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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Leben der Schwedischen
geendigt war, umarmte er Amalien noch einmal.
Ach, sprach er, mein Sohn ist ihrer nicht werth.
Er verdient eine liebe Frau; aber wodurch hat
er sie verdient? Kommen sie mit nach London,
ich habe ein grosses Haus und es ist in der ganzen
Welt nicht besser, als in London. Was? fieng
ich an, als in London? und hier bey ihnen, fuhr
er lächelnd fort, und fragte mich, ob ich ihn
denn auch etliche Tage bey mir behalten und mir
seine Art zu leben, die nicht nach der Welt wäre,
gefallen lassen wollte. Er war wirklich bey al-
len seinen kleinen Fehlern ein rechter liebenswür-
diger Mann, und die Aufrichtigkeit, mit der er
sie begieng, machte sie angenehm. Er war dreist,
ohne die Höflichkeit zu beleidigen, und seine Vor-
urtheile waren entweder unschuldig, oder doch dem
Umgange nicht beschwerlich. Wir begiengen
diesen und den folgenden Tag das Hochzeitfest
nach seinem Plane. Er war auf die anstän-
digste Art munter, und weckte uns alle durch sein
Beyspiel auf. Sein Leibspruch war, man kann
fromm und auch vergnügt seyn. Mein Sohn,
sprach er, hat mir viel bekümmerte Stunden ge-
macht, nun soll er mir freudige Tage machen.
Er tanzte denselben Abend bis um eilf Uhr und
war gegen R - - und den Grafen, und gegen sei-
nen Sohn selbst, ein Jüngling. Das heißt, fieng
er endlich an, recht ausgeschweift. So spät bin
ich seit vierzig Jahren nicht zu Bette gegangen.
Aber ist doch das Tanzen keine Sünde. Wenn ich
nun auch diese Nacht stürbe, so würde mir meine
Freude doch nichts schaden. R - - fragte ihn

bey

Leben der Schwediſchen
geendigt war, umarmte er Amalien noch einmal.
Ach, ſprach er, mein Sohn iſt ihrer nicht werth.
Er verdient eine liebe Frau; aber wodurch hat
er ſie verdient? Kommen ſie mit nach London,
ich habe ein groſſes Haus und es iſt in der ganzen
Welt nicht beſſer, als in London. Was? fieng
ich an, als in London? und hier bey ihnen, fuhr
er laͤchelnd fort, und fragte mich, ob ich ihn
denn auch etliche Tage bey mir behalten und mir
ſeine Art zu leben, die nicht nach der Welt waͤre,
gefallen laſſen wollte. Er war wirklich bey al-
len ſeinen kleinen Fehlern ein rechter liebenswuͤr-
diger Mann, und die Aufrichtigkeit, mit der er
ſie begieng, machte ſie angenehm. Er war dreiſt,
ohne die Hoͤflichkeit zu beleidigen, und ſeine Vor-
urtheile waren entweder unſchuldig, oder doch dem
Umgange nicht beſchwerlich. Wir begiengen
dieſen und den folgenden Tag das Hochzeitfeſt
nach ſeinem Plane. Er war auf die anſtaͤn-
digſte Art munter, und weckte uns alle durch ſein
Beyſpiel auf. Sein Leibſpruch war, man kann
fromm und auch vergnuͤgt ſeyn. Mein Sohn,
ſprach er, hat mir viel bekuͤmmerte Stunden ge-
macht, nun ſoll er mir freudige Tage machen.
Er tanzte denſelben Abend bis um eilf Uhr und
war gegen R ‒ ‒ und den Grafen, und gegen ſei-
nen Sohn ſelbſt, ein Juͤngling. Das heißt, fieng
er endlich an, recht ausgeſchweift. So ſpaͤt bin
ich ſeit vierzig Jahren nicht zu Bette gegangen.
Aber iſt doch das Tanzen keine Suͤnde. Wenn ich
nun auch dieſe Nacht ſtuͤrbe, ſo wuͤrde mir meine
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[122/0122] Leben der Schwediſchen geendigt war, umarmte er Amalien noch einmal. Ach, ſprach er, mein Sohn iſt ihrer nicht werth. Er verdient eine liebe Frau; aber wodurch hat er ſie verdient? Kommen ſie mit nach London, ich habe ein groſſes Haus und es iſt in der ganzen Welt nicht beſſer, als in London. Was? fieng ich an, als in London? und hier bey ihnen, fuhr er laͤchelnd fort, und fragte mich, ob ich ihn denn auch etliche Tage bey mir behalten und mir ſeine Art zu leben, die nicht nach der Welt waͤre, gefallen laſſen wollte. Er war wirklich bey al- len ſeinen kleinen Fehlern ein rechter liebenswuͤr- diger Mann, und die Aufrichtigkeit, mit der er ſie begieng, machte ſie angenehm. Er war dreiſt, ohne die Hoͤflichkeit zu beleidigen, und ſeine Vor- urtheile waren entweder unſchuldig, oder doch dem Umgange nicht beſchwerlich. Wir begiengen dieſen und den folgenden Tag das Hochzeitfeſt nach ſeinem Plane. Er war auf die anſtaͤn- digſte Art munter, und weckte uns alle durch ſein Beyſpiel auf. Sein Leibſpruch war, man kann fromm und auch vergnuͤgt ſeyn. Mein Sohn, ſprach er, hat mir viel bekuͤmmerte Stunden ge- macht, nun ſoll er mir freudige Tage machen. Er tanzte denſelben Abend bis um eilf Uhr und war gegen R ‒ ‒ und den Grafen, und gegen ſei- nen Sohn ſelbſt, ein Juͤngling. Das heißt, fieng er endlich an, recht ausgeſchweift. So ſpaͤt bin ich ſeit vierzig Jahren nicht zu Bette gegangen. Aber iſt doch das Tanzen keine Suͤnde. Wenn ich nun auch dieſe Nacht ſtuͤrbe, ſo wuͤrde mir meine Freude doch nichts ſchaden. R ‒ ‒ fragte ihn bey

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/122>, abgerufen am 21.11.2024.