[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Leben der Schwedischen ster in meinem Verstande. Jch sah keineGründe zur Gelassenheit mehr, aber Ursachen genug, mich zu beklagen und euern Verlust zu beseufzen. Wir schwiegen eine zeitlang still, als ob wir uns schämten, den Entschluß zu widerrufen, den wir nach langen Betrachtun- gen gefaßt hatten. Wie Gott will, fieng end- lich mein Freund mit einem Tone an, der doch die größte Unruhe verrieth: wie Gott will! Jch will durch meine Gelassenheit gar nicht ei- nen Anspruch machen, daß er seine Schickun- gen nach meinem Wunsche einrichten soll. Nein, er soll sie ordnen. Aber ist denn das Verlangen unser Vaterland wieder zu sehn und aus dieser Barbarey erlöset zu seyn, ein ungerechter Wunsch? Sollen wir denn in die- sem kläglichen Zustande unser ganzes Leben zu- bringen und nur den Tod hoffen? So sah es mit unserer Gelassenheit aus, und so ist es uns oft gegangen. Wenn wir uns bemüht ha- ben, recht ruhig zu seyn, sind wir am unzufrie- densten geworden. Man sieht, wenn man den Betrachtungen über die Vorsehung nach- hängt, die Unmöglichkeit sich selbst zu helfen, deutlicher, als wenn man sich seinen Empfin- dungen überläßt; man sieht die Nothwendig- keit, sich ihren Führungen zu überlassen, und man will doch zugleich nicht von dem Plane sei-
Leben der Schwediſchen ſter in meinem Verſtande. Jch ſah keineGruͤnde zur Gelaſſenheit mehr, aber Urſachen genug, mich zu beklagen und euern Verluſt zu beſeufzen. Wir ſchwiegen eine zeitlang ſtill, als ob wir uns ſchaͤmten, den Entſchluß zu widerrufen, den wir nach langen Betrachtun- gen gefaßt hatten. Wie Gott will, fieng end- lich mein Freund mit einem Tone an, der doch die groͤßte Unruhe verrieth: wie Gott will! Jch will durch meine Gelaſſenheit gar nicht ei- nen Anſpruch machen, daß er ſeine Schickun- gen nach meinem Wunſche einrichten ſoll. Nein, er ſoll ſie ordnen. Aber iſt denn das Verlangen unſer Vaterland wieder zu ſehn und aus dieſer Barbarey erloͤſet zu ſeyn, ein ungerechter Wunſch? Sollen wir denn in die- ſem klaͤglichen Zuſtande unſer ganzes Leben zu- bringen und nur den Tod hoffen? So ſah es mit unſerer Gelaſſenheit aus, und ſo iſt es uns oft gegangen. Wenn wir uns bemuͤht ha- ben, recht ruhig zu ſeyn, ſind wir am unzufrie- denſten geworden. Man ſieht, wenn man den Betrachtungen uͤber die Vorſehung nach- haͤngt, die Unmoͤglichkeit ſich ſelbſt zu helfen, deutlicher, als wenn man ſich ſeinen Empfin- dungen uͤberlaͤßt; man ſieht die Nothwendig- keit, ſich ihren Fuͤhrungen zu uͤberlaſſen, und man will doch zugleich nicht von dem Plane ſei-
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Leben der Schwediſchen
ſter in meinem Verſtande. Jch ſah keine
Gruͤnde zur Gelaſſenheit mehr, aber Urſachen
genug, mich zu beklagen und euern Verluſt zu
beſeufzen. Wir ſchwiegen eine zeitlang ſtill,
als ob wir uns ſchaͤmten, den Entſchluß zu
widerrufen, den wir nach langen Betrachtun-
gen gefaßt hatten. Wie Gott will, fieng end-
lich mein Freund mit einem Tone an, der doch
die groͤßte Unruhe verrieth: wie Gott will!
Jch will durch meine Gelaſſenheit gar nicht ei-
nen Anſpruch machen, daß er ſeine Schickun-
gen nach meinem Wunſche einrichten ſoll.
Nein, er ſoll ſie ordnen. Aber iſt denn das
Verlangen unſer Vaterland wieder zu ſehn
und aus dieſer Barbarey erloͤſet zu ſeyn, ein
ungerechter Wunſch? Sollen wir denn in die-
ſem klaͤglichen Zuſtande unſer ganzes Leben zu-
bringen und nur den Tod hoffen? So ſah es
mit unſerer Gelaſſenheit aus, und ſo iſt es uns
oft gegangen. Wenn wir uns bemuͤht ha-
ben, recht ruhig zu ſeyn, ſind wir am unzufrie-
denſten geworden. Man ſieht, wenn man
den Betrachtungen uͤber die Vorſehung nach-
haͤngt, die Unmoͤglichkeit ſich ſelbſt zu helfen,
deutlicher, als wenn man ſich ſeinen Empfin-
dungen uͤberlaͤßt; man ſieht die Nothwendig-
keit, ſich ihren Fuͤhrungen zu uͤberlaſſen, und
man will doch zugleich nicht von dem Plane
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