[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Gräfinn von G** und den Wagen am Wege halten liessen, einjämmerliches Gewinsel. Wir näherten uns ungeachtet des tiefen Grases dem Orte, mo der Schall herkam, und fanden eine junge Wei- besperson, welche die Schmerzen der Geburt kaum überstanden hatte und in eiuem hülflo- sen Zustande da lag. Herr R** der bey uns war, fuhr den Augenblick in das nächste Land- haus, um ein Weib und andre Bedürfnisse für die Geburt herbey zu holen, und ich machte mich indessen um diese Unglückliche so gut ver- dient, als es die Nothwendigkeit erforderte. Jch konnte aus ihrem Anzuge schliessen, daß sie keine der Vornehmsten und keine der Ge- ringsten war, und ihre Jugend und ihre gute Bildung war genug, uns einen Theil von ih- rem Schicksale zu erklären, weil sie selbst nichts, als etliche unvernehmliche Worte, hervorbrin- gen konnte. Herr R** kam mit einigen Weibern zurück und wir liessen die unbekann- te Elende auf unserm Wagen in das nächste Dorf bringen, und kehrten zu Fusse in die Stadt. Nun, sprach der Graf, indem wir zurückgiengen, dieser Spaziergang ist viel werth. Wie schön wird sichs in den Gedan- ken einschlafen lassen, daß wir zwoen Personen das Leben auf einmal erhalten haben! Das arme Mädchen ist vermuthlich aus Furcht der Schan- E 5
Graͤfinn von G** und den Wagen am Wege halten lieſſen, einjaͤmmerliches Gewinſel. Wir naͤherten uns ungeachtet des tiefen Graſes dem Orte, mo der Schall herkam, und fanden eine junge Wei- besperſon, welche die Schmerzen der Geburt kaum uͤberſtanden hatte und in eiuem huͤlflo- ſen Zuſtande da lag. Herr R** der bey uns war, fuhr den Augenblick in das naͤchſte Land- haus, um ein Weib und andre Beduͤrfniſſe fuͤr die Geburt herbey zu holen, und ich machte mich indeſſen um dieſe Ungluͤckliche ſo gut ver- dient, als es die Nothwendigkeit erforderte. Jch konnte aus ihrem Anzuge ſchlieſſen, daß ſie keine der Vornehmſten und keine der Ge- ringſten war, und ihre Jugend und ihre gute Bildung war genug, uns einen Theil von ih- rem Schickſale zu erklaͤren, weil ſie ſelbſt nichts, als etliche unvernehmliche Worte, hervorbrin- gen konnte. Herr R** kam mit einigen Weibern zuruͤck und wir lieſſen die unbekann- te Elende auf unſerm Wagen in das naͤchſte Dorf bringen, und kehrten zu Fuſſe in die Stadt. Nun, ſprach der Graf, indem wir zuruͤckgiengen, dieſer Spaziergang iſt viel werth. Wie ſchoͤn wird ſichs in den Gedan- ken einſchlafen laſſen, daß wir zwoen Perſonen das Leben auf einmal erhalten haben! Das arme Maͤdchen iſt vermuthlich aus Furcht der Schan- E 5
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Graͤfinn von G**
und den Wagen am Wege halten lieſſen, ein
jaͤmmerliches Gewinſel. Wir naͤherten uns
ungeachtet des tiefen Graſes dem Orte, mo der
Schall herkam, und fanden eine junge Wei-
besperſon, welche die Schmerzen der Geburt
kaum uͤberſtanden hatte und in eiuem huͤlflo-
ſen Zuſtande da lag. Herr R** der bey uns
war, fuhr den Augenblick in das naͤchſte Land-
haus, um ein Weib und andre Beduͤrfniſſe fuͤr
die Geburt herbey zu holen, und ich machte
mich indeſſen um dieſe Ungluͤckliche ſo gut ver-
dient, als es die Nothwendigkeit erforderte.
Jch konnte aus ihrem Anzuge ſchlieſſen, daß
ſie keine der Vornehmſten und keine der Ge-
ringſten war, und ihre Jugend und ihre gute
Bildung war genug, uns einen Theil von ih-
rem Schickſale zu erklaͤren, weil ſie ſelbſt nichts,
als etliche unvernehmliche Worte, hervorbrin-
gen konnte. Herr R** kam mit einigen
Weibern zuruͤck und wir lieſſen die unbekann-
te Elende auf unſerm Wagen in das naͤchſte
Dorf bringen, und kehrten zu Fuſſe in die
Stadt. Nun, ſprach der Graf, indem wir
zuruͤckgiengen, dieſer Spaziergang iſt viel
werth. Wie ſchoͤn wird ſichs in den Gedan-
ken einſchlafen laſſen, daß wir zwoen Perſonen
das Leben auf einmal erhalten haben! Das
arme Maͤdchen iſt vermuthlich aus Furcht der
Schan-
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