Jch eile nunmehr zu dem letzten Periode dieser Geschichte, nämlich zu dem, was nach der Rückkunft meines Gemahls erfolgt ist. Wir lebten in unserer zweyten Ehe, wenn ich so reden darf, vollkommen zufrieden, und mein Gemahl schmeckte auf sein erlittenes Ungemach die Freuden der Liebe und der Ruhe gedoppelt. Er blühte in meinen Armen wieder auf und be- kam die erste Lebhaftigkeit wieder, von der ihm das Unglück einen grossen Theil entzogen hat- te. Die ersten Monate verstrichen uns in der Gesellschaft der Mariane und des Herrn R** meistens unter wechselseitigen Erzählungen. Nichts war kläglicher, als da ich ihm| einsmals meine Heyrath und die Geschichte meiner Ehe mit dem Herrn R** und zwar in dem Beyseyn desselben umständlich erzählen sollte. Der Graf hatte mich die ganze Zeit über bey der Hand, als wollte er mir einen Muth einsprechen. Jch fieng die Erzählung mit vieler Dreistigkeit an. Jch war von der Liebe meines Grafen völlig überzeugt: ich wußte, daß ich ihm niemals untreu geworden seyn würde, wenn ich nur die geringste Nachricht von seinem Leben ge- habt hätte. Allein alles dieses langte nicht zu, mich in meiner Erzählung zu unterstützen. Jch wollte aufrichtig und doch auch behutsam sprechen; und ie mehr ich redete, desto mehr
fühl-
E 3
Graͤfinn von G**
Jch eile nunmehr zu dem letzten Periode dieſer Geſchichte, naͤmlich zu dem, was nach der Ruͤckkunft meines Gemahls erfolgt iſt. Wir lebten in unſerer zweyten Ehe, wenn ich ſo reden darf, vollkommen zufrieden, und mein Gemahl ſchmeckte auf ſein erlittenes Ungemach die Freuden der Liebe und der Ruhe gedoppelt. Er bluͤhte in meinen Armen wieder auf und be- kam die erſte Lebhaftigkeit wieder, von der ihm das Ungluͤck einen groſſen Theil entzogen hat- te. Die erſten Monate verſtrichen uns in der Geſellſchaft der Mariane und des Herrn R** meiſtens unter wechſelſeitigen Erzaͤhlungen. Nichts war klaͤglicher, als da ich ihm| einsmals meine Heyrath und die Geſchichte meiner Ehe mit dem Herrn R** und zwar in dem Beyſeyn deſſelben umſtaͤndlich erzaͤhlen ſollte. Der Graf hatte mich die ganze Zeit uͤber bey der Hand, als wollte er mir einen Muth einſprechen. Jch fieng die Erzaͤhlung mit vieler Dreiſtigkeit an. Jch war von der Liebe meines Grafen voͤllig uͤberzeugt: ich wußte, daß ich ihm niemals untreu geworden ſeyn wuͤrde, wenn ich nur die geringſte Nachricht von ſeinem Leben ge- habt haͤtte. Allein alles dieſes langte nicht zu, mich in meiner Erzaͤhlung zu unterſtuͤtzen. Jch wollte aufrichtig und doch auch behutſam ſprechen; und ie mehr ich redete, deſto mehr
fuͤhl-
E 3
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Graͤfinn von G**
Jch eile nunmehr zu dem letzten Periode
dieſer Geſchichte, naͤmlich zu dem, was nach
der Ruͤckkunft meines Gemahls erfolgt iſt.
Wir lebten in unſerer zweyten Ehe, wenn ich
ſo reden darf, vollkommen zufrieden, und mein
Gemahl ſchmeckte auf ſein erlittenes Ungemach
die Freuden der Liebe und der Ruhe gedoppelt.
Er bluͤhte in meinen Armen wieder auf und be-
kam die erſte Lebhaftigkeit wieder, von der ihm
das Ungluͤck einen groſſen Theil entzogen hat-
te. Die erſten Monate verſtrichen uns in der
Geſellſchaft der Mariane und des Herrn R**
meiſtens unter wechſelſeitigen Erzaͤhlungen.
Nichts war klaͤglicher, als da ich ihm| einsmals
meine Heyrath und die Geſchichte meiner Ehe
mit dem Herrn R** und zwar in dem Beyſeyn
deſſelben umſtaͤndlich erzaͤhlen ſollte. Der Graf
hatte mich die ganze Zeit uͤber bey der Hand,
als wollte er mir einen Muth einſprechen. Jch
fieng die Erzaͤhlung mit vieler Dreiſtigkeit an.
Jch war von der Liebe meines Grafen voͤllig
uͤberzeugt: ich wußte, daß ich ihm niemals
untreu geworden ſeyn wuͤrde, wenn ich nur
die geringſte Nachricht von ſeinem Leben ge-
habt haͤtte. Allein alles dieſes langte nicht
zu, mich in meiner Erzaͤhlung zu unterſtuͤtzen.
Jch wollte aufrichtig und doch auch behutſam
ſprechen; und ie mehr ich redete, deſto mehr
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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/69>, abgerufen am 16.02.2025.
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