[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Leben der Schwedischen Schande von ihrem Geburtsorte geflüchtet.Wer weis, welcher Betrüger sie unter dem Versprechen der Ehe um ihre Unschuld ge- bracht hat. Jch fuhr mit anbrechendem Ta- ge nebst Carolinen auf das Dorf und wir fan- den die Unglückliche mit ihrem Kinde auf den Armen, in Thränen zerfliessen. Sie war nicht allein wohl gebildet, sie war ausnehmend schön, und eine gewisse schamhafte Mine ent- schuldigte ihren Fehler zum voraus. Die Lie- be, sprach sie, oder vielmehr ein Liebhaber hat mich unglücklicher gemacht, als ich zu seyn ver- diene. Jch habe mich mit ihm seit zwey Jah- ren versprochen; allein ein bejahrter Vor- mund, unter dem ich stehe und der mir sein eigen Herz aufdringen wollte, hat unsre Ver- bindung verhindert. Mein Bräutigamm, ei- nes Pachters Sohn bey Leiden, hat mich mit meinem Willen entführt, und mir versprochen, sich im Haag mit mir nieder zu lassen und die Handlung zu treiben. Als wir gestern Mor- gen in die Gegend kamen, wo ihr mich ange- troffen, sah ich mich durch eine Unpäßlichkeit genöthigt, vom Wagen abzusteigen. Mein bis dahin getreuer Liebhaber führte mich in dem Felde herum, um mich durch die Bewe- gung wieder zu mir selber zu bringen. Jch mußte mich endlich niedersetzen, und sobald er
Leben der Schwediſchen Schande von ihrem Geburtsorte gefluͤchtet.Wer weis, welcher Betruͤger ſie unter dem Verſprechen der Ehe um ihre Unſchuld ge- bracht hat. Jch fuhr mit anbrechendem Ta- ge nebſt Carolinen auf das Dorf und wir fan- den die Ungluͤckliche mit ihrem Kinde auf den Armen, in Thraͤnen zerflieſſen. Sie war nicht allein wohl gebildet, ſie war ausnehmend ſchoͤn, und eine gewiſſe ſchamhafte Mine ent- ſchuldigte ihren Fehler zum voraus. Die Lie- be, ſprach ſie, oder vielmehr ein Liebhaber hat mich ungluͤcklicher gemacht, als ich zu ſeyn ver- diene. Jch habe mich mit ihm ſeit zwey Jah- ren verſprochen; allein ein bejahrter Vor- mund, unter dem ich ſtehe und der mir ſein eigen Herz aufdringen wollte, hat unſre Ver- bindung verhindert. Mein Braͤutigamm, ei- nes Pachters Sohn bey Leiden, hat mich mit meinem Willen entfuͤhrt, und mir verſprochen, ſich im Haag mit mir nieder zu laſſen und die Handlung zu treiben. Als wir geſtern Mor- gen in die Gegend kamen, wo ihr mich ange- troffen, ſah ich mich durch eine Unpaͤßlichkeit genoͤthigt, vom Wagen abzuſteigen. Mein bis dahin getreuer Liebhaber fuͤhrte mich in dem Felde herum, um mich durch die Bewe- gung wieder zu mir ſelber zu bringen. Jch mußte mich endlich niederſetzen, und ſobald er
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Leben der Schwediſchen
Schande von ihrem Geburtsorte gefluͤchtet.
Wer weis, welcher Betruͤger ſie unter dem
Verſprechen der Ehe um ihre Unſchuld ge-
bracht hat. Jch fuhr mit anbrechendem Ta-
ge nebſt Carolinen auf das Dorf und wir fan-
den die Ungluͤckliche mit ihrem Kinde auf den
Armen, in Thraͤnen zerflieſſen. Sie war nicht
allein wohl gebildet, ſie war ausnehmend
ſchoͤn, und eine gewiſſe ſchamhafte Mine ent-
ſchuldigte ihren Fehler zum voraus. Die Lie-
be, ſprach ſie, oder vielmehr ein Liebhaber hat
mich ungluͤcklicher gemacht, als ich zu ſeyn ver-
diene. Jch habe mich mit ihm ſeit zwey Jah-
ren verſprochen; allein ein bejahrter Vor-
mund, unter dem ich ſtehe und der mir ſein
eigen Herz aufdringen wollte, hat unſre Ver-
bindung verhindert. Mein Braͤutigamm, ei-
nes Pachters Sohn bey Leiden, hat mich mit
meinem Willen entfuͤhrt, und mir verſprochen,
ſich im Haag mit mir nieder zu laſſen und die
Handlung zu treiben. Als wir geſtern Mor-
gen in die Gegend kamen, wo ihr mich ange-
troffen, ſah ich mich durch eine Unpaͤßlichkeit
genoͤthigt, vom Wagen abzuſteigen. Mein
bis dahin getreuer Liebhaber fuͤhrte mich in
dem Felde herum, um mich durch die Bewe-
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Zitationshilfe: | [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/74>, abgerufen am 16.02.2025. |