[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Gräfinn von G** land gewesen wäre, daß seine Gemahlinn ausCurland gebürtig und eine Vertraute der Ca- tharina gewesen sey. Er erzählte mir ferner, daß der Gouverneur ein grosser Liebhaber vom Bauen wäre, und daß ich, wenn ich etwas von der Baukunst verstünde, mir vielleicht gar seine Gnade erwerben würde. Dieß war mir eine sehr angenehme Nachricht. Jch sagte ihm, daß ich zeichnen und Risse zu Gebäuden machen könnte, und wenn er mir die nöthigen Sachen schaffte, so würde ich wenigstens ei- ne Beschäftigung in meiner Einsamkeit mehr haben. Er that es, und ich übte mich eini- ge Wochen. Sobald ich einen nicht unge- schickten Riß fertig hatte: so trug ihn der Ju- de zum Gouverneur. Den andern Tag wur- de ich schon zu ihm geholt. Er verstund zu meinem Glücke etwas von der Baukunst, und würdigte mich, als mein Befehlshaber, etlicher freundlichen Minen und unterredte sich mit mir bald auf deutsch, bald im gebrochnen La- tein. Er erschrack, daß ich so fertig Latein sprechen konnte, und von diesem Augenblicke an schien er mich zu bedauern. Wenn es bey mir stünde, sprach er, so wollte ich euch die Freyheit schenken; allein ihr seyd auf zeitle- bens nach Siberien verbannet, und ich kann nichts thun, als euch eure Gefangenschaft er- träg- C 4
Graͤfinn von G** land geweſen waͤre, daß ſeine Gemahlinn ausCurland gebuͤrtig und eine Vertraute der Ca- tharina geweſen ſey. Er erzaͤhlte mir ferner, daß der Gouverneur ein groſſer Liebhaber vom Bauen waͤre, und daß ich, wenn ich etwas von der Baukunſt verſtuͤnde, mir vielleicht gar ſeine Gnade erwerben wuͤrde. Dieß war mir eine ſehr angenehme Nachricht. Jch ſagte ihm, daß ich zeichnen und Riſſe zu Gebaͤuden machen koͤnnte, und wenn er mir die noͤthigen Sachen ſchaffte, ſo wuͤrde ich wenigſtens ei- ne Beſchaͤftigung in meiner Einſamkeit mehr haben. Er that es, und ich uͤbte mich eini- ge Wochen. Sobald ich einen nicht unge- ſchickten Riß fertig hatte: ſo trug ihn der Ju- de zum Gouverneur. Den andern Tag wur- de ich ſchon zu ihm geholt. Er verſtund zu meinem Gluͤcke etwas von der Baukunſt, und wuͤrdigte mich, als mein Befehlshaber, etlicher freundlichen Minen und unterredte ſich mit mir bald auf deutſch, bald im gebrochnen La- tein. Er erſchrack, daß ich ſo fertig Latein ſprechen konnte, und von dieſem Augenblicke an ſchien er mich zu bedauern. Wenn es bey mir ſtuͤnde, ſprach er, ſo wollte ich euch die Freyheit ſchenken; allein ihr ſeyd auf zeitle- bens nach Siberien verbannet, und ich kann nichts thun, als euch eure Gefangenſchaft er- traͤg- C 4
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Graͤfinn von G**
land geweſen waͤre, daß ſeine Gemahlinn aus
Curland gebuͤrtig und eine Vertraute der Ca-
tharina geweſen ſey. Er erzaͤhlte mir ferner,
daß der Gouverneur ein groſſer Liebhaber vom
Bauen waͤre, und daß ich, wenn ich etwas
von der Baukunſt verſtuͤnde, mir vielleicht gar
ſeine Gnade erwerben wuͤrde. Dieß war mir
eine ſehr angenehme Nachricht. Jch ſagte
ihm, daß ich zeichnen und Riſſe zu Gebaͤuden
machen koͤnnte, und wenn er mir die noͤthigen
Sachen ſchaffte, ſo wuͤrde ich wenigſtens ei-
ne Beſchaͤftigung in meiner Einſamkeit mehr
haben. Er that es, und ich uͤbte mich eini-
ge Wochen. Sobald ich einen nicht unge-
ſchickten Riß fertig hatte: ſo trug ihn der Ju-
de zum Gouverneur. Den andern Tag wur-
de ich ſchon zu ihm geholt. Er verſtund zu
meinem Gluͤcke etwas von der Baukunſt, und
wuͤrdigte mich, als mein Befehlshaber, etlicher
freundlichen Minen und unterredte ſich mit
mir bald auf deutſch, bald im gebrochnen La-
tein. Er erſchrack, daß ich ſo fertig Latein
ſprechen konnte, und von dieſem Augenblicke
an ſchien er mich zu bedauern. Wenn es bey
mir ſtuͤnde, ſprach er, ſo wollte ich euch die
Freyheit ſchenken; allein ihr ſeyd auf zeitle-
bens nach Siberien verbannet, und ich kann
nichts thun, als euch eure Gefangenſchaft er-
traͤg-
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