Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Gräfinn von G**
worden. Da erkenne ich meinen Sohn, rief er.
Gott weis es, ich hätte es eben so gemacht; das
heißt seinen Freunden in der Noth dienen! Bey
der Begebenheit mit dem Popen in Rußland
machte er ihm keine Vorwürfe. Deine Liebe zur
Wahrheit, sprach er, ist dir freylich übel bekom-
men, und ich wünschte, es wäre nicht geschehn;
aber es ist doch allemal besser, seine Meinung
frey heraus zu sagen, als mit einer niederträchti-
gen Furchtsamkeit zu reden. Jch sehe dich, weil
die Sache von der Religion hergekommen ist, als
einen Märtyrer an; und ich danke Gott für den
Muth, den er dir gegeben hat. Bey den grossen
Diensten, die der Graf Steeleyn in Siberien
erwiesen, nahm er eine recht majestätische Mine
an. Nun, sprach er, das ist Großmuth! mehr
kann kein Freund an dem andern thun. Ach
Herr Graf, sie haben noch ein redlicher Herz als
ich und mein Sohn. Jhnen habe ich meinen
Sohn zu danken. Ja, in meinem ganzen Le-
ben, noch in jenem Leben will ich sie rühmen.
Die Geschichte der Liebe mit Amalien trug
Steeley auf der Sei[t]e vor, wo er wußte, daß sie
seinen Vater am meisten rühren würde. Er ließ
alles Freundschaft in ihrem Umgange seyn, und
die Liebe nicht eher, als kurz vor der Abreise aus
Moskau, entstehen. Alles gefiel ihm, alles war
schön an Amalien, und ie mehr er aus der gan-
zen Erzählung schloß, daß Amalie vor ihrer Ver-
mählung seinem Sohne keine vertrauliche Liebe
erlaubt, desto freudiger ward er, und desto mehr
Hochachtung bezeigte er ihr. Da die Erzählung

ge-
H 5

Graͤfinn von G**
worden. Da erkenne ich meinen Sohn, rief er.
Gott weis es, ich haͤtte es eben ſo gemacht; das
heißt ſeinen Freunden in der Noth dienen! Bey
der Begebenheit mit dem Popen in Rußland
machte er ihm keine Vorwuͤrfe. Deine Liebe zur
Wahrheit, ſprach er, iſt dir freylich uͤbel bekom-
men, und ich wuͤnſchte, es waͤre nicht geſchehn;
aber es iſt doch allemal beſſer, ſeine Meinung
frey heraus zu ſagen, als mit einer niedertraͤchti-
gen Furchtſamkeit zu reden. Jch ſehe dich, weil
die Sache von der Religion hergekommen iſt, als
einen Maͤrtyrer an; und ich danke Gott fuͤr den
Muth, den er dir gegeben hat. Bey den groſſen
Dienſten, die der Graf Steeleyn in Siberien
erwieſen, nahm er eine recht majeſtaͤtiſche Mine
an. Nun, ſprach er, das iſt Großmuth! mehr
kann kein Freund an dem andern thun. Ach
Herr Graf, ſie haben noch ein redlicher Herz als
ich und mein Sohn. Jhnen habe ich meinen
Sohn zu danken. Ja, in meinem ganzen Le-
ben, noch in jenem Leben will ich ſie ruͤhmen.
Die Geſchichte der Liebe mit Amalien trug
Steeley auf der Sei[t]e vor, wo er wußte, daß ſie
ſeinen Vater am meiſten ruͤhren wuͤrde. Er ließ
alles Freundſchaft in ihrem Umgange ſeyn, und
die Liebe nicht eher, als kurz vor der Abreiſe aus
Moskau, entſtehen. Alles gefiel ihm, alles war
ſchoͤn an Amalien, und ie mehr er aus der gan-
zen Erzaͤhlung ſchloß, daß Amalie vor ihrer Ver-
maͤhlung ſeinem Sohne keine vertrauliche Liebe
erlaubt, deſto freudiger ward er, und deſto mehr
Hochachtung bezeigte er ihr. Da die Erzaͤhlung

ge-
H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0121" n="121"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gra&#x0364;finn von G**</hi></fw><lb/>
worden. Da erkenne ich meinen Sohn, rief er.<lb/>
Gott weis es, ich ha&#x0364;tte es eben &#x017F;o gemacht; das<lb/>
heißt &#x017F;einen Freunden in der Noth dienen! Bey<lb/>
der Begebenheit mit dem Popen in Rußland<lb/>
machte er ihm keine Vorwu&#x0364;rfe. Deine Liebe zur<lb/>
Wahrheit, &#x017F;prach er, i&#x017F;t dir freylich u&#x0364;bel bekom-<lb/>
men, und ich wu&#x0364;n&#x017F;chte, es wa&#x0364;re nicht ge&#x017F;chehn;<lb/>
aber es i&#x017F;t doch allemal be&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;eine Meinung<lb/>
frey heraus zu &#x017F;agen, als mit einer niedertra&#x0364;chti-<lb/>
gen Furcht&#x017F;amkeit zu reden. Jch &#x017F;ehe dich, weil<lb/>
die Sache von der Religion hergekommen i&#x017F;t, als<lb/>
einen Ma&#x0364;rtyrer an; und ich danke Gott fu&#x0364;r den<lb/>
Muth, den er dir gegeben hat. Bey den gro&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Dien&#x017F;ten, die der Graf Steeleyn in Siberien<lb/>
erwie&#x017F;en, nahm er eine recht maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;che Mine<lb/>
an. Nun, &#x017F;prach er, das i&#x017F;t Großmuth! mehr<lb/>
kann kein Freund an dem andern thun. Ach<lb/>
Herr Graf, &#x017F;ie haben noch ein redlicher Herz als<lb/>
ich und mein Sohn. Jhnen habe ich meinen<lb/>
Sohn zu danken. Ja, in meinem ganzen Le-<lb/>
ben, noch in jenem Leben will ich &#x017F;ie ru&#x0364;hmen.<lb/>
Die Ge&#x017F;chichte der Liebe mit Amalien trug<lb/>
Steeley auf der Sei<supplied>t</supplied>e vor, wo er wußte, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;einen Vater am mei&#x017F;ten ru&#x0364;hren wu&#x0364;rde. Er ließ<lb/>
alles Freund&#x017F;chaft in ihrem Umgange &#x017F;eyn, und<lb/>
die Liebe nicht eher, als kurz vor der Abrei&#x017F;e aus<lb/>
Moskau, ent&#x017F;tehen. Alles gefiel ihm, alles war<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n an Amalien, und ie mehr er aus der gan-<lb/>
zen Erza&#x0364;hlung &#x017F;chloß, daß Amalie vor ihrer Ver-<lb/>
ma&#x0364;hlung &#x017F;einem Sohne keine vertrauliche Liebe<lb/>
erlaubt, de&#x017F;to freudiger ward er, und de&#x017F;to mehr<lb/>
Hochachtung bezeigte er ihr. Da die Erza&#x0364;hlung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5</fw><fw place="bottom" type="catch">ge-</fw><lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0121] Graͤfinn von G** worden. Da erkenne ich meinen Sohn, rief er. Gott weis es, ich haͤtte es eben ſo gemacht; das heißt ſeinen Freunden in der Noth dienen! Bey der Begebenheit mit dem Popen in Rußland machte er ihm keine Vorwuͤrfe. Deine Liebe zur Wahrheit, ſprach er, iſt dir freylich uͤbel bekom- men, und ich wuͤnſchte, es waͤre nicht geſchehn; aber es iſt doch allemal beſſer, ſeine Meinung frey heraus zu ſagen, als mit einer niedertraͤchti- gen Furchtſamkeit zu reden. Jch ſehe dich, weil die Sache von der Religion hergekommen iſt, als einen Maͤrtyrer an; und ich danke Gott fuͤr den Muth, den er dir gegeben hat. Bey den groſſen Dienſten, die der Graf Steeleyn in Siberien erwieſen, nahm er eine recht majeſtaͤtiſche Mine an. Nun, ſprach er, das iſt Großmuth! mehr kann kein Freund an dem andern thun. Ach Herr Graf, ſie haben noch ein redlicher Herz als ich und mein Sohn. Jhnen habe ich meinen Sohn zu danken. Ja, in meinem ganzen Le- ben, noch in jenem Leben will ich ſie ruͤhmen. Die Geſchichte der Liebe mit Amalien trug Steeley auf der Seite vor, wo er wußte, daß ſie ſeinen Vater am meiſten ruͤhren wuͤrde. Er ließ alles Freundſchaft in ihrem Umgange ſeyn, und die Liebe nicht eher, als kurz vor der Abreiſe aus Moskau, entſtehen. Alles gefiel ihm, alles war ſchoͤn an Amalien, und ie mehr er aus der gan- zen Erzaͤhlung ſchloß, daß Amalie vor ihrer Ver- maͤhlung ſeinem Sohne keine vertrauliche Liebe erlaubt, deſto freudiger ward er, und deſto mehr Hochachtung bezeigte er ihr. Da die Erzaͤhlung ge- H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/121
Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/121>, abgerufen am 05.05.2024.