Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G**
kämet mir an einem Flusse entgegen. Wie
erschrackt ihr, meine Liebenswürdige, wie
schön entsetztet ihr euch, mich wieder zu finden!
Jch erwachte über diesem Traume und lag auf
dem todten Landsmanne, und dankte dem
Himmel, ehe ich noch aufstund, für diesen
glücklichen Traum. Die Freundschaft, die
ich dem Sterbenden erwies, brachte mir die
Liebe von sechs andern gemeinen Schweden zu
Wege, die bey seinem Tode zugegen waren.
Es gefiel ihnen, daß ich ihren Cameraden so
wohl zum Tode bereitet hatte. Sie baten
mich, daß ich eben das an ihnen thun möchte,
wenn sie etwan auf den Marsche sterben soll-
ten; sie beeiferten sich recht von diesem Tage
an, mir zu dienen und darbten sich oft das
frische Wasser ab, damit sie es mir und Stee-
ley im Nothfalle anbieten könnten. Jch ward
kurz darauf krank und konnte nicht mehr gehn,
so hinfällig war ich. Allein ehe mich mei-
ne sechs Landsleute zurück ließen: so trugen
sie mich lieber etliche Tage lang in Stöcken, an
Stricken gebunden und mit Binsen durchfloch-
ten, fort und nahmen alle die Mühe aus gu-
tem Herzen über sich, zu der sie ausserdem we-
der Furcht noch Belohnung würde fähig ge-
macht haben. Jch habe in dieser Krankheit
insonderheit den großen Unterschied gesehen,

der
A 5

Graͤfinn von G**
kaͤmet mir an einem Fluſſe entgegen. Wie
erſchrackt ihr, meine Liebenswuͤrdige, wie
ſchoͤn entſetztet ihr euch, mich wieder zu finden!
Jch erwachte uͤber dieſem Traume und lag auf
dem todten Landsmanne, und dankte dem
Himmel, ehe ich noch aufſtund, fuͤr dieſen
gluͤcklichen Traum. Die Freundſchaft, die
ich dem Sterbenden erwies, brachte mir die
Liebe von ſechs andern gemeinen Schweden zu
Wege, die bey ſeinem Tode zugegen waren.
Es gefiel ihnen, daß ich ihren Cameraden ſo
wohl zum Tode bereitet hatte. Sie baten
mich, daß ich eben das an ihnen thun moͤchte,
wenn ſie etwan auf den Marſche ſterben ſoll-
ten; ſie beeiferten ſich recht von dieſem Tage
an, mir zu dienen und darbten ſich oft das
friſche Waſſer ab, damit ſie es mir und Stee-
ley im Nothfalle anbieten koͤnnten. Jch ward
kurz darauf krank und konnte nicht mehr gehn,
ſo hinfaͤllig war ich. Allein ehe mich mei-
ne ſechs Landsleute zuruͤck ließen: ſo trugen
ſie mich lieber etliche Tage lang in Stoͤcken, an
Stricken gebunden und mit Binſen durchfloch-
ten, fort und nahmen alle die Muͤhe aus gu-
tem Herzen uͤber ſich, zu der ſie auſſerdem we-
der Furcht noch Belohnung wuͤrde faͤhig ge-
macht haben. Jch habe in dieſer Krankheit
inſonderheit den großen Unterſchied geſehen,

der
A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0009" n="9"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gra&#x0364;finn von G**</hi></fw><lb/>
ka&#x0364;met mir an einem Flu&#x017F;&#x017F;e entgegen. Wie<lb/>
er&#x017F;chrackt ihr, meine Liebenswu&#x0364;rdige, wie<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n ent&#x017F;etztet ihr euch, mich wieder zu finden!<lb/>
Jch erwachte u&#x0364;ber die&#x017F;em Traume und lag auf<lb/>
dem todten Landsmanne, und dankte dem<lb/>
Himmel, ehe ich noch auf&#x017F;tund, fu&#x0364;r die&#x017F;en<lb/>
glu&#x0364;cklichen Traum. Die Freund&#x017F;chaft, die<lb/>
ich dem Sterbenden erwies, brachte mir die<lb/>
Liebe von &#x017F;echs andern gemeinen Schweden zu<lb/>
Wege, die bey &#x017F;einem Tode zugegen waren.<lb/>
Es gefiel ihnen, daß ich ihren Cameraden &#x017F;o<lb/>
wohl zum Tode bereitet hatte. Sie baten<lb/>
mich, daß ich eben das an ihnen thun mo&#x0364;chte,<lb/>
wenn &#x017F;ie etwan auf den Mar&#x017F;che &#x017F;terben &#x017F;oll-<lb/>
ten; &#x017F;ie beeiferten &#x017F;ich recht von die&#x017F;em Tage<lb/>
an, mir zu dienen und darbten &#x017F;ich oft das<lb/>
fri&#x017F;che Wa&#x017F;&#x017F;er ab, damit &#x017F;ie es mir und Stee-<lb/>
ley im Nothfalle anbieten ko&#x0364;nnten. Jch ward<lb/>
kurz darauf krank und konnte nicht mehr gehn,<lb/>
&#x017F;o hinfa&#x0364;llig war ich. Allein ehe mich mei-<lb/>
ne &#x017F;echs Landsleute zuru&#x0364;ck ließen: &#x017F;o trugen<lb/>
&#x017F;ie mich lieber etliche Tage lang in Sto&#x0364;cken, an<lb/>
Stricken gebunden und mit Bin&#x017F;en durchfloch-<lb/>
ten, fort und nahmen alle die Mu&#x0364;he aus gu-<lb/>
tem Herzen u&#x0364;ber &#x017F;ich, zu der &#x017F;ie au&#x017F;&#x017F;erdem we-<lb/>
der Furcht noch Belohnung wu&#x0364;rde fa&#x0364;hig ge-<lb/>
macht haben. Jch habe in die&#x017F;er Krankheit<lb/>
in&#x017F;onderheit den großen Unter&#x017F;chied ge&#x017F;ehen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0009] Graͤfinn von G** kaͤmet mir an einem Fluſſe entgegen. Wie erſchrackt ihr, meine Liebenswuͤrdige, wie ſchoͤn entſetztet ihr euch, mich wieder zu finden! Jch erwachte uͤber dieſem Traume und lag auf dem todten Landsmanne, und dankte dem Himmel, ehe ich noch aufſtund, fuͤr dieſen gluͤcklichen Traum. Die Freundſchaft, die ich dem Sterbenden erwies, brachte mir die Liebe von ſechs andern gemeinen Schweden zu Wege, die bey ſeinem Tode zugegen waren. Es gefiel ihnen, daß ich ihren Cameraden ſo wohl zum Tode bereitet hatte. Sie baten mich, daß ich eben das an ihnen thun moͤchte, wenn ſie etwan auf den Marſche ſterben ſoll- ten; ſie beeiferten ſich recht von dieſem Tage an, mir zu dienen und darbten ſich oft das friſche Waſſer ab, damit ſie es mir und Stee- ley im Nothfalle anbieten koͤnnten. Jch ward kurz darauf krank und konnte nicht mehr gehn, ſo hinfaͤllig war ich. Allein ehe mich mei- ne ſechs Landsleute zuruͤck ließen: ſo trugen ſie mich lieber etliche Tage lang in Stoͤcken, an Stricken gebunden und mit Binſen durchfloch- ten, fort und nahmen alle die Muͤhe aus gu- tem Herzen uͤber ſich, zu der ſie auſſerdem we- der Furcht noch Belohnung wuͤrde faͤhig ge- macht haben. Jch habe in dieſer Krankheit inſonderheit den großen Unterſchied geſehen, der A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/9
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/9>, abgerufen am 24.11.2024.