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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
glücklicher, als ihr bisher gewesen. Jch küß-
te ihm die Hand aus einer wahren Dankbar-
keit und bat um seine fernere Gnade für Stee-
leyn. Wenn ich lebe, sprach er, so soll es ihm
nicht schlechter ergehn, als zeither. Er hieß
mich niedersitzen, (eine Ehre, die er mir zum
ersten male erwies) und sagte, daß er noch viel
mit mir zu reden hätte; allein seine Schmer-
zen meldeten sich so heftig, daß er mir winkte,
ihn zu verlassen. Jch that es, und wieder-
holte seiner Gemahlinn im Herausgehn durch
eine dankbare Mine die Grösse meiner Ver-
bindlichkeit und ihrer Wohlthat. Lebt wohl,
mein Herr, sprach sie, und wandte sich den Au-
gendlick wieder zu ihrem Gemahle. Sobald
ich wieder bey Steeleyn war; so schrieb ich
an meine Erretterinn, weil ich dieser großmü-
thigen Seele nicht mündlich hatte danken kön-
nen. Jch gab den Brief dem Juden, der un-
terdessen die Wechsel besorgt und mir Pelze
und andere Nothwendigkeiten geschafft hatte,
um mich vor der grossen Kälte zu schützen.
Nunmehr war alles verrichtet, und nun über-
ließ ich mich meinem Freunde die ganze Nacht
hindurch. Wir redten, wir weinten, und em-
pfanden alles, was wir nur nach unsern ver-
schiednen Umständen empfinden konnten. Der
Morgen übereilte uns, und eben so der Mit-

tag,

Graͤfinn von G**
gluͤcklicher, als ihr bisher geweſen. Jch kuͤß-
te ihm die Hand aus einer wahren Dankbar-
keit und bat um ſeine fernere Gnade fuͤr Stee-
leyn. Wenn ich lebe, ſprach er, ſo ſoll es ihm
nicht ſchlechter ergehn, als zeither. Er hieß
mich niederſitzen, (eine Ehre, die er mir zum
erſten male erwies) und ſagte, daß er noch viel
mit mir zu reden haͤtte; allein ſeine Schmer-
zen meldeten ſich ſo heftig, daß er mir winkte,
ihn zu verlaſſen. Jch that es, und wieder-
holte ſeiner Gemahlinn im Herausgehn durch
eine dankbare Mine die Groͤſſe meiner Ver-
bindlichkeit und ihrer Wohlthat. Lebt wohl,
mein Herr, ſprach ſie, und wandte ſich den Au-
gendlick wieder zu ihrem Gemahle. Sobald
ich wieder bey Steeleyn war; ſo ſchrieb ich
an meine Erretterinn, weil ich dieſer großmuͤ-
thigen Seele nicht muͤndlich hatte danken koͤn-
nen. Jch gab den Brief dem Juden, der un-
terdeſſen die Wechſel beſorgt und mir Pelze
und andere Nothwendigkeiten geſchafft hatte,
um mich vor der groſſen Kaͤlte zu ſchuͤtzen.
Nunmehr war alles verrichtet, und nun uͤber-
ließ ich mich meinem Freunde die ganze Nacht
hindurch. Wir redten, wir weinten, und em-
pfanden alles, was wir nur nach unſern ver-
ſchiednen Umſtaͤnden empfinden konnten. Der
Morgen uͤbereilte uns, und eben ſo der Mit-

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[63/0063] Graͤfinn von G** gluͤcklicher, als ihr bisher geweſen. Jch kuͤß- te ihm die Hand aus einer wahren Dankbar- keit und bat um ſeine fernere Gnade fuͤr Stee- leyn. Wenn ich lebe, ſprach er, ſo ſoll es ihm nicht ſchlechter ergehn, als zeither. Er hieß mich niederſitzen, (eine Ehre, die er mir zum erſten male erwies) und ſagte, daß er noch viel mit mir zu reden haͤtte; allein ſeine Schmer- zen meldeten ſich ſo heftig, daß er mir winkte, ihn zu verlaſſen. Jch that es, und wieder- holte ſeiner Gemahlinn im Herausgehn durch eine dankbare Mine die Groͤſſe meiner Ver- bindlichkeit und ihrer Wohlthat. Lebt wohl, mein Herr, ſprach ſie, und wandte ſich den Au- gendlick wieder zu ihrem Gemahle. Sobald ich wieder bey Steeleyn war; ſo ſchrieb ich an meine Erretterinn, weil ich dieſer großmuͤ- thigen Seele nicht muͤndlich hatte danken koͤn- nen. Jch gab den Brief dem Juden, der un- terdeſſen die Wechſel beſorgt und mir Pelze und andere Nothwendigkeiten geſchafft hatte, um mich vor der groſſen Kaͤlte zu ſchuͤtzen. Nunmehr war alles verrichtet, und nun uͤber- ließ ich mich meinem Freunde die ganze Nacht hindurch. Wir redten, wir weinten, und em- pfanden alles, was wir nur nach unſern ver- ſchiednen Umſtaͤnden empfinden konnten. Der Morgen uͤbereilte uns, und eben ſo der Mit- tag,

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/63>, abgerufen am 28.04.2024.