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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
thigt hatten. Mein Gemahl war ausseror-
dentlich erfreut, daß er diesem wackern Man-
ne einige Gefälligkeiten erzeigen konnte, und
er selbst war eben so froh, daß er meinen Ge-
mahl so unvermuthet und so glück[lic]h angetrof-
fen. Er überreichte mir den Brief aus Si-
berien, den ich schon eingerückt habe, und ver-
sicherte mich, daß er sich in Liefland und Dän-
nemark sehr sorgfältig nach mir erkundigt und
doch nicht das Geringste von meinem Auffent-
halte hätte erfahren können. Sein Herz war
wirklich seiner ehrlichen und einfältigen Mine
gleich, und seine Sitten gefielen durch sein
Herz. Er war schon bey Jahren und sein
grauer Bart und sein langer pohlnischer Pelz
gaben ihm ein recht ehrwürdiges Ansehn. Die
freundschaftliche Art, mit der wir mit ihm um-
giengen und ihm unsere Erkenntlichkeit zu be-
zeigen suchten, rührte ihn ausnehmend.
Als wir das erstemal von der Tafel aufstun-
den: so ward der gute Mann ganz betrübt.
Mein Gemahl fragte ihn um die Ursache. Ach
sprach der Alte, wenn ich nur so glücklich seyn
könnte, noch etliche Stunden bey ihnen zu
bleiben! Jch habe mein Tage kein solch Ver-
gnügen gehabt, und niemand ist noch so groß-
müthig mit mir umgegangen, als sie thun.
Der Graf nahm ihn bey der Hand und führte

ihn

Graͤfinn von G**
thigt hatten. Mein Gemahl war auſſeror-
dentlich erfreut, daß er dieſem wackern Man-
ne einige Gefaͤlligkeiten erzeigen konnte, und
er ſelbſt war eben ſo froh, daß er meinen Ge-
mahl ſo unvermuthet und ſo gluͤck[lic]h angetrof-
fen. Er uͤberreichte mir den Brief aus Si-
berien, den ich ſchon eingeruͤckt habe, und ver-
ſicherte mich, daß er ſich in Liefland und Daͤn-
nemark ſehr ſorgfaͤltig nach mir erkundigt und
doch nicht das Geringſte von meinem Auffent-
halte haͤtte erfahren koͤnnen. Sein Herz war
wirklich ſeiner ehrlichen und einfaͤltigen Mine
gleich, und ſeine Sitten gefielen durch ſein
Herz. Er war ſchon bey Jahren und ſein
grauer Bart und ſein langer pohlniſcher Pelz
gaben ihm ein recht ehrwuͤrdiges Anſehn. Die
freundſchaftliche Art, mit der wir mit ihm um-
giengen und ihm unſere Erkenntlichkeit zu be-
zeigen ſuchten, ruͤhrte ihn ausnehmend.
Als wir das erſtemal von der Tafel aufſtun-
den: ſo ward der gute Mann ganz betruͤbt.
Mein Gemahl fragte ihn um die Urſache. Ach
ſprach der Alte, wenn ich nur ſo gluͤcklich ſeyn
koͤnnte, noch etliche Stunden bey ihnen zu
bleiben! Jch habe mein Tage kein ſolch Ver-
gnuͤgen gehabt, und niemand iſt noch ſo groß-
muͤthig mit mir umgegangen, als ſie thun.
Der Graf nahm ihn bey der Hand und fuͤhrte

ihn
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[77/0077] Graͤfinn von G** thigt hatten. Mein Gemahl war auſſeror- dentlich erfreut, daß er dieſem wackern Man- ne einige Gefaͤlligkeiten erzeigen konnte, und er ſelbſt war eben ſo froh, daß er meinen Ge- mahl ſo unvermuthet und ſo gluͤcklich angetrof- fen. Er uͤberreichte mir den Brief aus Si- berien, den ich ſchon eingeruͤckt habe, und ver- ſicherte mich, daß er ſich in Liefland und Daͤn- nemark ſehr ſorgfaͤltig nach mir erkundigt und doch nicht das Geringſte von meinem Auffent- halte haͤtte erfahren koͤnnen. Sein Herz war wirklich ſeiner ehrlichen und einfaͤltigen Mine gleich, und ſeine Sitten gefielen durch ſein Herz. Er war ſchon bey Jahren und ſein grauer Bart und ſein langer pohlniſcher Pelz gaben ihm ein recht ehrwuͤrdiges Anſehn. Die freundſchaftliche Art, mit der wir mit ihm um- giengen und ihm unſere Erkenntlichkeit zu be- zeigen ſuchten, ruͤhrte ihn ausnehmend. Als wir das erſtemal von der Tafel aufſtun- den: ſo ward der gute Mann ganz betruͤbt. Mein Gemahl fragte ihn um die Urſache. Ach ſprach der Alte, wenn ich nur ſo gluͤcklich ſeyn koͤnnte, noch etliche Stunden bey ihnen zu bleiben! Jch habe mein Tage kein ſolch Ver- gnuͤgen gehabt, und niemand iſt noch ſo groß- muͤthig mit mir umgegangen, als ſie thun. Der Graf nahm ihn bey der Hand und fuͤhrte ihn

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/77>, abgerufen am 27.04.2024.