Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

Bild:
<< vorherige Seite
Ugolino,
mehr sagen: die Sklaven aber bebten, wie Todtengeribbe, mit
mir davon. Nun bin ich hier; drum sey nicht traurig, mein Vater.
Ugolino. Ach, Anselmo, du süßer Knabe, kannst du --
Anselmo. Du wendest deine theuren Augen von mir weg,
mein Vater?
Ugolino. Kannst du -- und du, mein sanfter Gaddo, --
könnt ihr mir vergeben, meine Kinder?
Anselmo. (zu Gaddo) Unser Vater ist wunderbar bewegt.
Wie er mir die Hand drückt!
Ugolino. Nur dies noch. -- Jhr Unschuldigen, vergebt mir!
Gaddo. Ach! er zürnt, unser Vater. Was mag er meinen?
Anselmo. Er riß sich mit Gewalt von uns loß. Er
wollte noch etwas sagen; ich sahs; er zwang die Sprache zurück
in seine männliche Brust: eine hole dumpfigte Sprache, wie eines
Schluchzenden --
Gaddo. (weinend) Ah!
Anselmo. Fürchterlich!
Gaddo. Erblasse nicht so, Anselmo! Du erschreckst mich
nur mehr.
Anselmo. Er wendet sich zu uns. Holdseliger Vater!
wie er uns anlächelt!
Ugolino. (setzt sich) Komm her, mein Gaddo -- wenn die
Enkräftung dir noch so viel Schritte erlaubt -- geliebtes Kind --
(hebt ihn auf seinen Schooß)
Gaddo. Jch? ich sollte entkräftet seyn? (seines Vaters Hände
küssend)
Anselmo. Nein, Vater, belebende Kraft geht von deinem
Antlitze aus; das ist gewiß.
Ugolino. Wie alt bist du, Gaddo? weißt dus?
Gaddo. Zwölf Jahre, wo mir recht ist.
Anselmo. Einfältiger Gaddo! kaum sechs.
Ugo-
Ugolino,
mehr ſagen: die Sklaven aber bebten, wie Todtengeribbe, mit
mir davon. Nun bin ich hier; drum ſey nicht traurig, mein Vater.
Ugolino. Ach, Anſelmo, du ſuͤßer Knabe, kannſt du —
Anſelmo. Du wendeſt deine theuren Augen von mir weg,
mein Vater?
Ugolino. Kannſt du — und du, mein ſanfter Gaddo, —
koͤnnt ihr mir vergeben, meine Kinder?
Anſelmo. (zu Gaddo) Unſer Vater iſt wunderbar bewegt.
Wie er mir die Hand druͤckt!
Ugolino. Nur dies noch. — Jhr Unſchuldigen, vergebt mir!
Gaddo. Ach! er zuͤrnt, unſer Vater. Was mag er meinen?
Anſelmo. Er riß ſich mit Gewalt von uns loß. Er
wollte noch etwas ſagen; ich ſahs; er zwang die Sprache zuruͤck
in ſeine maͤnnliche Bruſt: eine hole dumpfigte Sprache, wie eines
Schluchzenden —
Gaddo. (weinend) Ah!
Anſelmo. Fuͤrchterlich!
Gaddo. Erblaſſe nicht ſo, Anſelmo! Du erſchreckſt mich
nur mehr.
Anſelmo. Er wendet ſich zu uns. Holdſeliger Vater!
wie er uns anlaͤchelt!
Ugolino. (ſetzt ſich) Komm her, mein Gaddo — wenn die
Enkraͤftung dir noch ſo viel Schritte erlaubt — geliebtes Kind —
(hebt ihn auf ſeinen Schooß)
Gaddo. Jch? ich ſollte entkraͤftet ſeyn? (ſeines Vaters Haͤnde
kuͤſſend)
Anſelmo. Nein, Vater, belebende Kraft geht von deinem
Antlitze aus; das iſt gewiß.
Ugolino. Wie alt biſt du, Gaddo? weißt dus?
Gaddo. Zwoͤlf Jahre, wo mir recht iſt.
Anſelmo. Einfaͤltiger Gaddo! kaum ſechs.
Ugo-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#ANS">
            <p><pb facs="#f0014" n="8"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ugolino</hi>,</fw><lb/>
mehr &#x017F;agen: die Sklaven aber bebten, wie Todtengeribbe, mit<lb/>
mir davon. Nun bin ich hier; drum &#x017F;ey nicht traurig, mein Vater.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p> Ach, An&#x017F;elmo, du &#x017F;u&#x0364;ßer Knabe, kann&#x017F;t du &#x2014;</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Du wende&#x017F;t deine theuren Augen von mir weg,<lb/>
mein Vater?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p> Kann&#x017F;t du &#x2014; und du, mein &#x017F;anfter Gaddo, &#x2014;<lb/>
ko&#x0364;nnt ihr mir vergeben, meine Kinder?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p><stage>(zu Gaddo)</stage> Un&#x017F;er Vater i&#x017F;t wunderbar bewegt.<lb/>
Wie er mir die Hand dru&#x0364;ckt!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p> Nur dies noch. &#x2014; Jhr Un&#x017F;chuldigen, vergebt mir!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Ach! er zu&#x0364;rnt, un&#x017F;er Vater. Was mag er meinen?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Er riß &#x017F;ich mit Gewalt von uns loß. Er<lb/>
wollte noch etwas &#x017F;agen; ich &#x017F;ahs; er zwang die Sprache zuru&#x0364;ck<lb/>
in &#x017F;eine ma&#x0364;nnliche Bru&#x017F;t: eine hole dumpfigte Sprache, wie eines<lb/>
Schluchzenden &#x2014;</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p><stage>(weinend)</stage> Ah!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Fu&#x0364;rchterlich!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Erbla&#x017F;&#x017F;e nicht &#x017F;o, An&#x017F;elmo! Du er&#x017F;chreck&#x017F;t mich<lb/>
nur mehr.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Er wendet &#x017F;ich zu uns. Hold&#x017F;eliger Vater!<lb/>
wie er uns anla&#x0364;chelt!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p><stage>(&#x017F;etzt &#x017F;ich)</stage> Komm her, mein Gaddo &#x2014; wenn die<lb/>
Enkra&#x0364;ftung dir noch &#x017F;o viel Schritte erlaubt &#x2014; geliebtes Kind &#x2014;<lb/><stage>(hebt ihn auf &#x017F;einen Schooß)</stage></p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Jch? ich &#x017F;ollte entkra&#x0364;ftet &#x017F;eyn? <stage>(&#x017F;eines Vaters Ha&#x0364;nde<lb/>
ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;end)</stage></p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Nein, Vater, belebende Kraft geht von deinem<lb/>
Antlitze aus; das i&#x017F;t gewiß.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#UGO">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Ugolino</hi></hi>.</speaker>
            <p> Wie alt bi&#x017F;t du, Gaddo? weißt dus?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#GAD">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Gaddo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Zwo&#x0364;lf Jahre, wo mir recht i&#x017F;t.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANS">
            <speaker><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">An&#x017F;elmo</hi></hi>.</speaker>
            <p> Einfa&#x0364;ltiger Gaddo! kaum &#x017F;echs.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#g">Ugo</hi>-</fw>
          </sp><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0014] Ugolino, mehr ſagen: die Sklaven aber bebten, wie Todtengeribbe, mit mir davon. Nun bin ich hier; drum ſey nicht traurig, mein Vater. Ugolino. Ach, Anſelmo, du ſuͤßer Knabe, kannſt du — Anſelmo. Du wendeſt deine theuren Augen von mir weg, mein Vater? Ugolino. Kannſt du — und du, mein ſanfter Gaddo, — koͤnnt ihr mir vergeben, meine Kinder? Anſelmo. (zu Gaddo) Unſer Vater iſt wunderbar bewegt. Wie er mir die Hand druͤckt! Ugolino. Nur dies noch. — Jhr Unſchuldigen, vergebt mir! Gaddo. Ach! er zuͤrnt, unſer Vater. Was mag er meinen? Anſelmo. Er riß ſich mit Gewalt von uns loß. Er wollte noch etwas ſagen; ich ſahs; er zwang die Sprache zuruͤck in ſeine maͤnnliche Bruſt: eine hole dumpfigte Sprache, wie eines Schluchzenden — Gaddo. (weinend) Ah! Anſelmo. Fuͤrchterlich! Gaddo. Erblaſſe nicht ſo, Anſelmo! Du erſchreckſt mich nur mehr. Anſelmo. Er wendet ſich zu uns. Holdſeliger Vater! wie er uns anlaͤchelt! Ugolino. (ſetzt ſich) Komm her, mein Gaddo — wenn die Enkraͤftung dir noch ſo viel Schritte erlaubt — geliebtes Kind — (hebt ihn auf ſeinen Schooß) Gaddo. Jch? ich ſollte entkraͤftet ſeyn? (ſeines Vaters Haͤnde kuͤſſend) Anſelmo. Nein, Vater, belebende Kraft geht von deinem Antlitze aus; das iſt gewiß. Ugolino. Wie alt biſt du, Gaddo? weißt dus? Gaddo. Zwoͤlf Jahre, wo mir recht iſt. Anſelmo. Einfaͤltiger Gaddo! kaum ſechs. Ugo-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/14
Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/14>, abgerufen am 21.11.2024.