[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Leben der Schwedischen ken der Gutthätigkeit an. Er erkundigte sichnach elenden und unglücklichen Personen; mit einem Worte, Arme, Kranke und Gefangene an diesem Tage zu erquicken und aufrichten zu lassen, das war seine Zufriedenheit. Oft ließ er auch einige von denen, die schon unter dem Elende grau geworden waren zu sich rufen, und sie an einem Tische zusammen speisen. Es war ihm freylich lieb, wenn er wußte daß es Leute waren, welche die Gutthat ver- dienttn; allein er stellte deswegen nicht die strengsten Untersuchungen an. Vielleicht, sprach er, lassen sie sich durch die Wohlthaten bessern, wenn sie boshaft gewesen sind; laßt sie auch der Wohlthat unwerth seyn: sie sind doch Menschen. Wenn er hörte, daß sie mit dem Essen bald fertig waren: so gieng er zu ihnen und ließ sich ihr Schicksal erzählen. Fand er eine Person darunter, die ein edles Herz hatte: so nahm er sich ihrer ins beson- dre an. R** war sein Gehülfe in dieser Tugend, und wem sie beide nicht als Wohl- thäter dienen konnten, dem dienten sie doch als vernünftige Rathgeber. Wir fuhren ge- meiniglich an diesen Tagen etliche Stunden in die Felder, oder in die Gärten, spatziren. Ein- mal hörten wir des Abends, indem wir bey dem Mondenscheine durch die Wiesen giengen und
Leben der Schwediſchen ken der Gutthaͤtigkeit an. Er erkundigte ſichnach elenden und ungluͤcklichen Perſonen; mit einem Worte, Arme, Kranke und Gefangene an dieſem Tage zu erquicken und aufrichten zu laſſen, das war ſeine Zufriedenheit. Oft ließ er auch einige von denen, die ſchon unter dem Elende grau geworden waren zu ſich rufen, und ſie an einem Tiſche zuſammen ſpeiſen. Es war ihm freylich lieb, wenn er wußte daß es Leute waren, welche die Gutthat ver- dienttn; allein er ſtellte deswegen nicht die ſtrengſten Unterſuchungen an. Vielleicht, ſprach er, laſſen ſie ſich durch die Wohlthaten beſſern, wenn ſie boshaft geweſen ſind; laßt ſie auch der Wohlthat unwerth ſeyn: ſie ſind doch Menſchen. Wenn er hoͤrte, daß ſie mit dem Eſſen bald fertig waren: ſo gieng er zu ihnen und ließ ſich ihr Schickſal erzaͤhlen. Fand er eine Perſon darunter, die ein edles Herz hatte: ſo nahm er ſich ihrer ins beſon- dre an. R** war ſein Gehuͤlfe in dieſer Tugend, und wem ſie beide nicht als Wohl- thaͤter dienen konnten, dem dienten ſie doch als vernuͤnftige Rathgeber. Wir fuhren ge- meiniglich an dieſen Tagen etliche Stunden in die Felder, oder in die Gaͤrten, ſpatziren. Ein- mal hoͤrten wir des Abends, indem wir bey dem Mondenſcheine durch die Wieſen giengen und
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Leben der Schwediſchen
ken der Gutthaͤtigkeit an. Er erkundigte ſich
nach elenden und ungluͤcklichen Perſonen; mit
einem Worte, Arme, Kranke und Gefangene
an dieſem Tage zu erquicken und aufrichten zu
laſſen, das war ſeine Zufriedenheit. Oft ließ
er auch einige von denen, die ſchon unter dem
Elende grau geworden waren zu ſich rufen,
und ſie an einem Tiſche zuſammen ſpeiſen.
Es war ihm freylich lieb, wenn er wußte daß
es Leute waren, welche die Gutthat ver-
dienttn; allein er ſtellte deswegen nicht die
ſtrengſten Unterſuchungen an. Vielleicht,
ſprach er, laſſen ſie ſich durch die Wohlthaten
beſſern, wenn ſie boshaft geweſen ſind; laßt
ſie auch der Wohlthat unwerth ſeyn: ſie ſind
doch Menſchen. Wenn er hoͤrte, daß ſie mit
dem Eſſen bald fertig waren: ſo gieng er zu
ihnen und ließ ſich ihr Schickſal erzaͤhlen.
Fand er eine Perſon darunter, die ein edles
Herz hatte: ſo nahm er ſich ihrer ins beſon-
dre an. R** war ſein Gehuͤlfe in dieſer
Tugend, und wem ſie beide nicht als Wohl-
thaͤter dienen konnten, dem dienten ſie doch
als vernuͤnftige Rathgeber. Wir fuhren ge-
meiniglich an dieſen Tagen etliche Stunden in
die Felder, oder in die Gaͤrten, ſpatziren. Ein-
mal hoͤrten wir des Abends, indem wir bey
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