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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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müssen in Australien (nach Eyre) die Zauberer Menschenfleisch essen, um ihre Wunderkraft zu behalten. Am Lake Alexandrine ist es nicht ungewöhnlich, einem lebenden Menschen das Nierenfett auszuscheiden, das als Zauber gegen böse Geister von ganz besonderer Kraft sein soll (Angas 1, 123). Auch Bennet (1, 295) fand Menschenfett als Zaubermittel oder Medikament aufgehoben. Meinicke a 2, 184 hat also wohl die Neuholländer zu frei von Kannibalismus dargestellt.

Gehen wir nun zu den melanesischen Inseln, so finden wir auf Vanikoro unter den einzelnen Stämmen fortwährenden Kampf (D'Urville 5, 165) und wenn sie auch keine Kannibalen zu sein behaupten, so dienen die Schädel der Feinde doch als Trophäen (eb. 217), welche öffentlich aufbewahrt werden. Auch auf Tanna herrscht beständiger Krieg der einzelnen Stämme unter einander (Turner 82, Gill 227), da jede Privatbeleidigung einen öffentlichen Krieg nach sich zieht (85), und ausgebildetster Kannibalismus: die erschlagenen Feinde werden mit Yams gekocht, Farbige den Weissen vorgezogen, einzelne Portionen des Fleisches an Freunde geschickt als Ehrengeschenke u. s. w. (82). Auch auf Fate und Aneitum, obwohl beide minder kriegerisch sind, findet sich der Kannibalismus (Turner 393. 371. Gill 66). Erromango und Mare (Nengone), auf welcher letzteren Insel zwei feindliche Staaten neben einander bestanden, waren fortwährend von leidenschaftlichem Krieg heimgesucht und die Anthropophagie hatte hier einen solchen Grad erreicht, dass selbst die nächsten Verwandten, wenn man mit ihnen in Streit gerieth, erschlagen und gefressen wurden (Gill 10-11; 122. Turner 400. 411). Es ist eine leere Behauptung oder auch Einbildung der katholischen Mission, dass sie auf Neukaledonien den Kannibalismus hätte aufhören machen (Montreval in nouv. annal. de la foi 1854, 94); Turner (um anderer zu geschweigen) fand ihn daselbst sehr ausgebildet und so unbefangen, dass er überall eingestanden und besprochen wurde (426), wie er uns auch von den beständigen Kriegen der Insel (428) berichtet. Die Bewohner von Isabel schildert schon Mendana 1595 (Dalrymple 91) als Menschenfresser und eifrige Krieger, wie sich auch die Bewohner von Guadalcanar zeigen. Eifrige Krieger und Menschenfresser sind auch die Eingeborenen der Lusiade (Salerio bei Petermann 1862, 342-344) und von der Nordwestküste von Neuguinea sagt einer der besten Kenner dieser Gegenden, Marsden (in Transact. of the Reg. Asiat. Soc. 3,125), dass daselbst ein äusserst roher Kannibalismus herrsche: man frisst Feinde so gut wie Freunde, natürlich Gestorbene so gut wie Erschlagene, und ist dieser Nachricht gegenüber nicht abzusehen, wie Finsch (49) seine Behauptung, noch sei von keinem glaubwürdigen Manne bestimmte Nachricht über das Vorkommen des Kannibalismus auf Neuguinea gegeben, aufrecht halten will. Einzelne der neuguineischen Stämme sind Köpfeschneller, d.h. sie schlagen todt, wen sie finden, um Köpfe zu erbeuten, deren

müssen in Australien (nach Eyre) die Zauberer Menschenfleisch essen, um ihre Wunderkraft zu behalten. Am Lake Alexandrine ist es nicht ungewöhnlich, einem lebenden Menschen das Nierenfett auszuscheiden, das als Zauber gegen böse Geister von ganz besonderer Kraft sein soll (Angas 1, 123). Auch Bennet (1, 295) fand Menschenfett als Zaubermittel oder Medikament aufgehoben. Meinicke a 2, 184 hat also wohl die Neuholländer zu frei von Kannibalismus dargestellt.

Gehen wir nun zu den melanesischen Inseln, so finden wir auf Vanikoro unter den einzelnen Stämmen fortwährenden Kampf (D'Urville 5, 165) und wenn sie auch keine Kannibalen zu sein behaupten, so dienen die Schädel der Feinde doch als Trophäen (eb. 217), welche öffentlich aufbewahrt werden. Auch auf Tanna herrscht beständiger Krieg der einzelnen Stämme unter einander (Turner 82, Gill 227), da jede Privatbeleidigung einen öffentlichen Krieg nach sich zieht (85), und ausgebildetster Kannibalismus: die erschlagenen Feinde werden mit Yams gekocht, Farbige den Weissen vorgezogen, einzelne Portionen des Fleisches an Freunde geschickt als Ehrengeschenke u. s. w. (82). Auch auf Fate und Aneitum, obwohl beide minder kriegerisch sind, findet sich der Kannibalismus (Turner 393. 371. Gill 66). Erromango und Mare (Nengone), auf welcher letzteren Insel zwei feindliche Staaten neben einander bestanden, waren fortwährend von leidenschaftlichem Krieg heimgesucht und die Anthropophagie hatte hier einen solchen Grad erreicht, dass selbst die nächsten Verwandten, wenn man mit ihnen in Streit gerieth, erschlagen und gefressen wurden (Gill 10-11; 122. Turner 400. 411). Es ist eine leere Behauptung oder auch Einbildung der katholischen Mission, dass sie auf Neukaledonien den Kannibalismus hätte aufhören machen (Montreval in nouv. annal. de la foi 1854, 94); Turner (um anderer zu geschweigen) fand ihn daselbst sehr ausgebildet und so unbefangen, dass er überall eingestanden und besprochen wurde (426), wie er uns auch von den beständigen Kriegen der Insel (428) berichtet. Die Bewohner von Isabel schildert schon Mendana 1595 (Dalrymple 91) als Menschenfresser und eifrige Krieger, wie sich auch die Bewohner von Guadalcanar zeigen. Eifrige Krieger und Menschenfresser sind auch die Eingeborenen der Lusiade (Salerio bei Petermann 1862, 342-344) und von der Nordwestküste von Neuguinea sagt einer der besten Kenner dieser Gegenden, Marsden (in Transact. of the Reg. Asiat. Soc. 3,125), dass daselbst ein äusserst roher Kannibalismus herrsche: man frisst Feinde so gut wie Freunde, natürlich Gestorbene so gut wie Erschlagene, und ist dieser Nachricht gegenüber nicht abzusehen, wie Finsch (49) seine Behauptung, noch sei von keinem glaubwürdigen Manne bestimmte Nachricht über das Vorkommen des Kannibalismus auf Neuguinea gegeben, aufrecht halten will. Einzelne der neuguineischen Stämme sind Köpfeschneller, d.h. sie schlagen todt, wen sie finden, um Köpfe zu erbeuten, deren

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 Menschenfleisch essen, um ihre Wunderkraft zu behalten. Am Lake
 Alexandrine ist es nicht ungewöhnlich, einem lebenden Menschen
 das Nierenfett auszuscheiden, das als Zauber gegen böse
 Geister von ganz besonderer Kraft sein soll (Angas 1, 123). Auch
 Bennet (1, 295) fand Menschenfett als Zaubermittel oder Medikament
 aufgehoben. Meinicke a 2, 184 hat also wohl die Neuholländer
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 Vanikoro unter den einzelnen Stämmen fortwährenden Kampf
 (D'Urville 5, 165) und wenn sie auch keine Kannibalen zu sein
 behaupten, so dienen die Schädel der Feinde doch als
 Trophäen (eb. 217), welche öffentlich aufbewahrt werden.
 Auch auf Tanna herrscht beständiger Krieg der einzelnen
 Stämme unter einander (Turner 82, Gill 227), da jede
 Privatbeleidigung einen öffentlichen Krieg nach sich zieht
 (85), und ausgebildetster Kannibalismus: die erschlagenen Feinde
 werden mit Yams gekocht, Farbige den Weissen vorgezogen, einzelne
 Portionen des Fleisches an Freunde geschickt als Ehrengeschenke
 u. s. w. (82). Auch auf Fate und Aneitum, obwohl beide minder
 kriegerisch sind, findet sich der Kannibalismus (Turner 393. 371.
 Gill 66). Erromango und Mare (Nengone), auf welcher letzteren Insel
 zwei feindliche Staaten neben einander bestanden, waren
 fortwährend von leidenschaftlichem Krieg heimgesucht und die
 Anthropophagie hatte hier einen solchen Grad erreicht, dass selbst
 die nächsten Verwandten, wenn man mit ihnen in Streit gerieth,
 erschlagen und gefressen wurden (Gill 10-11; 122. Turner 400. 411).
 Es ist eine leere Behauptung oder auch Einbildung der katholischen
 Mission, dass sie auf Neukaledonien den Kannibalismus hätte
 aufhören machen (Montreval in nouv. annal. de la foi 1854,
 94); Turner (um anderer zu geschweigen) fand ihn daselbst sehr
 ausgebildet und so unbefangen, dass er überall eingestanden
 und besprochen wurde (426), wie er uns auch von den
 beständigen Kriegen der Insel (428) berichtet. Die Bewohner
 von Isabel schildert schon Mendana 1595 (Dalrymple 91) als
 Menschenfresser und eifrige Krieger, wie sich auch die Bewohner von
 Guadalcanar zeigen. Eifrige Krieger und Menschenfresser sind auch
 die Eingeborenen der Lusiade (Salerio bei Petermann 1862, 342-344)
 und von der Nordwestküste von Neuguinea sagt einer der besten
 Kenner dieser Gegenden, Marsden (in Transact. of the Reg. Asiat.
 Soc. 3,125), dass daselbst ein äusserst roher Kannibalismus
 herrsche: man frisst Feinde so gut wie Freunde, natürlich
 Gestorbene so gut wie Erschlagene, und ist dieser Nachricht
 gegenüber nicht abzusehen, wie Finsch (49) seine Behauptung,
 noch sei von keinem glaubwürdigen Manne bestimmte Nachricht
 über das Vorkommen des Kannibalismus auf Neuguinea gegeben,
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 Köpfe zu erbeuten, deren
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[0079] müssen in Australien (nach Eyre) die Zauberer Menschenfleisch essen, um ihre Wunderkraft zu behalten. Am Lake Alexandrine ist es nicht ungewöhnlich, einem lebenden Menschen das Nierenfett auszuscheiden, das als Zauber gegen böse Geister von ganz besonderer Kraft sein soll (Angas 1, 123). Auch Bennet (1, 295) fand Menschenfett als Zaubermittel oder Medikament aufgehoben. Meinicke a 2, 184 hat also wohl die Neuholländer zu frei von Kannibalismus dargestellt. Gehen wir nun zu den melanesischen Inseln, so finden wir auf Vanikoro unter den einzelnen Stämmen fortwährenden Kampf (D'Urville 5, 165) und wenn sie auch keine Kannibalen zu sein behaupten, so dienen die Schädel der Feinde doch als Trophäen (eb. 217), welche öffentlich aufbewahrt werden. Auch auf Tanna herrscht beständiger Krieg der einzelnen Stämme unter einander (Turner 82, Gill 227), da jede Privatbeleidigung einen öffentlichen Krieg nach sich zieht (85), und ausgebildetster Kannibalismus: die erschlagenen Feinde werden mit Yams gekocht, Farbige den Weissen vorgezogen, einzelne Portionen des Fleisches an Freunde geschickt als Ehrengeschenke u. s. w. (82). Auch auf Fate und Aneitum, obwohl beide minder kriegerisch sind, findet sich der Kannibalismus (Turner 393. 371. Gill 66). Erromango und Mare (Nengone), auf welcher letzteren Insel zwei feindliche Staaten neben einander bestanden, waren fortwährend von leidenschaftlichem Krieg heimgesucht und die Anthropophagie hatte hier einen solchen Grad erreicht, dass selbst die nächsten Verwandten, wenn man mit ihnen in Streit gerieth, erschlagen und gefressen wurden (Gill 10-11; 122. Turner 400. 411). Es ist eine leere Behauptung oder auch Einbildung der katholischen Mission, dass sie auf Neukaledonien den Kannibalismus hätte aufhören machen (Montreval in nouv. annal. de la foi 1854, 94); Turner (um anderer zu geschweigen) fand ihn daselbst sehr ausgebildet und so unbefangen, dass er überall eingestanden und besprochen wurde (426), wie er uns auch von den beständigen Kriegen der Insel (428) berichtet. Die Bewohner von Isabel schildert schon Mendana 1595 (Dalrymple 91) als Menschenfresser und eifrige Krieger, wie sich auch die Bewohner von Guadalcanar zeigen. Eifrige Krieger und Menschenfresser sind auch die Eingeborenen der Lusiade (Salerio bei Petermann 1862, 342-344) und von der Nordwestküste von Neuguinea sagt einer der besten Kenner dieser Gegenden, Marsden (in Transact. of the Reg. Asiat. Soc. 3,125), dass daselbst ein äusserst roher Kannibalismus herrsche: man frisst Feinde so gut wie Freunde, natürlich Gestorbene so gut wie Erschlagene, und ist dieser Nachricht gegenüber nicht abzusehen, wie Finsch (49) seine Behauptung, noch sei von keinem glaubwürdigen Manne bestimmte Nachricht über das Vorkommen des Kannibalismus auf Neuguinea gegeben, aufrecht halten will. Einzelne der neuguineischen Stämme sind Köpfeschneller, d.h. sie schlagen todt, wen sie finden, um Köpfe zu erbeuten, deren

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/79>, abgerufen am 11.05.2024.