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Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768.

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erster Aufzug.
Ugelino. Laß ihn, Anselmo. Jammer und Elend haben
seinen kleinen Lebenslauf schnell beflügelt. Er zählt besser als du
glaubst.
Anselmo. Wie, mein Vater? Jch selbst bin wenig über
zwölf Jahre alt. Jch müßte doch drum wissen.
Ugolino. Wahr ists. Deine reifern Tage haben viel Freude
gekannt. O du liebesvolle Genügsamkeit! Du hassest Ruggieri,
sagst du? sprich nicht, daß du ihn hassest.
Anselmo. Jhn? Er ist mir ein Grauen! dir nicht, Gaddo?
Hassest du ihn nicht? Sprich.
Gaddo. Jch fürcht ihn, Anselmo. Daß ich ihn hasse, kann
ich nicht sagen. Jch weiß nicht, was das ist.
Ugolino. Gaddo liebt mich.
Anselmo. Nicht mehr, als ich dich liebe; nicht mehr als
ich deinetwegen Ruggieri hasse!
Ugolino. Meinetwegen?
Anselmo. Deinetwegen: deiner zerstöhrten Glückseligkeit we-
gen, du Befreyer von Pisa! laß mich dich dieß erstemal mit diesem
Namen nennen, großer Mann! Aber auch meiner Mutter wegen;
ihrer vielen Thränen wegen! Aber auch Gaddos wegen! sollt ich den
Feind deiner Ehre, den Urheber deines Verderbens nicht hassen?
Mein Vater, so müßt ich mich selbst hassen; vergib mir.
Ugolino. Nicht weiter! nicht weiter grausamer junger
Mensch. Du bist schwerer zu ertragen, als ein unruhiges Gewissen.
Anselmo. Mein Vater!
Ugolino. Geh!
Anselmo. Den Urheber --
Ugolino. Geh, sag ich, entfleuch!
Anselmo. Vergib mir. Den Stöhrer deiner Ruhe --
Ugolino. Verstumme! Zittre!
Anselmo. Den Herrschsüchtigen --
Ugo-
B
erſter Aufzug.
Ugelino. Laß ihn, Anſelmo. Jammer und Elend haben
ſeinen kleinen Lebenslauf ſchnell befluͤgelt. Er zaͤhlt beſſer als du
glaubſt.
Anſelmo. Wie, mein Vater? Jch ſelbſt bin wenig uͤber
zwoͤlf Jahre alt. Jch muͤßte doch drum wiſſen.
Ugolino. Wahr iſts. Deine reifern Tage haben viel Freude
gekannt. O du liebesvolle Genuͤgſamkeit! Du haſſeſt Ruggieri,
ſagſt du? ſprich nicht, daß du ihn haſſeſt.
Anſelmo. Jhn? Er iſt mir ein Grauen! dir nicht, Gaddo?
Haſſeſt du ihn nicht? Sprich.
Gaddo. Jch fuͤrcht ihn, Anſelmo. Daß ich ihn haſſe, kann
ich nicht ſagen. Jch weiß nicht, was das iſt.
Ugolino. Gaddo liebt mich.
Anſelmo. Nicht mehr, als ich dich liebe; nicht mehr als
ich deinetwegen Ruggieri haſſe!
Ugolino. Meinetwegen?
Anſelmo. Deinetwegen: deiner zerſtoͤhrten Gluͤckſeligkeit we-
gen, du Befreyer von Piſa! laß mich dich dieß erſtemal mit dieſem
Namen nennen, großer Mann! Aber auch meiner Mutter wegen;
ihrer vielen Thraͤnen wegen! Aber auch Gaddos wegen! ſollt ich den
Feind deiner Ehre, den Urheber deines Verderbens nicht haſſen?
Mein Vater, ſo muͤßt ich mich ſelbſt haſſen; vergib mir.
Ugolino. Nicht weiter! nicht weiter grauſamer junger
Menſch. Du biſt ſchwerer zu ertragen, als ein unruhiges Gewiſſen.
Anſelmo. Mein Vater!
Ugolino. Geh!
Anſelmo. Den Urheber —
Ugolino. Geh, ſag ich, entfleuch!
Anſelmo. Vergib mir. Den Stoͤhrer deiner Ruhe —
Ugolino. Verſtumme! Zittre!
Anſelmo. Den Herrſchſuͤchtigen —
Ugo-
B
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[9/0015] erſter Aufzug. Ugelino. Laß ihn, Anſelmo. Jammer und Elend haben ſeinen kleinen Lebenslauf ſchnell befluͤgelt. Er zaͤhlt beſſer als du glaubſt. Anſelmo. Wie, mein Vater? Jch ſelbſt bin wenig uͤber zwoͤlf Jahre alt. Jch muͤßte doch drum wiſſen. Ugolino. Wahr iſts. Deine reifern Tage haben viel Freude gekannt. O du liebesvolle Genuͤgſamkeit! Du haſſeſt Ruggieri, ſagſt du? ſprich nicht, daß du ihn haſſeſt. Anſelmo. Jhn? Er iſt mir ein Grauen! dir nicht, Gaddo? Haſſeſt du ihn nicht? Sprich. Gaddo. Jch fuͤrcht ihn, Anſelmo. Daß ich ihn haſſe, kann ich nicht ſagen. Jch weiß nicht, was das iſt. Ugolino. Gaddo liebt mich. Anſelmo. Nicht mehr, als ich dich liebe; nicht mehr als ich deinetwegen Ruggieri haſſe! Ugolino. Meinetwegen? Anſelmo. Deinetwegen: deiner zerſtoͤhrten Gluͤckſeligkeit we- gen, du Befreyer von Piſa! laß mich dich dieß erſtemal mit dieſem Namen nennen, großer Mann! Aber auch meiner Mutter wegen; ihrer vielen Thraͤnen wegen! Aber auch Gaddos wegen! ſollt ich den Feind deiner Ehre, den Urheber deines Verderbens nicht haſſen? Mein Vater, ſo muͤßt ich mich ſelbſt haſſen; vergib mir. Ugolino. Nicht weiter! nicht weiter grauſamer junger Menſch. Du biſt ſchwerer zu ertragen, als ein unruhiges Gewiſſen. Anſelmo. Mein Vater! Ugolino. Geh! Anſelmo. Den Urheber — Ugolino. Geh, ſag ich, entfleuch! Anſelmo. Vergib mir. Den Stoͤhrer deiner Ruhe — Ugolino. Verſtumme! Zittre! Anſelmo. Den Herrſchſuͤchtigen — Ugo- B

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Zitationshilfe: Gerstenberg, Heinrich Wilhelm: Ugolino. Hamburg u. a., 1768, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerstenberg_ugolino_1768/15>, abgerufen am 21.11.2024.