[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Gräfinn von G** fangen wollte zu reden, daß mir der Athemfehlte, und daß ich die Worte nicht wieder finden konnte, die ich in meinem Gedächtnisse gesammelt hatte. Jch that also an den Ju- den etliche gleichgültige Fragen, bis ich mich wieder erholte. Jch will nicht länger unge- recht seyn, fieng ich endlich an, und ihnen ei- ne Nachricht vorenthalten, die sie vielleicht schon lange zü hören gewünscht haben. Ver- stehen sie Russisch? Er antwortete mir ängst- lich, ja, ja, und zitterte, und machte, daß ich ei- nen kleinen Schauer fühlte. Jch setzte mich nieder, und bat ihn, daß ers auch thun sollte. Er weigerte sich, u. ich hielt mich für verbunden, ihm selbst einen Sessel zu reichen und mich da- durch an dem mir schon beschwerlichen Ceremo- niell zu rächen. Jch las ihm den Befehlvor, und sagte endlich zu ihm: von dieser Stunde an haben sie ihre Freyheit, und ich bin sehr ver- gnügt, daß ich die Person habe seyn sollen, die sie ihnen ertheilen muß. Sehen sie mich nicht als ihre Gebieterinn, sondern als ihre gute Freundinn an. Er sprang vom Stuhle auf und küßte mir mit einer unaussprechlichen Freude die Hand, und ich ließ ihn diese Dankbarkeit sehr oft wie- derholen, als fürchtete ich, ihn zu beleidigen, wenn ich die Hand zurücke zöge. Er stammelte etliche Worte vor Freuden hervor, und auch die- se II Theil. G
Graͤfinn von G** fangen wollte zu reden, daß mir der Athemfehlte, und daß ich die Worte nicht wieder finden konnte, die ich in meinem Gedaͤchtniſſe geſammelt hatte. Jch that alſo an den Ju- den etliche gleichguͤltige Fragen, bis ich mich wieder erholte. Jch will nicht laͤnger unge- recht ſeyn, fieng ich endlich an, und ihnen ei- ne Nachricht vorenthalten, die ſie vielleicht ſchon lange zuͤ hoͤren gewuͤnſcht haben. Ver- ſtehen ſie Ruſſiſch? Er antwortete mir aͤngſt- lich, ja, ja, und zitterte, und machte, daß ich ei- nen kleinen Schauer fuͤhlte. Jch ſetzte mich nieder, und bat ihn, daß ers auch thun ſollte. Er weigerte ſich, u. ich hielt mich fuͤr verbunden, ihm ſelbſt einen Seſſel zu reichen und mich da- durch an dem mir ſchon beſchwerlichen Ceremo- niell zu raͤchen. Jch las ihm den Befehlvor, und ſagte endlich zu ihm: von dieſer Stunde an haben ſie ihre Freyheit, und ich bin ſehr ver- gnuͤgt, daß ich die Perſon habe ſeyn ſollen, die ſie ihnen ertheilen muß. Sehen ſie mich nicht als ihre Gebieterinn, ſondern als ihre gute Freundiñ an. Er ſprang vom Stuhle auf und kuͤßte mir mit einer unausſprechlichen Freude die Hand, und ich ließ ihn dieſe Dankbarkeit ſehr oft wie- derholen, als fuͤrchtete ich, ihn zu beleidigen, wenn ich die Hand zuruͤcke zoͤge. Er ſtammelte etliche Worte vor Freuden hervor, und auch die- ſe II Theil. G
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Graͤfinn von G**
fangen wollte zu reden, daß mir der Athem
fehlte, und daß ich die Worte nicht wieder
finden konnte, die ich in meinem Gedaͤchtniſſe
geſammelt hatte. Jch that alſo an den Ju-
den etliche gleichguͤltige Fragen, bis ich mich
wieder erholte. Jch will nicht laͤnger unge-
recht ſeyn, fieng ich endlich an, und ihnen ei-
ne Nachricht vorenthalten, die ſie vielleicht
ſchon lange zuͤ hoͤren gewuͤnſcht haben. Ver-
ſtehen ſie Ruſſiſch? Er antwortete mir aͤngſt-
lich, ja, ja, und zitterte, und machte, daß ich ei-
nen kleinen Schauer fuͤhlte. Jch ſetzte mich
nieder, und bat ihn, daß ers auch thun ſollte.
Er weigerte ſich, u. ich hielt mich fuͤr verbunden,
ihm ſelbſt einen Seſſel zu reichen und mich da-
durch an dem mir ſchon beſchwerlichen Ceremo-
niell zu raͤchen. Jch las ihm den Befehlvor,
und ſagte endlich zu ihm: von dieſer Stunde
an haben ſie ihre Freyheit, und ich bin ſehr ver-
gnuͤgt, daß ich die Perſon habe ſeyn ſollen, die
ſie ihnen ertheilen muß. Sehen ſie mich nicht als
ihre Gebieterinn, ſondern als ihre gute Freundiñ
an. Er ſprang vom Stuhle auf und kuͤßte mir
mit einer unausſprechlichen Freude die Hand,
und ich ließ ihn dieſe Dankbarkeit ſehr oft wie-
derholen, als fuͤrchtete ich, ihn zu beleidigen,
wenn ich die Hand zuruͤcke zoͤge. Er ſtammelte
etliche Worte vor Freuden hervor, und auch die-
ſe
II Theil. G
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