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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
ren, den mir der Graf durch den Juden aus
Siberien geschickt: so baten wir den Andreas,
uns nur so lange Zeit zu lassen, bis ich diesen
Brief vollends laut hergelesen und der Graf
uns das, was wir noch umständlicher wissen
wollten, erzählt hätte; denn Caroline und R**
sassen bey uns. Ach, schrie er ganz ängstlich,
das könnt ihr in meinem Hause auch thun;
nehmt den Brief mit und verderbt mir meine
Freude nicht, oder ich reise gleich heute fort
und tractire euch gar nicht. Dieses treuher-
zige Compliment nöthigte uns, ihm gleich zu
folgen. Alles war in seinem Hause wider sei-
ne Gewohnheit aufgeputzt, und wir konnten
uns in seine grossen Anstalten gar nicht finden.
Jch weis nicht, sprach Caroline, was ich von
meinem Bruder denken soll. Wenn nur nicht
etwan aus diesem Geburtstage ein Hochzeit-
tag wird. Er thut mir zu froh und zu ge-
heimnißvoll. Wir scherzten mit ihm darüber,
als er uns den Thee auftrug, und er lachte auf
eine Art, als ob er es gern sähe, daß wir seine
kleine List erriethen. Leset nur euern Brief
vollends durch, fieng er an, ich will indessen
meine Braut holen, oder wenigstens meinen
Flaschenkeller zurechte machen. Er gieng
in das Nebenzimmer, und wir vertieften uns
wieder in den Brief. Jch fragte nach tausend

Klei-
II Theil. F

Graͤfinn von G**
ren, den mir der Graf durch den Juden aus
Siberien geſchickt: ſo baten wir den Andreas,
uns nur ſo lange Zeit zu laſſen, bis ich dieſen
Brief vollends laut hergeleſen und der Graf
uns das, was wir noch umſtaͤndlicher wiſſen
wollten, erzaͤhlt haͤtte; denn Caroline und R**
ſaſſen bey uns. Ach, ſchrie er ganz aͤngſtlich,
das koͤnnt ihr in meinem Hauſe auch thun;
nehmt den Brief mit und verderbt mir meine
Freude nicht, oder ich reiſe gleich heute fort
und tractire euch gar nicht. Dieſes treuher-
zige Compliment noͤthigte uns, ihm gleich zu
folgen. Alles war in ſeinem Hauſe wider ſei-
ne Gewohnheit aufgeputzt, und wir konnten
uns in ſeine groſſen Anſtalten gar nicht finden.
Jch weis nicht, ſprach Caroline, was ich von
meinem Bruder denken ſoll. Wenn nur nicht
etwan aus dieſem Geburtstage ein Hochzeit-
tag wird. Er thut mir zu froh und zu ge-
heimnißvoll. Wir ſcherzten mit ihm daruͤber,
als er uns den Thee auftrug, und er lachte auf
eine Art, als ob er es gern ſaͤhe, daß wir ſeine
kleine Liſt erriethen. Leſet nur euern Brief
vollends durch, fieng er an, ich will indeſſen
meine Braut holen, oder wenigſtens meinen
Flaſchenkeller zurechte machen. Er gieng
in das Nebenzimmer, und wir vertieften uns
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II Theil. F
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[81/0081] Graͤfinn von G** ren, den mir der Graf durch den Juden aus Siberien geſchickt: ſo baten wir den Andreas, uns nur ſo lange Zeit zu laſſen, bis ich dieſen Brief vollends laut hergeleſen und der Graf uns das, was wir noch umſtaͤndlicher wiſſen wollten, erzaͤhlt haͤtte; denn Caroline und R** ſaſſen bey uns. Ach, ſchrie er ganz aͤngſtlich, das koͤnnt ihr in meinem Hauſe auch thun; nehmt den Brief mit und verderbt mir meine Freude nicht, oder ich reiſe gleich heute fort und tractire euch gar nicht. Dieſes treuher- zige Compliment noͤthigte uns, ihm gleich zu folgen. Alles war in ſeinem Hauſe wider ſei- ne Gewohnheit aufgeputzt, und wir konnten uns in ſeine groſſen Anſtalten gar nicht finden. Jch weis nicht, ſprach Caroline, was ich von meinem Bruder denken ſoll. Wenn nur nicht etwan aus dieſem Geburtstage ein Hochzeit- tag wird. Er thut mir zu froh und zu ge- heimnißvoll. Wir ſcherzten mit ihm daruͤber, als er uns den Thee auftrug, und er lachte auf eine Art, als ob er es gern ſaͤhe, daß wir ſeine kleine Liſt erriethen. Leſet nur euern Brief vollends durch, fieng er an, ich will indeſſen meine Braut holen, oder wenigſtens meinen Flaſchenkeller zurechte machen. Er gieng in das Nebenzimmer, und wir vertieften uns wieder in den Brief. Jch fragte nach tauſend Klei- II Theil. F

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/81>, abgerufen am 28.04.2024.