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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.

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Werth, euch zu schäzen ist einer bessern Nach-
welt vorbehalten.

Auch ich schriebe dann oft die Lieder hin, die
ich auf einsamen Spaziergängen gedacht, im dun-
keln Hain, oder beym rauschenden Wasserfall,
oder im Trauben-Geländer beym Schimmer des
Monds. Oder ich sähe im Kupferstich, wie grosse
Künstler die Natur nachgeahmet haben, oder ich
versucht' es selbst, ihre schönen Auftritte auf dem
gespanneten Tuch nachzuschaffen.

Zuweilen störte mich ein lautes Klopfen vor
meiner Thüre, wie entzükt wär ich, wenn
ein Freund beym Eröfnen in die offenen Arme mir
eilte; oft fänd' ich sie auch, wenn ich vom Spa-
ziergang zurük, der einsamen Hütte mich näherte,
einzeln oder in Truppen mir entgegen grüssen;
gesellschaftlich würden wir dann die schönsten
Gegenden durchirren, nicht mürrisch ernsthafte
Gespräche mit freundlichem Scherz gemischt,
machten uns die Stunden vorbey hüpfen, Hunger

I 2

Werth, euch zu ſchäzen iſt einer beſſern Nach-
welt vorbehalten.

Auch ich ſchriebe dann oft die Lieder hin, die
ich auf einſamen Spaziergängen gedacht, im dun-
keln Hain, oder beym rauſchenden Waſſerfall,
oder im Trauben-Geländer beym Schimmer des
Monds. Oder ich ſähe im Kupferſtich, wie groſſe
Künſtler die Natur nachgeahmet haben, oder ich
verſucht’ es ſelbſt, ihre ſchönen Auftritte auf dem
geſpanneten Tuch nachzuſchaffen.

Zuweilen ſtörte mich ein lautes Klopfen vor
meiner Thüre, wie entzükt wär ich, wenn
ein Freund beym Eröfnen in die offenen Arme mir
eilte; oft fänd’ ich ſie auch, wenn ich vom Spa-
ziergang zurük, der einſamen Hütte mich näherte,
einzeln oder in Truppen mir entgegen grüſſen;
geſellſchaftlich würden wir dann die ſchönſten
Gegenden durchirren, nicht mürriſch ernſthafte
Geſpräche mit freundlichem Scherz gemiſcht,
machten uns die Stunden vorbey hüpfen, Hunger

I 2
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[131/0136] Werth, euch zu ſchäzen iſt einer beſſern Nach- welt vorbehalten. Auch ich ſchriebe dann oft die Lieder hin, die ich auf einſamen Spaziergängen gedacht, im dun- keln Hain, oder beym rauſchenden Waſſerfall, oder im Trauben-Geländer beym Schimmer des Monds. Oder ich ſähe im Kupferſtich, wie groſſe Künſtler die Natur nachgeahmet haben, oder ich verſucht’ es ſelbſt, ihre ſchönen Auftritte auf dem geſpanneten Tuch nachzuſchaffen. Zuweilen ſtörte mich ein lautes Klopfen vor meiner Thüre, wie entzükt wär ich, wenn ein Freund beym Eröfnen in die offenen Arme mir eilte; oft fänd’ ich ſie auch, wenn ich vom Spa- ziergang zurük, der einſamen Hütte mich näherte, einzeln oder in Truppen mir entgegen grüſſen; geſellſchaftlich würden wir dann die ſchönſten Gegenden durchirren, nicht mürriſch ernſthafte Geſpräche mit freundlichem Scherz gemiſcht, machten uns die Stunden vorbey hüpfen, Hunger I 2

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Zitationshilfe: [Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/136>, abgerufen am 10.05.2024.