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Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868.

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Die Soldaten bemächtigten sich immer zuerst der in einer Ecke zusammengestellten Bogen und Pfeile, um so weniger gefährdet die wehrlosen Indianer abzuschlachten. Nur die Kinder (Kurukas) wurden verschont, sie waren Kriegsbeute! Ein solches Kuruka wurde in der Regel für 100 Milreis verkauft. Selbst in neuester Zeit war der Gewinn, der aus dem Verkauf der erbeuteten Kinder gezogen wurde, das einzige Motiv, um eine Aldea umzubringen. Und dieses geschieht im constitutionellen Brasilien gegen die ursprünglichen Bewohner des Landes! Am Rio Jaquitinhonha, am Mukury, am Rio St. Matheus, am Rio Dolce sind zahlreiche Beispiele dieser Menschenschlächtereien vorgekommen. Vier Jahre vor meinem Besuch am Mukury leiteten die Henkersknechte Cro und Crahy eine solche Metzelei bei Queriba am Jaquitinhonha. Sogar im Jahr 1861 wurde wenige Meilen von Philadelphia eine derartige Menschenschlächterei ausgeführt. Im Jahre 1846 wurde in Marianna, 2 Leguas von St. Jose de Porto Alegre, an der Mündung des Mukury, der Tribus des Häuptlings Shiporok fast gänzlich vernichtet. Sechzehn Schädel der ermordeten Indianer kaufte ein Franzose und schickte sie an ein pariser Museum."

Man muss diese Nachrichten, welche jede Vorstellung übersteigen, bei einem so glaubwürdigen Schriftsteller wie Tschudi selbst lesen, um sie zu glauben. Uebrigens ging es den Araukanern kaum besser, die in einem fast 200jährigen Kampfe (von 1540-1724) mit den Spaniern um ihre Unabhängigkeit rangen. Auch hier waren es wieder die Europäer, welche die grauenvollsten Grausamkeiten gegen die tapferen und edeln Amerikaner begingen, welche letztern aber auch, wie es natürlich war, in einem solchen Krieg verwilderten und herunterkamen, so dass man jetzt in ihnen die alten Araukaner nicht mehr zu suchen braucht (Waitz 3, 521 ff.). Wie die Spanier noch in diesem Jahrhundert gegen sie verfuhren, geht aus folgender, von einem Augenzeugen erzählten Geschichte hervor, welche den portugiesischen Schandthaten würdig zur Seite steht: "von einem Indianerstamme, der sich in seinem Versteck aller Nachforschungen entzog, konnte Major Rodriguez nur ein Weib auffinden mit ihrem Sohn und ihrer Tochter, die noch Kind war. Drohungen und Versprechungen bewirkten nichts über sie, um sie zur Verrätherei zu bewegen. Da liess man den Sohn niederknien und erschoss ihn vor den Augen seiner Mutter und Schwester. Dennoch wollte das Weib nichts gestehen. Auch sie musste niederknien, um zu sterben; da erbot sich die Tochter, das Versteck ihres Vaters und ihrer Brüder zu verrathen. Die Mutter stürzte wüthend über sie her und wollte sie erdrosseln, doch man entriss ihr das Kind und schleppte sie fort in der von diesem bezeichneten Richtung, während sie die Tochter mit den härtesten Vorwürfen wegen ihrer Feigheit und Entartung überhäufte. Ihre ganze Familie musste sie hinschlach-

Die Soldaten bemächtigten sich immer zuerst der in einer Ecke zusammengestellten Bogen und Pfeile, um so weniger gefährdet die wehrlosen Indianer abzuschlachten. Nur die Kinder (Kurukas) wurden verschont, sie waren Kriegsbeute! Ein solches Kuruka wurde in der Regel für 100 Milreis verkauft. Selbst in neuester Zeit war der Gewinn, der aus dem Verkauf der erbeuteten Kinder gezogen wurde, das einzige Motiv, um eine Aldea umzubringen. Und dieses geschieht im constitutionellen Brasilien gegen die ursprünglichen Bewohner des Landes! Am Rio Jaquitinhonha, am Mukury, am Rio St. Matheus, am Rio Dolce sind zahlreiche Beispiele dieser Menschenschlächtereien vorgekommen. Vier Jahre vor meinem Besuch am Mukury leiteten die Henkersknechte Cro und Crahy eine solche Metzelei bei Queriba am Jaquitinhonha. Sogar im Jahr 1861 wurde wenige Meilen von Philadelphia eine derartige Menschenschlächterei ausgeführt. Im Jahre 1846 wurde in Marianna, 2 Leguas von St. Jose de Porto Alegre, an der Mündung des Mukury, der Tribus des Häuptlings Shiporok fast gänzlich vernichtet. Sechzehn Schädel der ermordeten Indianer kaufte ein Franzose und schickte sie an ein pariser Museum.«

Man muss diese Nachrichten, welche jede Vorstellung übersteigen, bei einem so glaubwürdigen Schriftsteller wie Tschudi selbst lesen, um sie zu glauben. Uebrigens ging es den Araukanern kaum besser, die in einem fast 200jährigen Kampfe (von 1540-1724) mit den Spaniern um ihre Unabhängigkeit rangen. Auch hier waren es wieder die Europäer, welche die grauenvollsten Grausamkeiten gegen die tapferen und edeln Amerikaner begingen, welche letztern aber auch, wie es natürlich war, in einem solchen Krieg verwilderten und herunterkamen, so dass man jetzt in ihnen die alten Araukaner nicht mehr zu suchen braucht (Waitz 3, 521 ff.). Wie die Spanier noch in diesem Jahrhundert gegen sie verfuhren, geht aus folgender, von einem Augenzeugen erzählten Geschichte hervor, welche den portugiesischen Schandthaten würdig zur Seite steht: »von einem Indianerstamme, der sich in seinem Versteck aller Nachforschungen entzog, konnte Major Rodriguez nur ein Weib auffinden mit ihrem Sohn und ihrer Tochter, die noch Kind war. Drohungen und Versprechungen bewirkten nichts über sie, um sie zur Verrätherei zu bewegen. Da liess man den Sohn niederknien und erschoss ihn vor den Augen seiner Mutter und Schwester. Dennoch wollte das Weib nichts gestehen. Auch sie musste niederknien, um zu sterben; da erbot sich die Tochter, das Versteck ihres Vaters und ihrer Brüder zu verrathen. Die Mutter stürzte wüthend über sie her und wollte sie erdrosseln, doch man entriss ihr das Kind und schleppte sie fort in der von diesem bezeichneten Richtung, während sie die Tochter mit den härtesten Vorwürfen wegen ihrer Feigheit und Entartung überhäufte. Ihre ganze Familie musste sie hinschlach-

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 weniger gefährdet die wehrlosen Indianer abzuschlachten. Nur
 die Kinder (Kurukas) wurden verschont, sie waren Kriegsbeute! Ein
 solches Kuruka wurde in der Regel für 100 Milreis verkauft.
 Selbst in neuester Zeit war der Gewinn, der aus dem Verkauf der
 erbeuteten Kinder gezogen wurde, das einzige Motiv, um eine Aldea
 umzubringen. Und dieses geschieht im constitutionellen Brasilien
 gegen die ursprünglichen Bewohner des Landes! Am Rio
 Jaquitinhonha, am Mukury, am Rio St. Matheus, am Rio Dolce sind
 zahlreiche Beispiele dieser Menschenschlächtereien
 vorgekommen. Vier Jahre vor meinem Besuch am Mukury leiteten die
 Henkersknechte Cro und Crahy eine solche Metzelei bei Queriba am
 Jaquitinhonha. Sogar im Jahr 1861 wurde wenige Meilen von
 Philadelphia eine derartige Menschenschlächterei
 ausgeführt. Im Jahre 1846 wurde in Marianna, 2 Leguas von St.
 Jose de Porto Alegre, an der Mündung des Mukury, der Tribus
 des Häuptlings Shiporok fast gänzlich vernichtet.
 Sechzehn Schädel der ermordeten Indianer kaufte ein Franzose
 und schickte sie an ein pariser Museum.«</p>
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 wie Tschudi selbst lesen, um sie zu glauben. Uebrigens ging es den
 Araukanern kaum besser, die in einem fast 200jährigen Kampfe
 (von 1540-1724) mit den Spaniern um ihre Unabhängigkeit
 rangen. Auch hier waren es wieder die Europäer, welche die
 grauenvollsten Grausamkeiten gegen die tapferen und edeln
 Amerikaner begingen, welche letztern aber auch, wie es
 natürlich war, in einem solchen Krieg verwilderten und
 herunterkamen, so dass man jetzt in ihnen die alten Araukaner nicht
 mehr zu suchen braucht (Waitz 3, 521 ff.). Wie die Spanier noch in
 diesem Jahrhundert gegen sie verfuhren, geht aus folgender, von
 einem Augenzeugen erzählten Geschichte hervor, welche den
 portugiesischen Schandthaten würdig zur Seite steht:
 »von einem Indianerstamme, der sich in seinem Versteck aller
 Nachforschungen entzog, konnte Major Rodriguez nur ein Weib
 auffinden mit ihrem Sohn und ihrer Tochter, die noch Kind war.
 Drohungen und Versprechungen bewirkten nichts über sie, um sie
 zur Verrätherei zu bewegen. Da liess man den Sohn niederknien
 und erschoss ihn vor den Augen seiner Mutter und Schwester. Dennoch
 wollte das Weib nichts gestehen. Auch sie musste niederknien, um zu
 sterben; da erbot sich die Tochter, das Versteck ihres Vaters und
 ihrer Brüder zu verrathen. Die Mutter stürzte
 wüthend über sie her und wollte sie erdrosseln, doch man
 entriss ihr das Kind und schleppte sie fort in der von diesem
 bezeichneten Richtung, während sie die Tochter mit den
 härtesten Vorwürfen wegen ihrer Feigheit und Entartung
 überhäufte. Ihre ganze Familie musste sie hinschlach-
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[0116] Die Soldaten bemächtigten sich immer zuerst der in einer Ecke zusammengestellten Bogen und Pfeile, um so weniger gefährdet die wehrlosen Indianer abzuschlachten. Nur die Kinder (Kurukas) wurden verschont, sie waren Kriegsbeute! Ein solches Kuruka wurde in der Regel für 100 Milreis verkauft. Selbst in neuester Zeit war der Gewinn, der aus dem Verkauf der erbeuteten Kinder gezogen wurde, das einzige Motiv, um eine Aldea umzubringen. Und dieses geschieht im constitutionellen Brasilien gegen die ursprünglichen Bewohner des Landes! Am Rio Jaquitinhonha, am Mukury, am Rio St. Matheus, am Rio Dolce sind zahlreiche Beispiele dieser Menschenschlächtereien vorgekommen. Vier Jahre vor meinem Besuch am Mukury leiteten die Henkersknechte Cro und Crahy eine solche Metzelei bei Queriba am Jaquitinhonha. Sogar im Jahr 1861 wurde wenige Meilen von Philadelphia eine derartige Menschenschlächterei ausgeführt. Im Jahre 1846 wurde in Marianna, 2 Leguas von St. Jose de Porto Alegre, an der Mündung des Mukury, der Tribus des Häuptlings Shiporok fast gänzlich vernichtet. Sechzehn Schädel der ermordeten Indianer kaufte ein Franzose und schickte sie an ein pariser Museum.« Man muss diese Nachrichten, welche jede Vorstellung übersteigen, bei einem so glaubwürdigen Schriftsteller wie Tschudi selbst lesen, um sie zu glauben. Uebrigens ging es den Araukanern kaum besser, die in einem fast 200jährigen Kampfe (von 1540-1724) mit den Spaniern um ihre Unabhängigkeit rangen. Auch hier waren es wieder die Europäer, welche die grauenvollsten Grausamkeiten gegen die tapferen und edeln Amerikaner begingen, welche letztern aber auch, wie es natürlich war, in einem solchen Krieg verwilderten und herunterkamen, so dass man jetzt in ihnen die alten Araukaner nicht mehr zu suchen braucht (Waitz 3, 521 ff.). Wie die Spanier noch in diesem Jahrhundert gegen sie verfuhren, geht aus folgender, von einem Augenzeugen erzählten Geschichte hervor, welche den portugiesischen Schandthaten würdig zur Seite steht: »von einem Indianerstamme, der sich in seinem Versteck aller Nachforschungen entzog, konnte Major Rodriguez nur ein Weib auffinden mit ihrem Sohn und ihrer Tochter, die noch Kind war. Drohungen und Versprechungen bewirkten nichts über sie, um sie zur Verrätherei zu bewegen. Da liess man den Sohn niederknien und erschoss ihn vor den Augen seiner Mutter und Schwester. Dennoch wollte das Weib nichts gestehen. Auch sie musste niederknien, um zu sterben; da erbot sich die Tochter, das Versteck ihres Vaters und ihrer Brüder zu verrathen. Die Mutter stürzte wüthend über sie her und wollte sie erdrosseln, doch man entriss ihr das Kind und schleppte sie fort in der von diesem bezeichneten Richtung, während sie die Tochter mit den härtesten Vorwürfen wegen ihrer Feigheit und Entartung überhäufte. Ihre ganze Familie musste sie hinschlach-

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Zitationshilfe: Gerland, Georg: Über das Aussterben der Naturvölker. Leipzig, 1868, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gerland_naturvoelker_1868/116>, abgerufen am 22.11.2024.