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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.

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be geblieben, da sang ich ruhig nichts als frohe
Lobgesänge den Göttern, oder von der Pflege der
Herde, oder vom Pfropfen der Bäume, oder vom
Warten des Weinstokes. Aber seit ich Chloen
sah, die unempfindliche Chloe, seitdem sing ich
nur Trauerlieder, seitdem stöhrt Wehmuth jede
meiner Freuden. Bald hätt' ich meine Liebe be-
siegt, nur selten kam sie in mein Herze zurük.
Aber ach! ich werde sie nicht wieder besiegen,
seit ich Chloen beym blühenden Schlehenbusch
sah und ihren Gesang hörte; muthwillige Ze-
phirs schwermten im Busch und rissen die weis-
sen Blüthen weg, und streuten sie auf Chloen hin,
und ahmeten den besiegten Winter mit seinen
Floken nach.

Milon. Dort wo der schwarze Tannenwald
steht, dort rieselt ein Bach aus Stauden hervor,
dorthin treibt Daphne oft ihre Herde. Jüngst hab
ich, als das Morgenroth kam, den ganzen Ort
mit Kränzen geschmükt, flatternd hiengen sie von

C 2

be geblieben, da ſang ich ruhig nichts als frohe
Lobgeſänge den Göttern, oder von der Pflege der
Herde, oder vom Pfropfen der Bäume, oder vom
Warten des Weinſtokes. Aber ſeit ich Chloen
ſah, die unempfindliche Chloe, ſeitdem ſing ich
nur Trauerlieder, ſeitdem ſtöhrt Wehmuth jede
meiner Freuden. Bald hätt’ ich meine Liebe be-
ſiegt, nur ſelten kam ſie in mein Herze zurük.
Aber ach! ich werde ſie nicht wieder beſiegen,
ſeit ich Chloen beym blühenden Schlehenbuſch
ſah und ihren Geſang hörte; muthwillige Ze-
phirs ſchwermten im Buſch und riſſen die weiſ-
ſen Blüthen weg, und ſtreuten ſie auf Chloen hin,
und ahmeten den beſiegten Winter mit ſeinen
Floken nach.

Milon. Dort wo der ſchwarze Tannenwald
ſteht, dort rieſelt ein Bach aus Stauden hervor,
dorthin treibt Daphne oft ihre Herde. Jüngſt hab
ich, als das Morgenroth kam, den ganzen Ort
mit Kränzen geſchmükt, flatternd hiengen ſie von

C 2
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[35/0040] be geblieben, da ſang ich ruhig nichts als frohe Lobgeſänge den Göttern, oder von der Pflege der Herde, oder vom Pfropfen der Bäume, oder vom Warten des Weinſtokes. Aber ſeit ich Chloen ſah, die unempfindliche Chloe, ſeitdem ſing ich nur Trauerlieder, ſeitdem ſtöhrt Wehmuth jede meiner Freuden. Bald hätt’ ich meine Liebe be- ſiegt, nur ſelten kam ſie in mein Herze zurük. Aber ach! ich werde ſie nicht wieder beſiegen, ſeit ich Chloen beym blühenden Schlehenbuſch ſah und ihren Geſang hörte; muthwillige Ze- phirs ſchwermten im Buſch und riſſen die weiſ- ſen Blüthen weg, und ſtreuten ſie auf Chloen hin, und ahmeten den beſiegten Winter mit ſeinen Floken nach. Milon. Dort wo der ſchwarze Tannenwald ſteht, dort rieſelt ein Bach aus Stauden hervor, dorthin treibt Daphne oft ihre Herde. Jüngſt hab ich, als das Morgenroth kam, den ganzen Ort mit Kränzen geſchmükt, flatternd hiengen ſie von C 2

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Zitationshilfe: [Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/40>, abgerufen am 27.04.2024.