Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

gewiesenen Armen das bethränte Brod rauben.
Weit umher ist der arme Landmann dein gepei-
nigter Schuldner; nur selten steigt der dünne
Rauch von deinem umgestürzten Schorstein auf,
denn solltest du nicht hungern, da du deinen Reich-
thum dem weinenden Armen raubest!

Aber wohin reisst mich ungestümer Verdruss?
Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük
und heitert mein Gemüth auf; führet mich wie-
der dahin, wo mein kleines Landhaus steht. Der
fromme Landmann sey mein Nachbar, in seiner
braunen beschatteten Hütte; liebreiche Hülfe
und freundschaftlicher Rath machen dann einet
dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar;
denn, was ist seliger als geliebet zu seyn, als der
frohe Gruss des Manns, dem wir Gutes gethan?

Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhi-
ges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn
die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb-
liche Blike verwehrt, und die schöne Scene des

gewieſenen Armen das bethränte Brod rauben.
Weit umher iſt der arme Landmann dein gepei-
nigter Schuldner; nur ſelten ſteigt der dünne
Rauch von deinem umgeſtürzten Schorſtein auf,
denn ſollteſt du nicht hungern, da du deinen Reich-
thum dem weinenden Armen raubeſt!

Aber wohin reiſst mich ungeſtümer Verdruſs?
Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük
und heitert mein Gemüth auf; führet mich wie-
der dahin, wo mein kleines Landhaus ſteht. Der
fromme Landmann ſey mein Nachbar, in ſeiner
braunen beſchatteten Hütte; liebreiche Hülfe
und freundſchaftlicher Rath machen dann einet
dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar;
denn, was iſt ſeliger als geliebet zu ſeyn, als der
frohe Gruſs des Manns, dem wir Gutes gethan?

Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhi-
ges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn
die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb-
liche Blike verwehrt, und die ſchöne Scene des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0130" n="125"/>
gewie&#x017F;enen Armen das bethränte Brod rauben.<lb/>
Weit umher i&#x017F;t der arme Landmann dein gepei-<lb/>
nigter Schuldner; nur &#x017F;elten &#x017F;teigt der dünne<lb/>
Rauch von deinem umge&#x017F;türzten Schor&#x017F;tein auf,<lb/>
denn &#x017F;ollte&#x017F;t du nicht hungern, da du deinen Reich-<lb/>
thum dem weinenden Armen raube&#x017F;t!</p><lb/>
        <p>Aber wohin rei&#x017F;st mich unge&#x017F;tümer Verdru&#x017F;s?<lb/>
Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük<lb/>
und heitert mein Gemüth auf; führet mich wie-<lb/>
der dahin, wo mein kleines Landhaus &#x017F;teht. Der<lb/>
fromme Landmann &#x017F;ey mein Nachbar, in &#x017F;einer<lb/>
braunen be&#x017F;chatteten Hütte; liebreiche Hülfe<lb/>
und freund&#x017F;chaftlicher Rath machen dann einet<lb/>
dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar;<lb/>
denn, was i&#x017F;t &#x017F;eliger als geliebet zu &#x017F;eyn, als der<lb/>
frohe Gru&#x017F;s des Manns, dem wir Gutes gethan?</p><lb/>
        <p>Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhi-<lb/>
ges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn<lb/>
die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb-<lb/>
liche Blike verwehrt, und die &#x017F;chöne Scene des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0130] gewieſenen Armen das bethränte Brod rauben. Weit umher iſt der arme Landmann dein gepei- nigter Schuldner; nur ſelten ſteigt der dünne Rauch von deinem umgeſtürzten Schorſtein auf, denn ſollteſt du nicht hungern, da du deinen Reich- thum dem weinenden Armen raubeſt! Aber wohin reiſst mich ungeſtümer Verdruſs? Kommt zurük, angenehme Bilder, kommt zurük und heitert mein Gemüth auf; führet mich wie- der dahin, wo mein kleines Landhaus ſteht. Der fromme Landmann ſey mein Nachbar, in ſeiner braunen beſchatteten Hütte; liebreiche Hülfe und freundſchaftlicher Rath machen dann einet dem andern zum freundlich lächelnden Nachbar; denn, was iſt ſeliger als geliebet zu ſeyn, als der frohe Gruſs des Manns, dem wir Gutes gethan? Wenn den, der in der Stadt wohnet, unruhi- ges Getümmel aus dem Schlummer wekt, wenn die nachbarliche Mauer der Morgen-Sonne lieb- liche Blike verwehrt, und die ſchöne Scene des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/130
Zitationshilfe: [Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/130>, abgerufen am 24.11.2024.