo niemand daran gedacht hatte, ihre Neſter zu zerſtoͤhren, nach den Gaͤrten zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gleditsch_abhandlungen02_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gleditsch_abhandlungen02_1789/274
Zitationshilfe: Gleditsch, Johann Gottlieb: Vermischte botanische und ökonomische Abhandlungen. Bd. 2. Berlin, 1789, S. 266[264]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gleditsch_abhandlungen02_1789/274>, abgerufen am 24.05.2024.