[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.Leben der Schwedischen te, daß wir nicht getanzt hätten. Nicht getanzt?fieng er an, wie traurig muß diese Hochzeit gewe- sen seyn! Nein, was unsere Vorfahren für gut befunden haben, das muß man nicht abkommen lassen. An seinem Hochzeittage muß man froh seyn. Wenn wir nach London kommen: so will ich alles so anordnen, wie es an meiner Hochzeit war. Es sind Gottlob! schon funfzig Jahre verstrichen, und ich weis alles noch so genau, als ob es erst gestern geschehen wäre. Es ist wahr, sprach er zu Amalien, sie sehn viel schöner aus, als meine selige Frau an ihrem Brauttage sah; aber sie war viel besser angezogen. Er beschrieb ihr mit der Freude eines Alten, dem das gefällt, was in seiner Jugend Mode gewesen, den gan- zen Anzug seiner Frau, und sie versprach ihm, wenigstens um den Kopf und den Hals einen Theil von diesem Staate nachzuahmen. Sie that es auch, und in einem engen Leibchen und grossen weissen Ermeln, drey oder viermal mit Bande gebunden, und in Locken, die bis auf die Schultern hiengen, gefiel sie ihm erst recht wohl. Sein Sohn mußte ihm sein Schicksal erzählen. Er weinete die bittersten Thränen, wenn Steeley auf eine betrübte Begebenheit kam; und mitten unter den Thränen machte er hier und da noch allerhand Anmerkungen. Er fuhr ihn z. E. bey dem Anfange seiner Geschichte recht väterlich an, daß er den Gesandten verlassen hätte und ein Soldat geworden wäre. Bald darauf umarm- te er ihn, daß er so rechtschaffen an den Grafen gehandelt hätte, als er auf dem Wege krank ge- wor-
Leben der Schwediſchen te, daß wir nicht getanzt haͤtten. Nicht getanzt?fieng er an, wie traurig muß dieſe Hochzeit gewe- ſen ſeyn! Nein, was unſere Vorfahren fuͤr gut befunden haben, das muß man nicht abkommen laſſen. An ſeinem Hochzeittage muß man froh ſeyn. Wenn wir nach London kommen: ſo will ich alles ſo anordnen, wie es an meiner Hochzeit war. Es ſind Gottlob! ſchon funfzig Jahre verſtrichen, und ich weis alles noch ſo genau, als ob es erſt geſtern geſchehen waͤre. Es iſt wahr, ſprach er zu Amalien, ſie ſehn viel ſchoͤner aus, als meine ſelige Frau an ihrem Brauttage ſah; aber ſie war viel beſſer angezogen. Er beſchrieb ihr mit der Freude eines Alten, dem das gefaͤllt, was in ſeiner Jugend Mode geweſen, den gan- zen Anzug ſeiner Frau, und ſie verſprach ihm, wenigſtens um den Kopf und den Hals einen Theil von dieſem Staate nachzuahmen. Sie that es auch, und in einem engen Leibchen und groſſen weiſſen Ermeln, drey oder viermal mit Bande gebunden, und in Locken, die bis auf die Schultern hiengen, gefiel ſie ihm erſt recht wohl. Sein Sohn mußte ihm ſein Schickſal erzaͤhlen. Er weinete die bitterſten Thraͤnen, wenn Steeley auf eine betruͤbte Begebenheit kam; und mitten unter den Thraͤnen machte er hier und da noch allerhand Anmerkungen. Er fuhr ihn z. E. bey dem Anfange ſeiner Geſchichte recht vaͤterlich an, daß er den Geſandten verlaſſen haͤtte und ein Soldat geworden waͤre. Bald darauf umarm- te er ihn, daß er ſo rechtſchaffen an den Grafen gehandelt haͤtte, als er auf dem Wege krank ge- wor-
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Leben der Schwediſchen
te, daß wir nicht getanzt haͤtten. Nicht getanzt?
fieng er an, wie traurig muß dieſe Hochzeit gewe-
ſen ſeyn! Nein, was unſere Vorfahren fuͤr gut
befunden haben, das muß man nicht abkommen
laſſen. An ſeinem Hochzeittage muß man froh
ſeyn. Wenn wir nach London kommen: ſo will
ich alles ſo anordnen, wie es an meiner Hochzeit
war. Es ſind Gottlob! ſchon funfzig Jahre
verſtrichen, und ich weis alles noch ſo genau, als
ob es erſt geſtern geſchehen waͤre. Es iſt wahr,
ſprach er zu Amalien, ſie ſehn viel ſchoͤner aus,
als meine ſelige Frau an ihrem Brauttage ſah;
aber ſie war viel beſſer angezogen. Er beſchrieb
ihr mit der Freude eines Alten, dem das gefaͤllt,
was in ſeiner Jugend Mode geweſen, den gan-
zen Anzug ſeiner Frau, und ſie verſprach ihm,
wenigſtens um den Kopf und den Hals einen
Theil von dieſem Staate nachzuahmen. Sie
that es auch, und in einem engen Leibchen und
groſſen weiſſen Ermeln, drey oder viermal mit
Bande gebunden, und in Locken, die bis auf die
Schultern hiengen, gefiel ſie ihm erſt recht wohl.
Sein Sohn mußte ihm ſein Schickſal erzaͤhlen.
Er weinete die bitterſten Thraͤnen, wenn Steeley
auf eine betruͤbte Begebenheit kam; und mitten
unter den Thraͤnen machte er hier und da noch
allerhand Anmerkungen. Er fuhr ihn z. E. bey
dem Anfange ſeiner Geſchichte recht vaͤterlich an,
daß er den Geſandten verlaſſen haͤtte und ein
Soldat geworden waͤre. Bald darauf umarm-
te er ihn, daß er ſo rechtſchaffen an den Grafen
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