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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748.

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Leben der Schwedischen
ter Wein mitnehmen. Und wenn ihr von ihm
geht, fuhr ich fort: so könnt ihr ihn in euerm
Namen fragen, ob er noch etwas zu befehlen
hätte. Er kam nicht eher, als mit dem Abend
wieder. Jch fragte ihn, wo er so lange geblie-
ben wäre. Ach, hub er in seiner treuherzigen
Sprache an, man kann von dem Herrn gar
nicht wieder loskommen. Es ist ein rechter
lieber Herr; alles was er sagt, nimmt einem
das Herz. O wenn sies nur hätten hören
sollen, wie er dem Himmel dankt, daß er ihn
aus der Gefangenschaft errettet hat! Er mag
recht fromm seyn, und ich weis nicht, wie ihn
der liebe Gott nach Siberien hat führen kön-
nen! Jch wollte ihn, als ich gieng, auskleiden
helfen. Ach, sprach er, mein lieber Christian,
gebt euch keine Mühe, ich habe mich in Siberi-
en selber bedienen lernen. Es gieng mir recht
nahe. Er hat auch ein recht gutes Ansehn.
Wer weis, wie vornehm er von Geburt ist und
hat doch in diesem verwünschten Lande so viel
ausstehen müssen! Wenn sie mirs erlauben,
so will ich ihn alle Tage etliche Stunden bedie-
nen, damit es ihm wieder wohlgehe. Bey ih-
nen läßt er sich für alle Gnade, die sie ihm er-
zeigen, ganz unterthänigst bedanken, und um
nichts als ein Buch bitten. Es wird auf diesem
Zeddel stehn. Dieser Zeddel war ein Franzö-
sisch Billet von diesem Jnnhalte:

Mein

Leben der Schwediſchen
ter Wein mitnehmen. Und wenn ihr von ihm
geht, fuhr ich fort: ſo koͤnnt ihr ihn in euerm
Namen fragen, ob er noch etwas zu befehlen
haͤtte. Er kam nicht eher, als mit dem Abend
wieder. Jch fragte ihn, wo er ſo lange geblie-
ben waͤre. Ach, hub er in ſeiner treuherzigen
Sprache an, man kann von dem Herrn gar
nicht wieder loskommen. Es iſt ein rechter
lieber Herr; alles was er ſagt, nimmt einem
das Herz. O wenn ſies nur haͤtten hoͤren
ſollen, wie er dem Himmel dankt, daß er ihn
aus der Gefangenſchaft errettet hat! Er mag
recht fromm ſeyn, und ich weis nicht, wie ihn
der liebe Gott nach Siberien hat fuͤhren koͤn-
nen! Jch wollte ihn, als ich gieng, auskleiden
helfen. Ach, ſprach er, mein lieber Chriſtian,
gebt euch keine Muͤhe, ich habe mich in Siberi-
en ſelber bedienen lernen. Es gieng mir recht
nahe. Er hat auch ein recht gutes Anſehn.
Wer weis, wie vornehm er von Geburt iſt und
hat doch in dieſem verwuͤnſchten Lande ſo viel
ausſtehen muͤſſen! Wenn ſie mirs erlauben,
ſo will ich ihn alle Tage etliche Stunden bedie-
nen, damit es ihm wieder wohlgehe. Bey ih-
nen laͤßt er ſich fuͤr alle Gnade, die ſie ihm er-
zeigen, ganz unterthaͤnigſt bedanken, und um
nichts als ein Buch bitten. Es wird auf dieſem
Zeddel ſtehn. Dieſer Zeddel war ein Franzoͤ-
ſiſch Billet von dieſem Jnnhalte:

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[100/0100] Leben der Schwediſchen ter Wein mitnehmen. Und wenn ihr von ihm geht, fuhr ich fort: ſo koͤnnt ihr ihn in euerm Namen fragen, ob er noch etwas zu befehlen haͤtte. Er kam nicht eher, als mit dem Abend wieder. Jch fragte ihn, wo er ſo lange geblie- ben waͤre. Ach, hub er in ſeiner treuherzigen Sprache an, man kann von dem Herrn gar nicht wieder loskommen. Es iſt ein rechter lieber Herr; alles was er ſagt, nimmt einem das Herz. O wenn ſies nur haͤtten hoͤren ſollen, wie er dem Himmel dankt, daß er ihn aus der Gefangenſchaft errettet hat! Er mag recht fromm ſeyn, und ich weis nicht, wie ihn der liebe Gott nach Siberien hat fuͤhren koͤn- nen! Jch wollte ihn, als ich gieng, auskleiden helfen. Ach, ſprach er, mein lieber Chriſtian, gebt euch keine Muͤhe, ich habe mich in Siberi- en ſelber bedienen lernen. Es gieng mir recht nahe. Er hat auch ein recht gutes Anſehn. Wer weis, wie vornehm er von Geburt iſt und hat doch in dieſem verwuͤnſchten Lande ſo viel ausſtehen muͤſſen! Wenn ſie mirs erlauben, ſo will ich ihn alle Tage etliche Stunden bedie- nen, damit es ihm wieder wohlgehe. Bey ih- nen laͤßt er ſich fuͤr alle Gnade, die ſie ihm er- zeigen, ganz unterthaͤnigſt bedanken, und um nichts als ein Buch bitten. Es wird auf dieſem Zeddel ſtehn. Dieſer Zeddel war ein Franzoͤ- ſiſch Billet von dieſem Jnnhalte: Mein

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G**. Bd. 2. Leipzig, 1748, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben02_1748/100>, abgerufen am 28.04.2024.