Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben der Schwedischen
Erzählung sehr weichmüthig, und endigte sie
mit einem Ach Gott! das mir durch die See-
le gieng. Er schlug die Augen nieder, und es
war mir nicht anders, als ob ich sie ihm wieder
öffnen sollte. Er sah mich endlich auf einmal
mit einer klagenden Mine an, und ich erschrack,
als ob er mir ein Verbrechen vorrückte. Mein
Herr, fieng ich an, ich will gleich weiter mit ih-
nen reden. Jch gieng in das Nebenzimmer, um
den Befehl wegen seiner Befreyung zu holen.
Jch suchte ihn lange vergebens, ob er gleich vor
mir lag. Jch schämte mich vor meiner Unruhe,
und glaubte zu meinem Troste, daß sie von den
traurigen Erzählungen herstammte, und daß
sie durch die Freude, die Steeley über seine Er-
lösung haben würde, sich bald verlieren sollte.
Jch sah in den Spiegel, ehe ich wieder in das
andre Zimmer trat, und ich sah in jedem Bli-
cke die Unruhe meines Herzens verrathen. Jch
hatte indessen bey aller meiner Unruhe noch
die Geduld, etwas an meinem Kopfputze zu
verbessern; und mitten in dem Verlangen, Stee-
leyn seine Befreyung anzukündigen, überlegte
ich noch, wie seine unglückliche Braut ausgesehn
hatte, und hielt ihr Bild im Spiegel gleichsam
gegen das Meinige. Jch bereitete mich auf ei-
ne kleine Anrede, und öffnete das Zimmer, und
gieng auf Steeleyn zu. Jch fühlte, da ich an-

fan-

Leben der Schwediſchen
Erzaͤhlung ſehr weichmuͤthig, und endigte ſie
mit einem Ach Gott! das mir durch die See-
le gieng. Er ſchlug die Augen nieder, und es
war mir nicht anders, als ob ich ſie ihm wieder
oͤffnen ſollte. Er ſah mich endlich auf einmal
mit einer klagenden Mine an, und ich erſchrack,
als ob er mir ein Verbrechen vorruͤckte. Mein
Herr, fieng ich an, ich will gleich weiter mit ih-
nen reden. Jch gieng in das Nebenzimmer, um
den Befehl wegen ſeiner Befreyung zu holen.
Jch ſuchte ihn lange vergebens, ob er gleich vor
mir lag. Jch ſchaͤmte mich vor meiner Unruhe,
und glaubte zu meinem Troſte, daß ſie von den
traurigen Erzaͤhlungen herſtammte, und daß
ſie durch die Freude, die Steeley uͤber ſeine Er-
loͤſung haben wuͤrde, ſich bald verlieren ſollte.
Jch ſah in den Spiegel, ehe ich wieder in das
andre Zimmer trat, und ich ſah in jedem Bli-
cke die Unruhe meines Herzens verrathen. Jch
hatte indeſſen bey aller meiner Unruhe noch
die Geduld, etwas an meinem Kopfputze zu
verbeſſern; und mitten in dem Verlangen, Stee-
leyn ſeine Befreyung anzukuͤndigen, uͤberlegte
ich noch, wie ſeine ungluͤckliche Braut ausgeſehn
hatte, und hielt ihr Bild im Spiegel gleichſam
gegen das Meinige. Jch bereitete mich auf ei-
ne kleine Anrede, und oͤffnete das Zimmer, und
gieng auf Steeleyn zu. Jch fuͤhlte, da ich an-

fan-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0096" n="96"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Leben der Schwedi&#x017F;chen</hi></fw><lb/>
Erza&#x0364;hlung &#x017F;ehr weichmu&#x0364;thig, und endigte &#x017F;ie<lb/>
mit einem Ach Gott! das mir durch die See-<lb/>
le gieng. Er &#x017F;chlug die Augen nieder, und es<lb/>
war mir nicht anders, als ob ich &#x017F;ie ihm wieder<lb/>
o&#x0364;ffnen &#x017F;ollte. Er &#x017F;ah mich endlich auf einmal<lb/>
mit einer klagenden Mine an, und ich er&#x017F;chrack,<lb/>
als ob er mir ein Verbrechen vorru&#x0364;ckte. Mein<lb/>
Herr, fieng ich an, ich will gleich weiter mit ih-<lb/>
nen reden. Jch gieng in das Nebenzimmer, um<lb/>
den Befehl wegen &#x017F;einer Befreyung zu holen.<lb/>
Jch &#x017F;uchte ihn lange vergebens, ob er gleich vor<lb/>
mir lag. Jch &#x017F;cha&#x0364;mte mich vor meiner Unruhe,<lb/>
und glaubte zu meinem Tro&#x017F;te, daß &#x017F;ie von den<lb/>
traurigen Erza&#x0364;hlungen her&#x017F;tammte, und daß<lb/>
&#x017F;ie durch die Freude, die Steeley u&#x0364;ber &#x017F;eine Er-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;ung haben wu&#x0364;rde, &#x017F;ich bald verlieren &#x017F;ollte.<lb/>
Jch &#x017F;ah in den Spiegel, ehe ich wieder in das<lb/>
andre Zimmer trat, und ich &#x017F;ah in jedem Bli-<lb/>
cke die Unruhe meines Herzens verrathen. Jch<lb/>
hatte inde&#x017F;&#x017F;en bey aller meiner Unruhe noch<lb/>
die Geduld, etwas an meinem Kopfputze zu<lb/>
verbe&#x017F;&#x017F;ern; und mitten in dem Verlangen, Stee-<lb/>
leyn &#x017F;eine Befreyung anzuku&#x0364;ndigen, u&#x0364;berlegte<lb/>
ich noch, wie &#x017F;eine unglu&#x0364;ckliche Braut ausge&#x017F;ehn<lb/>
hatte, und hielt ihr Bild im Spiegel gleich&#x017F;am<lb/>
gegen das Meinige. Jch bereitete mich auf ei-<lb/>
ne kleine Anrede, und o&#x0364;ffnete das Zimmer, und<lb/>
gieng auf Steeleyn zu. Jch fu&#x0364;hlte, da ich an-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fan-</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0096] Leben der Schwediſchen Erzaͤhlung ſehr weichmuͤthig, und endigte ſie mit einem Ach Gott! das mir durch die See- le gieng. Er ſchlug die Augen nieder, und es war mir nicht anders, als ob ich ſie ihm wieder oͤffnen ſollte. Er ſah mich endlich auf einmal mit einer klagenden Mine an, und ich erſchrack, als ob er mir ein Verbrechen vorruͤckte. Mein Herr, fieng ich an, ich will gleich weiter mit ih- nen reden. Jch gieng in das Nebenzimmer, um den Befehl wegen ſeiner Befreyung zu holen. Jch ſuchte ihn lange vergebens, ob er gleich vor mir lag. Jch ſchaͤmte mich vor meiner Unruhe, und glaubte zu meinem Troſte, daß ſie von den traurigen Erzaͤhlungen herſtammte, und daß ſie durch die Freude, die Steeley uͤber ſeine Er- loͤſung haben wuͤrde, ſich bald verlieren ſollte. Jch ſah in den Spiegel, ehe ich wieder in das andre Zimmer trat, und ich ſah in jedem Bli- cke die Unruhe meines Herzens verrathen. Jch hatte indeſſen bey aller meiner Unruhe noch die Geduld, etwas an meinem Kopfputze zu verbeſſern; und mitten in dem Verlangen, Stee- leyn ſeine Befreyung anzukuͤndigen, uͤberlegte ich noch, wie ſeine ungluͤckliche Braut ausgeſehn hatte, und hielt ihr Bild im Spiegel gleichſam gegen das Meinige. Jch bereitete mich auf ei- ne kleine Anrede, und oͤffnete das Zimmer, und gieng auf Steeleyn zu. Jch fuͤhlte, da ich an- fan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/96
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/96>, abgerufen am 27.04.2024.