dass majestätischer Anstand vor der leeren Stirne schwebt. Weit von Oronten weg sey meine ein- same Wohnung; fernher sammelt sich Wein in seinen Keller, die Natur ist ihm nur schön, weil niedliche Bissen für ihn in der Luft fliegen, oder den Hain durchirren, oder in der Flut schwimmen. Er eilt auf das Land um ungestöhrt rasen zu kön- nen; wie bang ist man in den verfluchten Mauern, wo der tumme Nachbar jede That bemerkt! Dir begegne nie, dass ein einsamer Tag bey dir allein dich lasse, eine unleidliche Gesellschaft für dich, vielleicht entwischt dir ein schauernder Blik in dich selbst. Aber nein, gepeinigte Pferde brin- gen dir schnaubend ihre unwürdigen Lasten, sie springen fluchend von dem unschuldigen Thier; Tumult und Unsinn und rasender Wiz begleiten die Gesellschaft zur Tafel, und ein ohnmächtiger Rausch endet die tobende Scene. Noch weiter von dir, hagrer Harpax, dessen Thüre hagre Hun- de bewachen, die hungernd dem ungestühm ab-
daſs majeſtätiſcher Anſtand vor der leeren Stirne ſchwebt. Weit von Oronten weg ſey meine ein- ſame Wohnung; fernher ſammelt ſich Wein in ſeinen Keller, die Natur iſt ihm nur ſchön, weil niedliche Biſſen für ihn in der Luft fliegen, oder den Hain durchirren, oder in der Flut ſchwimmen. Er eilt auf das Land um ungeſtöhrt raſen zu kön- nen; wie bang iſt man in den verfluchten Mauern, wo der tumme Nachbar jede That bemerkt! Dir begegne nie, daſs ein einſamer Tag bey dir allein dich laſſe, eine unleidliche Geſellſchaft für dich, vielleicht entwiſcht dir ein ſchauernder Blik in dich ſelbſt. Aber nein, gepeinigte Pferde brin- gen dir ſchnaubend ihre unwürdigen Laſten, ſie ſpringen fluchend von dem unſchuldigen Thier; Tumult und Unſinn und raſender Wiz begleiten die Geſellſchaft zur Tafel, und ein ohnmächtiger Rauſch endet die tobende Scene. Noch weiter von dir, hagrer Harpax, deſſen Thüre hagre Hun- de bewachen, die hungernd dem ungeſtühm ab-
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daſs majeſtätiſcher Anſtand vor der leeren Stirne
ſchwebt. Weit von Oronten weg ſey meine ein-
ſame Wohnung; fernher ſammelt ſich Wein in
ſeinen Keller, die Natur iſt ihm nur ſchön, weil
niedliche Biſſen für ihn in der Luft fliegen, oder
den Hain durchirren, oder in der Flut ſchwimmen.
Er eilt auf das Land um ungeſtöhrt raſen zu kön-
nen; wie bang iſt man in den verfluchten Mauern,
wo der tumme Nachbar jede That bemerkt!
Dir begegne nie, daſs ein einſamer Tag bey dir
allein dich laſſe, eine unleidliche Geſellſchaft für
dich, vielleicht entwiſcht dir ein ſchauernder Blik
in dich ſelbſt. Aber nein, gepeinigte Pferde brin-
gen dir ſchnaubend ihre unwürdigen Laſten, ſie
ſpringen fluchend von dem unſchuldigen Thier;
Tumult und Unſinn und raſender Wiz begleiten
die Geſellſchaft zur Tafel, und ein ohnmächtiger
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[Geßner, Salomon]: Idyllen. Zürich, 1756, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_idyllen_1756/129>, abgerufen am 25.07.2024.
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