Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Von der Rechtschreibung.
zu stehen, und weil sie einerley Klage zu führen hat-
ten, eine gemeinschaftliche Sache daraus zu machen.
Sie wollten gleich auf einmal anfangen zu reden, als
sie gewahr wurden, daß sie alle stumm waren, und
kein Wort hervorzubringen vermochten. Ob sie nun
gleich von den Richterinnen ermahnet wurden schrift-
lich einzukommen: so wollten sie doch lieber nach Art
der alten Griechischen Buchstaben, bey dem Lucian,
mündlich ihre Klage führen. Daher musten sie un-
ter ihren übrigen Brüdern Fürsprecher suchen, denen
sie ihre Sache anvertrauen konnten.

Zu allem Glücke gab es auch unter den lauten-
den Buchstaben Zwillinge. Das AA, das EE,
OO und Y, waren auch unter der Zahl der Mis-
vergnügten, und schlugen sich gern zu der Parthey
der Kläger. Die Stummen aber faßten ein desto
besseres Vertrauen zu diesen geschickten Rednern, die
sich allezeit sowohl hören lassen; weil sie selbst ihre
eigene Sache zugleich zu führen hatten: So, daß
an ihrer Redlichkeit gar nicht zu zweifeln war. Man
vertheilte die Klagen unter diese vier Sachwalter so,
daß AA vor sich, vor ck und dt; das EE vor sich,
vor ff, gk, ll und nn; das OO vor sich selbst, vor
ss, ß, th und tz; das Y endlich vor sich allein reden,
und den Schluß der ganzen Klage machen sollte.
A A hub alsbald solgender Gestalt an:

Gerechteste Richterinnen! Unsre Buchstäbliche
Streitigkeiten hätten vor keinen erwünschtern Rich-
terstuhl gebracht werden können, als vor den eurigen;
und wir sind dem großmächtigsten Germanien davor
allesammt aufs höchste verbunden. Wir sind befeh-
liget worden unsre Beschwerden vor euren Ohren
vorzutragen, und die Grösse des bisher erlittenen

Un-

Von der Rechtſchreibung.
zu ſtehen, und weil ſie einerley Klage zu fuͤhren hat-
ten, eine gemeinſchaftliche Sache daraus zu machen.
Sie wollten gleich auf einmal anfangen zu reden, als
ſie gewahr wurden, daß ſie alle ſtumm waren, und
kein Wort hervorzubringen vermochten. Ob ſie nun
gleich von den Richterinnen ermahnet wurden ſchrift-
lich einzukommen: ſo wollten ſie doch lieber nach Art
der alten Griechiſchen Buchſtaben, bey dem Lucian,
muͤndlich ihre Klage fuͤhren. Daher muſten ſie un-
ter ihren uͤbrigen Bruͤdern Fuͤrſprecher ſuchen, denen
ſie ihre Sache anvertrauen konnten.

Zu allem Gluͤcke gab es auch unter den lauten-
den Buchſtaben Zwillinge. Das AA, das EE,
OO und Y, waren auch unter der Zahl der Mis-
vergnuͤgten, und ſchlugen ſich gern zu der Parthey
der Klaͤger. Die Stummen aber faßten ein deſto
beſſeres Vertrauen zu dieſen geſchickten Rednern, die
ſich allezeit ſowohl hoͤren laſſen; weil ſie ſelbſt ihre
eigene Sache zugleich zu fuͤhren hatten: So, daß
an ihrer Redlichkeit gar nicht zu zweifeln war. Man
vertheilte die Klagen unter dieſe vier Sachwalter ſo,
daß AA vor ſich, vor ck und dt; das EE vor ſich,
vor ff, gk, ll und nn; das OO vor ſich ſelbſt, vor
ſſ, ß, th und tz; das Y endlich vor ſich allein reden,
und den Schluß der ganzen Klage machen ſollte.
A A hub alsbald ſolgender Geſtalt an:

Gerechteſte Richterinnen! Unſre Buchſtaͤbliche
Streitigkeiten haͤtten vor keinen erwuͤnſchtern Rich-
terſtuhl gebracht werden koͤnnen, als vor den eurigen;
und wir ſind dem großmaͤchtigſten Germanien davor
alleſammt aufs hoͤchſte verbunden. Wir ſind befeh-
liget worden unſre Beſchwerden vor euren Ohren
vorzutragen, und die Groͤſſe des bisher erlittenen

Un-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0313" n="84"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Recht&#x017F;chreibung.</hi></fw><lb/>
zu &#x017F;tehen, und weil &#x017F;ie einerley Klage zu fu&#x0364;hren hat-<lb/>
ten, eine gemein&#x017F;chaftliche Sache daraus zu machen.<lb/>
Sie wollten gleich auf einmal anfangen zu reden, als<lb/>
&#x017F;ie gewahr wurden, daß &#x017F;ie alle &#x017F;tumm waren, und<lb/>
kein Wort hervorzubringen vermochten. Ob &#x017F;ie nun<lb/>
gleich von den Richterinnen ermahnet wurden &#x017F;chrift-<lb/>
lich einzukommen: &#x017F;o wollten &#x017F;ie doch lieber nach Art<lb/>
der alten Griechi&#x017F;chen Buch&#x017F;taben, bey dem Lucian,<lb/>
mu&#x0364;ndlich ihre Klage fu&#x0364;hren. Daher mu&#x017F;ten &#x017F;ie un-<lb/>
ter ihren u&#x0364;brigen Bru&#x0364;dern Fu&#x0364;r&#x017F;precher &#x017F;uchen, denen<lb/>
&#x017F;ie ihre Sache anvertrauen konnten.</p><lb/>
          <p>Zu allem Glu&#x0364;cke gab es auch unter den lauten-<lb/>
den Buch&#x017F;taben Zwillinge. Das AA, das EE,<lb/>
OO und Y, waren auch unter der Zahl der Mis-<lb/>
vergnu&#x0364;gten, und &#x017F;chlugen &#x017F;ich gern zu der Parthey<lb/>
der Kla&#x0364;ger. Die Stummen aber faßten ein de&#x017F;to<lb/>
be&#x017F;&#x017F;eres Vertrauen zu die&#x017F;en ge&#x017F;chickten Rednern, die<lb/>
&#x017F;ich allezeit &#x017F;owohl ho&#x0364;ren la&#x017F;&#x017F;en; weil &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t ihre<lb/>
eigene Sache zugleich zu fu&#x0364;hren hatten: So, daß<lb/>
an ihrer Redlichkeit gar nicht zu zweifeln war. Man<lb/>
vertheilte die Klagen unter die&#x017F;e vier Sachwalter &#x017F;o,<lb/>
daß AA vor &#x017F;ich, vor <hi rendition="#fr">ck</hi> und <hi rendition="#fr">dt; das</hi> EE vor &#x017F;ich,<lb/>
vor <hi rendition="#fr">ff, gk, ll</hi> und <hi rendition="#fr">nn;</hi> das OO vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, vor<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;&#x017F;, ß, th</hi> und <hi rendition="#fr">tz;</hi> das Y endlich vor &#x017F;ich allein reden,<lb/>
und den Schluß der ganzen Klage machen &#x017F;ollte.<lb/>
A A hub alsbald &#x017F;olgender Ge&#x017F;talt an:</p><lb/>
          <p>Gerechte&#x017F;te Richterinnen! Un&#x017F;re Buch&#x017F;ta&#x0364;bliche<lb/>
Streitigkeiten ha&#x0364;tten vor keinen erwu&#x0364;n&#x017F;chtern Rich-<lb/>
ter&#x017F;tuhl gebracht werden ko&#x0364;nnen, als vor den eurigen;<lb/>
und wir &#x017F;ind dem großma&#x0364;chtig&#x017F;ten Germanien davor<lb/>
alle&#x017F;ammt aufs ho&#x0364;ch&#x017F;te verbunden. Wir &#x017F;ind befeh-<lb/>
liget worden un&#x017F;re Be&#x017F;chwerden vor euren Ohren<lb/>
vorzutragen, und die Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e des bisher erlittenen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Un-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0313] Von der Rechtſchreibung. zu ſtehen, und weil ſie einerley Klage zu fuͤhren hat- ten, eine gemeinſchaftliche Sache daraus zu machen. Sie wollten gleich auf einmal anfangen zu reden, als ſie gewahr wurden, daß ſie alle ſtumm waren, und kein Wort hervorzubringen vermochten. Ob ſie nun gleich von den Richterinnen ermahnet wurden ſchrift- lich einzukommen: ſo wollten ſie doch lieber nach Art der alten Griechiſchen Buchſtaben, bey dem Lucian, muͤndlich ihre Klage fuͤhren. Daher muſten ſie un- ter ihren uͤbrigen Bruͤdern Fuͤrſprecher ſuchen, denen ſie ihre Sache anvertrauen konnten. Zu allem Gluͤcke gab es auch unter den lauten- den Buchſtaben Zwillinge. Das AA, das EE, OO und Y, waren auch unter der Zahl der Mis- vergnuͤgten, und ſchlugen ſich gern zu der Parthey der Klaͤger. Die Stummen aber faßten ein deſto beſſeres Vertrauen zu dieſen geſchickten Rednern, die ſich allezeit ſowohl hoͤren laſſen; weil ſie ſelbſt ihre eigene Sache zugleich zu fuͤhren hatten: So, daß an ihrer Redlichkeit gar nicht zu zweifeln war. Man vertheilte die Klagen unter dieſe vier Sachwalter ſo, daß AA vor ſich, vor ck und dt; das EE vor ſich, vor ff, gk, ll und nn; das OO vor ſich ſelbſt, vor ſſ, ß, th und tz; das Y endlich vor ſich allein reden, und den Schluß der ganzen Klage machen ſollte. A A hub alsbald ſolgender Geſtalt an: Gerechteſte Richterinnen! Unſre Buchſtaͤbliche Streitigkeiten haͤtten vor keinen erwuͤnſchtern Rich- terſtuhl gebracht werden koͤnnen, als vor den eurigen; und wir ſind dem großmaͤchtigſten Germanien davor alleſammt aufs hoͤchſte verbunden. Wir ſind befeh- liget worden unſre Beſchwerden vor euren Ohren vorzutragen, und die Groͤſſe des bisher erlittenen Un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740/313
Zitationshilfe: [Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740/313>, abgerufen am 20.05.2024.