Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G**
für ein Vergnügen, das wir seit ganzen Jah-
ren nicht genossen hatten. Wir brachten ei-
nen ganzen Nachmittag über unserer Flasche
Wein zu. Wir wollten nicht an unser
ausgestandnes Schicksal denken; aber es
war uns unmöglich. Es war, als ob uns
eine große Zufriedenheit fehlte, daß wir nicht
mit einem Blicke die Reihe unsrer betrübten
Begebenheiten übersehen sollten. Wir wieder-
holten sie einander, als ob wir sie einander
noch nicht gesagt hätten. Wir richteten uns
bey unsern Klagen mit der Wahrheit auf, daß
ein gütiger und weiser Gott dieses Schicksal
über uns verhängt hätte, daß wir uns unser
Elend nicht leichter machen könnten, als wenn
wir uns seinen Schickungen geduldig über-
ließen, bis es ihm gefiele, uns das Unglück,
oder das Leben zu nehmen. Wir gaben ein-
ander die Hände darauf, alles was uns begeg-
nen würde, mit einer uns anständigen Gelas-
senheit zu ertragen. Aber, fieng Steeley an,
indem er meine Hand betrachtete, dürfen wir
denn nicht wünschen, diese Hände denen noch
einmal zu reichen, die wir in unserm Vater-
lande lieben? Und wenn Gott dieses nicht
wollte, werden wir auch da gelassen bleiben?
Wenn Gott dieses nicht wollte - - sprach ich,
und konnte nichts mehr sprechen. Es ward fin-

ster

Graͤfinn von G**
fuͤr ein Vergnuͤgen, das wir ſeit ganzen Jah-
ren nicht genoſſen hatten. Wir brachten ei-
nen ganzen Nachmittag uͤber unſerer Flaſche
Wein zu. Wir wollten nicht an unſer
ausgeſtandnes Schickſal denken; aber es
war uns unmoͤglich. Es war, als ob uns
eine große Zufriedenheit fehlte, daß wir nicht
mit einem Blicke die Reihe unſrer betruͤbten
Begebenheiten uͤberſehen ſollten. Wir wieder-
holten ſie einander, als ob wir ſie einander
noch nicht geſagt haͤtten. Wir richteten uns
bey unſern Klagen mit der Wahrheit auf, daß
ein guͤtiger und weiſer Gott dieſes Schickſal
uͤber uns verhaͤngt haͤtte, daß wir uns unſer
Elend nicht leichter machen koͤnnten, als wenn
wir uns ſeinen Schickungen geduldig uͤber-
ließen, bis es ihm gefiele, uns das Ungluͤck,
oder das Leben zu nehmen. Wir gaben ein-
ander die Haͤnde darauf, alles was uns begeg-
nen wuͤrde, mit einer uns anſtaͤndigen Gelaſ-
ſenheit zu ertragen. Aber, fieng Steeley an,
indem er meine Hand betrachtete, duͤrfen wir
denn nicht wuͤnſchen, dieſe Haͤnde denen noch
einmal zu reichen, die wir in unſerm Vater-
lande lieben? Und wenn Gott dieſes nicht
wollte, werden wir auch da gelaſſen bleiben?
Wenn Gott dieſes nicht wollte ‒ ‒ ſprach ich,
und konnte nichts mehr ſprechen. Es ward fin-

ſter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0013" n="13"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gra&#x0364;finn von G**</hi></fw><lb/>
fu&#x0364;r ein Vergnu&#x0364;gen, das wir &#x017F;eit ganzen Jah-<lb/>
ren nicht geno&#x017F;&#x017F;en hatten. Wir brachten ei-<lb/>
nen ganzen Nachmittag u&#x0364;ber un&#x017F;erer Fla&#x017F;che<lb/>
Wein zu. Wir wollten nicht an un&#x017F;er<lb/>
ausge&#x017F;tandnes Schick&#x017F;al denken; aber es<lb/>
war uns unmo&#x0364;glich. Es war, als ob uns<lb/>
eine große Zufriedenheit fehlte, daß wir nicht<lb/>
mit einem Blicke die Reihe un&#x017F;rer betru&#x0364;bten<lb/>
Begebenheiten u&#x0364;ber&#x017F;ehen &#x017F;ollten. Wir wieder-<lb/>
holten &#x017F;ie einander, als ob wir &#x017F;ie einander<lb/>
noch nicht ge&#x017F;agt ha&#x0364;tten. Wir richteten uns<lb/>
bey un&#x017F;ern Klagen mit der Wahrheit auf, daß<lb/>
ein gu&#x0364;tiger und wei&#x017F;er Gott die&#x017F;es Schick&#x017F;al<lb/>
u&#x0364;ber uns verha&#x0364;ngt ha&#x0364;tte, daß wir uns un&#x017F;er<lb/>
Elend nicht leichter machen ko&#x0364;nnten, als wenn<lb/>
wir uns &#x017F;einen Schickungen geduldig u&#x0364;ber-<lb/>
ließen, bis es ihm gefiele, uns das Unglu&#x0364;ck,<lb/>
oder das Leben zu nehmen. Wir gaben ein-<lb/>
ander die Ha&#x0364;nde darauf, alles was uns begeg-<lb/>
nen wu&#x0364;rde, mit einer uns an&#x017F;ta&#x0364;ndigen Gela&#x017F;-<lb/>
&#x017F;enheit zu ertragen. Aber, fieng Steeley an,<lb/>
indem er meine Hand betrachtete, du&#x0364;rfen wir<lb/>
denn nicht wu&#x0364;n&#x017F;chen, die&#x017F;e Ha&#x0364;nde denen noch<lb/>
einmal zu reichen, die wir in un&#x017F;erm Vater-<lb/>
lande lieben? Und wenn Gott die&#x017F;es nicht<lb/>
wollte, werden wir auch da gela&#x017F;&#x017F;en bleiben?<lb/>
Wenn Gott die&#x017F;es nicht wollte &#x2012; &#x2012; &#x017F;prach ich,<lb/>
und konnte nichts mehr &#x017F;prechen. Es ward fin-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ter</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0013] Graͤfinn von G** fuͤr ein Vergnuͤgen, das wir ſeit ganzen Jah- ren nicht genoſſen hatten. Wir brachten ei- nen ganzen Nachmittag uͤber unſerer Flaſche Wein zu. Wir wollten nicht an unſer ausgeſtandnes Schickſal denken; aber es war uns unmoͤglich. Es war, als ob uns eine große Zufriedenheit fehlte, daß wir nicht mit einem Blicke die Reihe unſrer betruͤbten Begebenheiten uͤberſehen ſollten. Wir wieder- holten ſie einander, als ob wir ſie einander noch nicht geſagt haͤtten. Wir richteten uns bey unſern Klagen mit der Wahrheit auf, daß ein guͤtiger und weiſer Gott dieſes Schickſal uͤber uns verhaͤngt haͤtte, daß wir uns unſer Elend nicht leichter machen koͤnnten, als wenn wir uns ſeinen Schickungen geduldig uͤber- ließen, bis es ihm gefiele, uns das Ungluͤck, oder das Leben zu nehmen. Wir gaben ein- ander die Haͤnde darauf, alles was uns begeg- nen wuͤrde, mit einer uns anſtaͤndigen Gelaſ- ſenheit zu ertragen. Aber, fieng Steeley an, indem er meine Hand betrachtete, duͤrfen wir denn nicht wuͤnſchen, dieſe Haͤnde denen noch einmal zu reichen, die wir in unſerm Vater- lande lieben? Und wenn Gott dieſes nicht wollte, werden wir auch da gelaſſen bleiben? Wenn Gott dieſes nicht wollte ‒ ‒ ſprach ich, und konnte nichts mehr ſprechen. Es ward fin- ſter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/13
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/13>, abgerufen am 09.10.2024.