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[Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740.

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Von der Rechtschreibung.
ihr solches wiederrieth. Sie konnte auch gar zu leicht
vorher sehen, daß man dergestalt zum wenigsten alle
fünf und zwanzig oder funfzig Jahre eine andre Recht-
schreibung einführen würde; nachdem sich nemlich die
Mundart eines Volckes allmählich ändern möchte.
Daher war sie auf eine beständige und Regelmäßige
Art ihre Sprache zu schreiben bedacht, dadurch auch
die Aenderungen der Aussprache verhütet werden
möchten.

Jn solcher Absicht übergab sie die Ausführung
ihres Vorhabens, einer guten Freundin, mit der sie
noch nicht gar zu lange bekannt gewesen war. Sie
hieß die Sprachkunst. Weil aber dieselbe eine sehr
strenge Richterin abgiebt, die in Worten eben so un-
erbittlich ist, als Asträa vormals in den Handlungen
der Menschen gewesen: So wurde ihr eine Gehül-
fin von gelinderer Gemüthsart zugegeben, welche sich
die Gewohnheit nennete. Und da man wohl vor-
her sahe, daß diese beyde zuweilen ganz uneins seyn
würden: so wurde ihnen, sie auseinander zu setzen,
noch eine alte Matrone von grosser Einsicht an die Sei-
te gesetzet, welche man die Vernunft zu nennen
pflegte. Vor diesen Richterstuhl nun wurden alle
Buchstaben des Deutschen Alphabets gerichtlich ge-
fordert; mit dem ausdrücklichen Befehle, selbst ihre
Sache zu führen, und ihre Rechte auf gewisse Wörter,
gegen einander zu behaupten.

Zu allererst drungen die doppelten Buchstaben
vor den Richtplatz. Denn weil sie als Zwillinge
mit zusammen gesetzten Kräften darnach strebten, so
waren sie allen einfachen überlegen. Dahin gehörte
nun das ck, dt, ff, gk, ll, nn, ss, ß, th und tz. Diese
hatten sich mit einander verschworen vor einen Mann

zu
F 2

Von der Rechtſchreibung.
ihr ſolches wiederrieth. Sie konnte auch gar zu leicht
vorher ſehen, daß man dergeſtalt zum wenigſten alle
fuͤnf und zwanzig oder funfzig Jahre eine andre Recht-
ſchreibung einfuͤhren wuͤrde; nachdem ſich nemlich die
Mundart eines Volckes allmaͤhlich aͤndern moͤchte.
Daher war ſie auf eine beſtaͤndige und Regelmaͤßige
Art ihre Sprache zu ſchreiben bedacht, dadurch auch
die Aenderungen der Ausſprache verhuͤtet werden
moͤchten.

Jn ſolcher Abſicht uͤbergab ſie die Ausfuͤhrung
ihres Vorhabens, einer guten Freundin, mit der ſie
noch nicht gar zu lange bekannt geweſen war. Sie
hieß die Sprachkunſt. Weil aber dieſelbe eine ſehr
ſtrenge Richterin abgiebt, die in Worten eben ſo un-
erbittlich iſt, als Aſtraͤa vormals in den Handlungen
der Menſchen geweſen: So wurde ihr eine Gehuͤl-
fin von gelinderer Gemuͤthsart zugegeben, welche ſich
die Gewohnheit nennete. Und da man wohl vor-
her ſahe, daß dieſe beyde zuweilen ganz uneins ſeyn
wuͤrden: ſo wurde ihnen, ſie auseinander zu ſetzen,
noch eine alte Matrone von groſſer Einſicht an die Sei-
te geſetzet, welche man die Vernunft zu nennen
pflegte. Vor dieſen Richterſtuhl nun wurden alle
Buchſtaben des Deutſchen Alphabets gerichtlich ge-
fordert; mit dem ausdruͤcklichen Befehle, ſelbſt ihre
Sache zu fuͤhren, und ihre Rechte auf gewiſſe Woͤrter,
gegen einander zu behaupten.

Zu allererſt drungen die doppelten Buchſtaben
vor den Richtplatz. Denn weil ſie als Zwillinge
mit zuſammen geſetzten Kraͤften darnach ſtrebten, ſo
waren ſie allen einfachen uͤberlegen. Dahin gehoͤrte
nun das ck, dt, ff, gk, ll, nn, ſſ, ß, th und tz. Dieſe
hatten ſich mit einander verſchworen vor einen Mann

zu
F 2
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[83/0312] Von der Rechtſchreibung. ihr ſolches wiederrieth. Sie konnte auch gar zu leicht vorher ſehen, daß man dergeſtalt zum wenigſten alle fuͤnf und zwanzig oder funfzig Jahre eine andre Recht- ſchreibung einfuͤhren wuͤrde; nachdem ſich nemlich die Mundart eines Volckes allmaͤhlich aͤndern moͤchte. Daher war ſie auf eine beſtaͤndige und Regelmaͤßige Art ihre Sprache zu ſchreiben bedacht, dadurch auch die Aenderungen der Ausſprache verhuͤtet werden moͤchten. Jn ſolcher Abſicht uͤbergab ſie die Ausfuͤhrung ihres Vorhabens, einer guten Freundin, mit der ſie noch nicht gar zu lange bekannt geweſen war. Sie hieß die Sprachkunſt. Weil aber dieſelbe eine ſehr ſtrenge Richterin abgiebt, die in Worten eben ſo un- erbittlich iſt, als Aſtraͤa vormals in den Handlungen der Menſchen geweſen: So wurde ihr eine Gehuͤl- fin von gelinderer Gemuͤthsart zugegeben, welche ſich die Gewohnheit nennete. Und da man wohl vor- her ſahe, daß dieſe beyde zuweilen ganz uneins ſeyn wuͤrden: ſo wurde ihnen, ſie auseinander zu ſetzen, noch eine alte Matrone von groſſer Einſicht an die Sei- te geſetzet, welche man die Vernunft zu nennen pflegte. Vor dieſen Richterſtuhl nun wurden alle Buchſtaben des Deutſchen Alphabets gerichtlich ge- fordert; mit dem ausdruͤcklichen Befehle, ſelbſt ihre Sache zu fuͤhren, und ihre Rechte auf gewiſſe Woͤrter, gegen einander zu behaupten. Zu allererſt drungen die doppelten Buchſtaben vor den Richtplatz. Denn weil ſie als Zwillinge mit zuſammen geſetzten Kraͤften darnach ſtrebten, ſo waren ſie allen einfachen uͤberlegen. Dahin gehoͤrte nun das ck, dt, ff, gk, ll, nn, ſſ, ß, th und tz. Dieſe hatten ſich mit einander verſchworen vor einen Mann zu F 2

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Zitationshilfe: [Gessner, Christian Friedrich]: Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgießerey. Bd. 1. Leipzig, 1740, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gessner_buchdruckerkunst01_1740/312>, abgerufen am 22.11.2024.