Mein ganzes Vermögen seit meiner Ge- fangenschaft hat in zwanzig Thalern bestan- den, mit denen mich ein gemeiner Schwedi- scher Soldat unlängst beschenkt hat. Er starb einen Monat zuvor, ehe wir in der Stadt Mos- kau ankamen, an einer Wunde, und zwar in einer Nacht, die wir unter freyem Himmel zu- bringen mußten. Er hatte mir auf dem Mar- sche viele Dienste erwiesen, und ich belohnte seine Treue dadurch, daß ich die ganze Nacht bey ihm blieb und auf sein Verlangen mit ihm betete. Er hatte in seinem Brusttuche ein Goldstück von zwanzig Thalern eingenäht, wo- mit ihn seine Braut in Stockholm bey seinem Abschiede beschenkt. Dieses gab er mir und bat mich, wenn ich wieder nach Stockholm kommen sollte, seiner Braut seinen Tod zu mel- den und ihr einige Wohlthaten zu erzeigen. Jch schicke euch den Zeddel, in welchem das Geld eingewickelt war, und in welchem der Braut ihr Name steht. Wenn es möglich ist: so laßt ihr den Tod ihres Bräutigams melden, und schickt ihr für die zwanzig Thaler, die mir und meinem lieben Steeley so viele Dien- ste gethan haben, hundert. Als mein Lands- mann, der mich bis auf den letzten Augenblick bey der Hand hielt, todt war: so schlief ich neben ihm ein. Damals träumte mir, ihr
kä-
Leben der Schwediſchen
Mein ganzes Vermoͤgen ſeit meiner Ge- fangenſchaft hat in zwanzig Thalern beſtan- den, mit denen mich ein gemeiner Schwedi- ſcher Soldat unlaͤngſt beſchenkt hat. Er ſtarb einen Monat zuvor, ehe wir in der Stadt Mos- kau ankamen, an einer Wunde, und zwar in einer Nacht, die wir unter freyem Himmel zu- bringen mußten. Er hatte mir auf dem Mar- ſche viele Dienſte erwieſen, und ich belohnte ſeine Treue dadurch, daß ich die ganze Nacht bey ihm blieb und auf ſein Verlangen mit ihm betete. Er hatte in ſeinem Bruſttuche ein Goldſtuͤck von zwanzig Thalern eingenaͤht, wo- mit ihn ſeine Braut in Stockholm bey ſeinem Abſchiede beſchenkt. Dieſes gab er mir und bat mich, wenn ich wieder nach Stockholm kommen ſollte, ſeiner Braut ſeinen Tod zu mel- den und ihr einige Wohlthaten zu erzeigen. Jch ſchicke euch den Zeddel, in welchem das Geld eingewickelt war, und in welchem der Braut ihr Name ſteht. Wenn es moͤglich iſt: ſo laßt ihr den Tod ihres Braͤutigams melden, und ſchickt ihr fuͤr die zwanzig Thaler, die mir und meinem lieben Steeley ſo viele Dien- ſte gethan haben, hundert. Als mein Lands- mann, der mich bis auf den letzten Augenblick bey der Hand hielt, todt war: ſo ſchlief ich neben ihm ein. Damals traͤumte mir, ihr
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Leben der Schwediſchen
Mein ganzes Vermoͤgen ſeit meiner Ge-
fangenſchaft hat in zwanzig Thalern beſtan-
den, mit denen mich ein gemeiner Schwedi-
ſcher Soldat unlaͤngſt beſchenkt hat. Er ſtarb
einen Monat zuvor, ehe wir in der Stadt Mos-
kau ankamen, an einer Wunde, und zwar in
einer Nacht, die wir unter freyem Himmel zu-
bringen mußten. Er hatte mir auf dem Mar-
ſche viele Dienſte erwieſen, und ich belohnte
ſeine Treue dadurch, daß ich die ganze Nacht
bey ihm blieb und auf ſein Verlangen mit ihm
betete. Er hatte in ſeinem Bruſttuche ein
Goldſtuͤck von zwanzig Thalern eingenaͤht, wo-
mit ihn ſeine Braut in Stockholm bey ſeinem
Abſchiede beſchenkt. Dieſes gab er mir und
bat mich, wenn ich wieder nach Stockholm
kommen ſollte, ſeiner Braut ſeinen Tod zu mel-
den und ihr einige Wohlthaten zu erzeigen.
Jch ſchicke euch den Zeddel, in welchem das
Geld eingewickelt war, und in welchem der
Braut ihr Name ſteht. Wenn es moͤglich
iſt: ſo laßt ihr den Tod ihres Braͤutigams
melden, und ſchickt ihr fuͤr die zwanzig Thaler,
die mir und meinem lieben Steeley ſo viele Dien-
ſte gethan haben, hundert. Als mein Lands-
mann, der mich bis auf den letzten Augenblick
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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/8>, abgerufen am 16.07.2024.
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