[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Leben der Schwedischen als ob ich schon die größte Untreue an ihm be-gangen hätte. Jch ließ seinen Affect ausre- den, und nach einem kleinen Verweise, sah ich ihn beschämt und gelassen genug, ihm mein Herz zu entdecken und ihn zu überführen, wie unvollkommen mir meine Freyheit ohne die sei- nige wäre. Jch nahm mit dem Juden die Abrede, daß er mir das Drittel von meinem Gelde zur Reise geben und das Uebrige für Steeleyn zurück behalten und uns für seine Mühe, so viel er wollte, abziehn sollte. Der Jude war vorsichtiger, als ich. Er sagte mir, daß ich wenig baar Geld mitnehmen sollte; weil ich in der Gefahr stünde, auf der Reise nach Moskau zehnmal darum zu kommen. Er gab mir etwas weniges baar, und tausend Thaler und darüber in vier Wechseln an Ju- den in Moskau, damit ich, wenn ich einen verlöre, doch nicht um alles käme; so ehrlich handelte dieser Mann an mir. Jch ward noch vor dem Abend zu dem Gouverneur gerufen. Er lag an dem Podagra krank und kündigte mir meine Freyheit auf dem Bette, im Bey- seyn seiner [G]emahlinn an. Er reichte nur die Hand und sagte: ich habe Befehl, euch wie- der nach Moskau zu schicken, und es soll Mor- gen zu Mittage geschehn. Jch verliere euch zwar ungern; aber reiset mir Gott und seyd glück-
Leben der Schwediſchen als ob ich ſchon die groͤßte Untreue an ihm be-gangen haͤtte. Jch ließ ſeinen Affect ausre- den, und nach einem kleinen Verweiſe, ſah ich ihn beſchaͤmt und gelaſſen genug, ihm mein Herz zu entdecken und ihn zu uͤberfuͤhren, wie unvollkommen mir meine Freyheit ohne die ſei- nige waͤre. Jch nahm mit dem Juden die Abrede, daß er mir das Drittel von meinem Gelde zur Reiſe geben und das Uebrige fuͤr Steeleyn zuruͤck behalten und uns fuͤr ſeine Muͤhe, ſo viel er wollte, abziehn ſollte. Der Jude war vorſichtiger, als ich. Er ſagte mir, daß ich wenig baar Geld mitnehmen ſollte; weil ich in der Gefahr ſtuͤnde, auf der Reiſe nach Moskau zehnmal darum zu kommen. Er gab mir etwas weniges baar, und tauſend Thaler und daruͤber in vier Wechſeln an Ju- den in Moskau, damit ich, wenn ich einen verloͤre, doch nicht um alles kaͤme; ſo ehrlich handelte dieſer Mann an mir. Jch ward noch vor dem Abend zu dem Gouverneur gerufen. Er lag an dem Podagra krank und kuͤndigte mir meine Freyheit auf dem Bette, im Bey- ſeyn ſeiner [G]emahlinn an. Er reichte nur die Hand und ſagte: ich habe Befehl, euch wie- der nach Moskau zu ſchicken, und es ſoll Mor- gen zu Mittage geſchehn. Jch verliere euch zwar ungern; aber reiſet mir Gott und ſeyd gluͤck-
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Leben der Schwediſchen
als ob ich ſchon die groͤßte Untreue an ihm be-
gangen haͤtte. Jch ließ ſeinen Affect ausre-
den, und nach einem kleinen Verweiſe, ſah ich
ihn beſchaͤmt und gelaſſen genug, ihm mein
Herz zu entdecken und ihn zu uͤberfuͤhren, wie
unvollkommen mir meine Freyheit ohne die ſei-
nige waͤre. Jch nahm mit dem Juden die
Abrede, daß er mir das Drittel von meinem
Gelde zur Reiſe geben und das Uebrige fuͤr
Steeleyn zuruͤck behalten und uns fuͤr ſeine
Muͤhe, ſo viel er wollte, abziehn ſollte. Der
Jude war vorſichtiger, als ich. Er ſagte mir,
daß ich wenig baar Geld mitnehmen ſollte;
weil ich in der Gefahr ſtuͤnde, auf der Reiſe
nach Moskau zehnmal darum zu kommen. Er
gab mir etwas weniges baar, und tauſend
Thaler und daruͤber in vier Wechſeln an Ju-
den in Moskau, damit ich, wenn ich einen
verloͤre, doch nicht um alles kaͤme; ſo ehrlich
handelte dieſer Mann an mir. Jch ward noch
vor dem Abend zu dem Gouverneur gerufen.
Er lag an dem Podagra krank und kuͤndigte
mir meine Freyheit auf dem Bette, im Bey-
ſeyn ſeiner Gemahlinn an. Er reichte nur die
Hand und ſagte: ich habe Befehl, euch wie-
der nach Moskau zu ſchicken, und es ſoll Mor-
gen zu Mittage geſchehn. Jch verliere euch
zwar ungern; aber reiſet mir Gott und ſeyd
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