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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Gräfinn von G**
ja. Jch habe noch eine Stiefschwester in Cur-
land, an die ich Jhnen den beyliegenden Brief
mitgebe. Sollten es ihre Umstände verlan-
gen: so glaube ich, daß sie sehr gut bey ihr
aufgehoben sind. Sie ist eine Witwe; doch
habe ich seit zwey Jahren keine Nachricht von
ihr. Leben Sie noch einmal wohl.

Amalia L**

Diesen Brief las ich und taumelte vor
Freuden in Steeleyns Arme, und wollte ihm
sagen, was darinne stünde; allein er wartete
meine Entzückungen nicht ab. Er riß mir ihn
aus der Hand und las ihn. Jch legte mich
mit dem Kopfe auf seine Achsel, um die Bewe-
gungen nicht mit anzusehn, die ihm die Nach-
richt von meiner Befreyung und seiner fort-
dauernden Gefangenschaft verursachen würde.
Jhr seyd frey, fieng er an, und ich verliere euch
und bleibe noch ein Gefangner und werde noch
unglücklicher, als zuvor? das ist schrecklich!
Hat euch der Himmel lieber, als mich? Doch
ich werde Zeit genug zu meinen Klagen haben,
wenn ihr nicht mehr bey mir seyd. Jch weis,
daß es euch unmöglich ist, mich zu vergessen.
Nein, fiel er mir um den Hals, ihr vergeßt mich
nicht. Jch konnte ihm vor Wehmuth lange
nicht antworten, und mein Stillschweigen, das
doch nichts als Liebe war, machte ihn so hitzig,

als

Graͤfinn von G**
ja. Jch habe noch eine Stiefſchweſter in Cur-
land, an die ich Jhnen den beyliegenden Brief
mitgebe. Sollten es ihre Umſtaͤnde verlan-
gen: ſo glaube ich, daß ſie ſehr gut bey ihr
aufgehoben ſind. Sie iſt eine Witwe; doch
habe ich ſeit zwey Jahren keine Nachricht von
ihr. Leben Sie noch einmal wohl.

Amalia L**

Dieſen Brief las ich und taumelte vor
Freuden in Steeleyns Arme, und wollte ihm
ſagen, was darinne ſtuͤnde; allein er wartete
meine Entzuͤckungen nicht ab. Er riß mir ihn
aus der Hand und las ihn. Jch legte mich
mit dem Kopfe auf ſeine Achſel, um die Bewe-
gungen nicht mit anzuſehn, die ihm die Nach-
richt von meiner Befreyung und ſeiner fort-
dauernden Gefangenſchaft verurſachen wuͤrde.
Jhr ſeyd frey, fieng er an, und ich verliere euch
und bleibe noch ein Gefangner und werde noch
ungluͤcklicher, als zuvor? das iſt ſchrecklich!
Hat euch der Himmel lieber, als mich? Doch
ich werde Zeit genug zu meinen Klagen haben,
wenn ihr nicht mehr bey mir ſeyd. Jch weis,
daß es euch unmoͤglich iſt, mich zu vergeſſen.
Nein, fiel er mir um den Hals, ihr vergeßt mich
nicht. Jch konnte ihm vor Wehmuth lange
nicht antworten, und mein Stillſchweigen, das
doch nichts als Liebe war, machte ihn ſo hitzig,

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[61/0061] Graͤfinn von G** ja. Jch habe noch eine Stiefſchweſter in Cur- land, an die ich Jhnen den beyliegenden Brief mitgebe. Sollten es ihre Umſtaͤnde verlan- gen: ſo glaube ich, daß ſie ſehr gut bey ihr aufgehoben ſind. Sie iſt eine Witwe; doch habe ich ſeit zwey Jahren keine Nachricht von ihr. Leben Sie noch einmal wohl. Amalia L** Dieſen Brief las ich und taumelte vor Freuden in Steeleyns Arme, und wollte ihm ſagen, was darinne ſtuͤnde; allein er wartete meine Entzuͤckungen nicht ab. Er riß mir ihn aus der Hand und las ihn. Jch legte mich mit dem Kopfe auf ſeine Achſel, um die Bewe- gungen nicht mit anzuſehn, die ihm die Nach- richt von meiner Befreyung und ſeiner fort- dauernden Gefangenſchaft verurſachen wuͤrde. Jhr ſeyd frey, fieng er an, und ich verliere euch und bleibe noch ein Gefangner und werde noch ungluͤcklicher, als zuvor? das iſt ſchrecklich! Hat euch der Himmel lieber, als mich? Doch ich werde Zeit genug zu meinen Klagen haben, wenn ihr nicht mehr bey mir ſeyd. Jch weis, daß es euch unmoͤglich iſt, mich zu vergeſſen. Nein, fiel er mir um den Hals, ihr vergeßt mich nicht. Jch konnte ihm vor Wehmuth lange nicht antworten, und mein Stillſchweigen, das doch nichts als Liebe war, machte ihn ſo hitzig, als

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/61>, abgerufen am 24.11.2024.