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[Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740.

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der Buchstaben.
Einige davon sind zu alt, einige zu neu. Jch halte
es vielmehr mit der Mittelstrasse, ob ich gleich weiß,
daß der berühmte Hr. Reimmann erinnert, daß wer"
den Adam vor den ersten beredten Menschen hält,"
und dennoch nach den ersten Erfinder der Buchsta-"
ben fraget, der thue eben so einfältig, als derjenige,"
der auf dem Pferde sitzet, und dasselbe suche." Ein
wunderlicher Schluß! Wer reden kan, der muß auch
schreiben können. Die Erfahrung widerspricht ja
täglich. Viel tausend Menschen können reden, aber
deswegen können sie nicht auch Buchstaben schreiben,
oder lesen. Also erkenne ich Adam nicht vor den er-
sten Erfinder, man beweise mir denn solches triftiger.
Wenn aber einige meynen Mosis sey der erste Schrei-
ber gewesen; So thun sie wiederum einen allzu gros-
sen Sprung. Es ist wohl wahr, daß nach Anleitung
der Heiligen Schrift Moses, als einer von den ersten
Schreibern kan angesehen werden, von denen wir ge-
wiß wissen, daß sie mit Buchstaben geschrieben ha-
ben. Alleine, daraus folgt noch nicht, daß keine Men-
schen vorhero noch geschrieben hätten. Man bedencke
nur die so weit von einander entfernten Völcker; Man
überlege, wie sie Handel und Wandel getrieben ha-
ben. Solten diese nicht durch geschriebene Briefe ein-
ander belehret haben? Solte man nicht eher, als zu
Mosis Zeiten, dem schwachen Gedächtnis der Men-
schen, durch Schriften, zu Hülfe gekommen seyn?
Diese Umstände zwingen mich zu glauben, daß man
eher Buchstaben geschrieben habe, ob ich gleich den
ersten Erfinder nicht bestimmen kan. Jch bekümmere
mich auch hier nicht um die ersten Erfinder der Ara-
bischen, Syrischen, Grichischen, Lateinischen und Teut-
schen Buchstaben. Jch würde viel zu weitläuftig seyn

müs-

der Buchſtaben.
Einige davon ſind zu alt, einige zu neu. Jch halte
es vielmehr mit der Mittelſtraſſe, ob ich gleich weiß,
daß der beruͤhmte Hr. Reimmann erinnert, daß wer„
den Adam vor den erſten beredten Menſchen haͤlt,„
und dennoch nach den erſten Erfinder der Buchſta-„
ben fraget, der thue eben ſo einfaͤltig, als derjenige,„
der auf dem Pferde ſitzet, und daſſelbe ſuche.„ Ein
wunderlicher Schluß! Wer reden kan, der muß auch
ſchreiben koͤnnen. Die Erfahrung widerſpricht ja
taͤglich. Viel tauſend Menſchen koͤnnen reden, aber
deswegen koͤnnen ſie nicht auch Buchſtaben ſchreiben,
oder leſen. Alſo erkenne ich Adam nicht vor den er-
ſten Erfinder, man beweiſe mir denn ſolches triftiger.
Wenn aber einige meynen Moſis ſey der erſte Schrei-
ber geweſen; So thun ſie wiederum einen allzu groſ-
ſen Sprung. Es iſt wohl wahr, daß nach Anleitung
der Heiligen Schrift Moſes, als einer von den erſten
Schreibern kan angeſehen werden, von denen wir ge-
wiß wiſſen, daß ſie mit Buchſtaben geſchrieben ha-
ben. Alleine, daraus folgt noch nicht, daß keine Men-
ſchen vorhero noch geſchrieben haͤtten. Man bedencke
nur die ſo weit von einander entfernten Voͤlcker; Man
uͤberlege, wie ſie Handel und Wandel getrieben ha-
ben. Solten dieſe nicht durch geſchriebene Briefe ein-
ander belehret haben? Solte man nicht eher, als zu
Moſis Zeiten, dem ſchwachen Gedaͤchtnis der Men-
ſchen, durch Schriften, zu Huͤlfe gekommen ſeyn?
Dieſe Umſtaͤnde zwingen mich zu glauben, daß man
eher Buchſtaben geſchrieben habe, ob ich gleich den
erſten Erfinder nicht beſtimmen kan. Jch bekuͤmmere
mich auch hier nicht um die erſten Erfinder der Ara-
biſchen, Syriſchen, Grichiſchen, Lateiniſchen und Teut-
ſchen Buchſtaben. Jch wuͤrde viel zu weitlaͤuftig ſeyn

muͤſ-
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[157/0233] der Buchſtaben. Einige davon ſind zu alt, einige zu neu. Jch halte es vielmehr mit der Mittelſtraſſe, ob ich gleich weiß, daß der beruͤhmte Hr. Reimmann erinnert, daß wer„ den Adam vor den erſten beredten Menſchen haͤlt,„ und dennoch nach den erſten Erfinder der Buchſta-„ ben fraget, der thue eben ſo einfaͤltig, als derjenige,„ der auf dem Pferde ſitzet, und daſſelbe ſuche.„ Ein wunderlicher Schluß! Wer reden kan, der muß auch ſchreiben koͤnnen. Die Erfahrung widerſpricht ja taͤglich. Viel tauſend Menſchen koͤnnen reden, aber deswegen koͤnnen ſie nicht auch Buchſtaben ſchreiben, oder leſen. Alſo erkenne ich Adam nicht vor den er- ſten Erfinder, man beweiſe mir denn ſolches triftiger. Wenn aber einige meynen Moſis ſey der erſte Schrei- ber geweſen; So thun ſie wiederum einen allzu groſ- ſen Sprung. Es iſt wohl wahr, daß nach Anleitung der Heiligen Schrift Moſes, als einer von den erſten Schreibern kan angeſehen werden, von denen wir ge- wiß wiſſen, daß ſie mit Buchſtaben geſchrieben ha- ben. Alleine, daraus folgt noch nicht, daß keine Men- ſchen vorhero noch geſchrieben haͤtten. Man bedencke nur die ſo weit von einander entfernten Voͤlcker; Man uͤberlege, wie ſie Handel und Wandel getrieben ha- ben. Solten dieſe nicht durch geſchriebene Briefe ein- ander belehret haben? Solte man nicht eher, als zu Moſis Zeiten, dem ſchwachen Gedaͤchtnis der Men- ſchen, durch Schriften, zu Huͤlfe gekommen ſeyn? Dieſe Umſtaͤnde zwingen mich zu glauben, daß man eher Buchſtaben geſchrieben habe, ob ich gleich den erſten Erfinder nicht beſtimmen kan. Jch bekuͤmmere mich auch hier nicht um die erſten Erfinder der Ara- biſchen, Syriſchen, Grichiſchen, Lateiniſchen und Teut- ſchen Buchſtaben. Jch wuͤrde viel zu weitlaͤuftig ſeyn muͤſ-

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Zitationshilfe: [Gessner, Christian Friedrich]: Der so nöthig als nützlichen Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 2. Leipzig, 1740, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst02_1740/233>, abgerufen am 19.05.2024.