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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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recht viele zu besitzen eine grosse Ehre ist; und so entstehen bloss zu diesem Zwecke im Distrikt Namototte (Speelmannsbai) die hartnäckigsten und mörderischsten Kriege (N. Guin. 109 ff. und daher wohl Finsch 82).

Aber schlimmer als überall ist die Geringschätzung des Menschenlebens auf den Fidschiinseln, deren Einwohner im Ruf einer besonderen Tapferkeit auch auf Tonga stehen, und die von solchen Tonganern, welche Kriegsabenteuer erleben und zu Hause selbst als Krieger berühmt sein wollten, vielfach besucht wurden (Mariner). Krieg ist nun auch, nach Wilkes 3, 63, ihre so beständige Beschäftigung, dass irgend welcher Kampf auf der Gruppe immer herrscht; und da die Insulaner ebenso blutdürstig als verrätherisch sind (Hale 50), so sind diese Kriege sehr zerstörend. Doch führen sie den Krieg, der indessen stets offen angesagt wird, nur durch Verrath und heimlichen Ueberfall; weshalb sie Williams und Calvert (1, 43) und ebenso Erskine (249) geradezu feig nennen. Wegen des beständigen Verrathes herrscht ein grenzenloses Misstrauen auf der Gruppe, Niemand geht, aus Furcht überfallen zu werden, ohne Waffen (Will. u. Calv. a.a.O.), Niemand traut einem andern, selbst nicht den nächsten Verwandten (Hale 51). Und das nicht ohne Grund: denn da zu ihren nur einigermassen solennen Bewirthungen Menschenfleisch nothwendig gehört, so werden oft die harmlosesten Wanderer (je harmloser, desto eher), Weiber bei der Feldarbeit u. s. w. überfallen und getödtet, wozu Erskine 182 empörende Beispiele erzählt. Wenn auch die Schlachten, sobald nur einige gefallen sind, aufhören (Jackson bei Erskine 425), so sind die Kriege doch ausserordentlich blutig durch die sinnlose Wuth, mit der Alles, was ihnen in die Hände kommt, gemordet wird. Bei Ueberfällen, die sehr häufig sind, machen sie es nicht anders, so dass oft ganze Distrikte (Erskine und Jackson a.a.O. Seemann Zeitschr. 9, 476) vernichtet werden. Wer einen Menschen erschlagen hat, bekommt einen Ehrennamen und wird durch besondere Ceremonien geweiht (Will. u. Calvert 55), gerade wie in einigen Gegenden Neuguineas nur der Kakadufedern tragen darf, der einen Feind getödtet hat, und bei den alten Deutschen nur ein solcher aus dem kostbarsten und heldenhaftesten Trinkgefäss, dem Schädel des erschlagenen Feindes, trinken durfte.

Der Kannibalismus ferner steht hier in solcher Blüthe, wie wohl nirgends sonst auf der Welt. Erskine, der um 1840 die Gruppe besuchte, gibt (257-60) Beispiele. Den Menschen nennen die Eingeborenen nur das "lange" Schwein, zum Unterschied vom "wahren" Schwein (ebend.); bei jedem Fest muss Menschenfleisch gegessen werden, zu welchem Behufe die das Fest gebenden Stämme gar nicht selten ihre eigenen Kinder schlachten; alle Feinde, alle Schiffbrüchigen werden gefressen (Erskine. 262. 229). Oder man erschlägt, um das nöthige Fleisch zu bekommen, den ersten besten aus

recht viele zu besitzen eine grosse Ehre ist; und so entstehen bloss zu diesem Zwecke im Distrikt Namototte (Speelmannsbai) die hartnäckigsten und mörderischsten Kriege (N. Guin. 109 ff. und daher wohl Finsch 82).

Aber schlimmer als überall ist die Geringschätzung des Menschenlebens auf den Fidschiinseln, deren Einwohner im Ruf einer besonderen Tapferkeit auch auf Tonga stehen, und die von solchen Tonganern, welche Kriegsabenteuer erleben und zu Hause selbst als Krieger berühmt sein wollten, vielfach besucht wurden (Mariner). Krieg ist nun auch, nach Wilkes 3, 63, ihre so beständige Beschäftigung, dass irgend welcher Kampf auf der Gruppe immer herrscht; und da die Insulaner ebenso blutdürstig als verrätherisch sind (Hale 50), so sind diese Kriege sehr zerstörend. Doch führen sie den Krieg, der indessen stets offen angesagt wird, nur durch Verrath und heimlichen Ueberfall; weshalb sie Williams und Calvert (1, 43) und ebenso Erskine (249) geradezu feig nennen. Wegen des beständigen Verrathes herrscht ein grenzenloses Misstrauen auf der Gruppe, Niemand geht, aus Furcht überfallen zu werden, ohne Waffen (Will. u. Calv. a.a.O.), Niemand traut einem andern, selbst nicht den nächsten Verwandten (Hale 51). Und das nicht ohne Grund: denn da zu ihren nur einigermassen solennen Bewirthungen Menschenfleisch nothwendig gehört, so werden oft die harmlosesten Wanderer (je harmloser, desto eher), Weiber bei der Feldarbeit u. s. w. überfallen und getödtet, wozu Erskine 182 empörende Beispiele erzählt. Wenn auch die Schlachten, sobald nur einige gefallen sind, aufhören (Jackson bei Erskine 425), so sind die Kriege doch ausserordentlich blutig durch die sinnlose Wuth, mit der Alles, was ihnen in die Hände kommt, gemordet wird. Bei Ueberfällen, die sehr häufig sind, machen sie es nicht anders, so dass oft ganze Distrikte (Erskine und Jackson a.a.O. Seemann Zeitschr. 9, 476) vernichtet werden. Wer einen Menschen erschlagen hat, bekommt einen Ehrennamen und wird durch besondere Ceremonien geweiht (Will. u. Calvert 55), gerade wie in einigen Gegenden Neuguineas nur der Kakadufedern tragen darf, der einen Feind getödtet hat, und bei den alten Deutschen nur ein solcher aus dem kostbarsten und heldenhaftesten Trinkgefäss, dem Schädel des erschlagenen Feindes, trinken durfte.

Der Kannibalismus ferner steht hier in solcher Blüthe, wie wohl nirgends sonst auf der Welt. Erskine, der um 1840 die Gruppe besuchte, gibt (257-60) Beispiele. Den Menschen nennen die Eingeborenen nur das »lange« Schwein, zum Unterschied vom »wahren« Schwein (ebend.); bei jedem Fest muss Menschenfleisch gegessen werden, zu welchem Behufe die das Fest gebenden Stämme gar nicht selten ihre eigenen Kinder schlachten; alle Feinde, alle Schiffbrüchigen werden gefressen (Erskine. 262. 229). Oder man erschlägt, um das nöthige Fleisch zu bekommen, den ersten besten aus

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 Menschenlebens auf den Fidschiinseln, deren Einwohner im Ruf einer
 besonderen Tapferkeit auch auf Tonga stehen, und die von solchen
 Tonganern, welche Kriegsabenteuer erleben und zu Hause selbst als
 Krieger berühmt sein wollten, vielfach besucht wurden
 (Mariner). Krieg ist nun auch, nach Wilkes 3, 63, ihre so
 beständige Beschäftigung, dass irgend welcher Kampf auf
 der Gruppe immer herrscht; und da die Insulaner ebenso
 blutdürstig als verrätherisch sind (Hale 50), so sind
 diese Kriege sehr zerstörend. Doch führen sie den Krieg,
 der indessen stets offen angesagt wird, nur durch Verrath und
 heimlichen Ueberfall; weshalb sie Williams und Calvert (1, 43) und
 ebenso Erskine (249) geradezu feig nennen. Wegen des
 beständigen Verrathes herrscht ein grenzenloses Misstrauen auf
 der Gruppe, Niemand geht, aus Furcht überfallen zu werden,
 ohne Waffen (Will. u. Calv. a.a.O.), Niemand traut einem andern,
 selbst nicht den nächsten Verwandten (Hale 51). Und das nicht
 ohne Grund: denn da zu ihren nur einigermassen solennen
 Bewirthungen Menschenfleisch nothwendig gehört, so werden oft
 die harmlosesten Wanderer (je harmloser, desto eher), Weiber bei
 der Feldarbeit u. s. w. überfallen und getödtet, wozu
 Erskine 182 empörende Beispiele erzählt. Wenn auch die
 Schlachten, sobald nur einige gefallen sind, aufhören (Jackson
 bei Erskine 425), so sind die Kriege doch ausserordentlich blutig
 durch die sinnlose Wuth, mit der Alles, was ihnen in die Hände
 kommt, gemordet wird. Bei Ueberfällen, die sehr häufig
 sind, machen sie es nicht anders, so dass oft ganze Distrikte
 (Erskine und Jackson a.a.O. Seemann Zeitschr. 9, 476) vernichtet
 werden. Wer einen Menschen erschlagen hat, bekommt einen Ehrennamen
 und wird durch besondere Ceremonien geweiht (Will. u. Calvert 55),
 gerade wie in einigen Gegenden Neuguineas nur der Kakadufedern
 tragen darf, der einen Feind getödtet hat, und bei den alten
 Deutschen nur ein solcher aus dem kostbarsten und heldenhaftesten
 Trinkgefäss, dem Schädel des erschlagenen Feindes,
 trinken durfte.</p>
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 wohl nirgends sonst auf der Welt. Erskine, der um 1840 die Gruppe
 besuchte, gibt (257-60) Beispiele. Den Menschen nennen die
 Eingeborenen nur das »lange« Schwein, zum Unterschied
 vom »wahren« Schwein (ebend.); bei jedem Fest muss
 Menschenfleisch gegessen werden, zu welchem Behufe die das Fest
 gebenden Stämme gar nicht selten ihre eigenen Kinder
 schlachten; alle Feinde, alle Schiffbrüchigen werden gefressen
 (Erskine. 262. 229). Oder man erschlägt, um das nöthige
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[0080] recht viele zu besitzen eine grosse Ehre ist; und so entstehen bloss zu diesem Zwecke im Distrikt Namototte (Speelmannsbai) die hartnäckigsten und mörderischsten Kriege (N. Guin. 109 ff. und daher wohl Finsch 82). Aber schlimmer als überall ist die Geringschätzung des Menschenlebens auf den Fidschiinseln, deren Einwohner im Ruf einer besonderen Tapferkeit auch auf Tonga stehen, und die von solchen Tonganern, welche Kriegsabenteuer erleben und zu Hause selbst als Krieger berühmt sein wollten, vielfach besucht wurden (Mariner). Krieg ist nun auch, nach Wilkes 3, 63, ihre so beständige Beschäftigung, dass irgend welcher Kampf auf der Gruppe immer herrscht; und da die Insulaner ebenso blutdürstig als verrätherisch sind (Hale 50), so sind diese Kriege sehr zerstörend. Doch führen sie den Krieg, der indessen stets offen angesagt wird, nur durch Verrath und heimlichen Ueberfall; weshalb sie Williams und Calvert (1, 43) und ebenso Erskine (249) geradezu feig nennen. Wegen des beständigen Verrathes herrscht ein grenzenloses Misstrauen auf der Gruppe, Niemand geht, aus Furcht überfallen zu werden, ohne Waffen (Will. u. Calv. a.a.O.), Niemand traut einem andern, selbst nicht den nächsten Verwandten (Hale 51). Und das nicht ohne Grund: denn da zu ihren nur einigermassen solennen Bewirthungen Menschenfleisch nothwendig gehört, so werden oft die harmlosesten Wanderer (je harmloser, desto eher), Weiber bei der Feldarbeit u. s. w. überfallen und getödtet, wozu Erskine 182 empörende Beispiele erzählt. Wenn auch die Schlachten, sobald nur einige gefallen sind, aufhören (Jackson bei Erskine 425), so sind die Kriege doch ausserordentlich blutig durch die sinnlose Wuth, mit der Alles, was ihnen in die Hände kommt, gemordet wird. Bei Ueberfällen, die sehr häufig sind, machen sie es nicht anders, so dass oft ganze Distrikte (Erskine und Jackson a.a.O. Seemann Zeitschr. 9, 476) vernichtet werden. Wer einen Menschen erschlagen hat, bekommt einen Ehrennamen und wird durch besondere Ceremonien geweiht (Will. u. Calvert 55), gerade wie in einigen Gegenden Neuguineas nur der Kakadufedern tragen darf, der einen Feind getödtet hat, und bei den alten Deutschen nur ein solcher aus dem kostbarsten und heldenhaftesten Trinkgefäss, dem Schädel des erschlagenen Feindes, trinken durfte. Der Kannibalismus ferner steht hier in solcher Blüthe, wie wohl nirgends sonst auf der Welt. Erskine, der um 1840 die Gruppe besuchte, gibt (257-60) Beispiele. Den Menschen nennen die Eingeborenen nur das »lange« Schwein, zum Unterschied vom »wahren« Schwein (ebend.); bei jedem Fest muss Menschenfleisch gegessen werden, zu welchem Behufe die das Fest gebenden Stämme gar nicht selten ihre eigenen Kinder schlachten; alle Feinde, alle Schiffbrüchigen werden gefressen (Erskine. 262. 229). Oder man erschlägt, um das nöthige Fleisch zu bekommen, den ersten besten aus

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/80>, abgerufen am 11.05.2024.