Ein gewisser Prinz von S--, der schon eine Gemahlinn, und unstreitig nicht die erlaubtesten Absichten gegen mich hatte, suchte sich die Abwesenheit meines Ge- mahls zu Nutze zu machen. Er bedien- te mich bey aller Gelegenheit mit einer ungemeinen Ehrerbietung, und mit einem Vorzuge, der recht prächtig in die Augen fiel. Er wagte es zuweilen mir von einer Neigung zu sagen, die ich verabscheuete. Dennoch wußte ich der Ehrerbietung, die er stets mit untermengte, nicht genug zu widerstehen. Jch war so treu und tu- gendhaft, als man seyn kann; allein viel- leicht nicht strenge genug in dem äußerli- chen Bezeigen. Hierdurch machte ich den Prinzen nur beherzter. Er kam an einem Nachmittage unangemeldet zu mir. Er machte mir allerhand kleine Liebkosun- gen; doch bey der ersten Freyheit, die er sich heraus nahm, sagte ich zu ihm: Er- lauben sie mir, daß ich es ihrer Gemah- linn darf melden lassen, daß Sie bey mir
sind,
Gräfinn von G **
Ein gewiſſer Prinz von S--, der ſchon eine Gemahlinn, und unſtreitig nicht die erlaubteſten Abſichten gegen mich hatte, ſuchte ſich die Abweſenheit meines Ge- mahls zu Nutze zu machen. Er bedien- te mich bey aller Gelegenheit mit einer ungemeinen Ehrerbietung, und mit einem Vorzuge, der recht prächtig in die Augen fiel. Er wagte es zuweilen mir von einer Neigung zu ſagen, die ich verabſcheuete. Dennoch wußte ich der Ehrerbietung, die er ſtets mit untermengte, nicht genug zu widerſtehen. Jch war ſo treu und tu- gendhaft, als man ſeyn kann; allein viel- leicht nicht ſtrenge genug in dem äußerli- chen Bezeigen. Hierdurch machte ich den Prinzen nur beherzter. Er kam an einem Nachmittage unangemeldet zu mir. Er machte mir allerhand kleine Liebkoſun- gen; doch bey der erſten Freyheit, die er ſich heraus nahm, ſagte ich zu ihm: Er- lauben ſie mir, daß ich es ihrer Gemah- linn darf melden laſſen, daß Sie bey mir
ſind,
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Gräfinn von G **
Ein gewiſſer Prinz von S--, der ſchon
eine Gemahlinn, und unſtreitig nicht die
erlaubteſten Abſichten gegen mich hatte,
ſuchte ſich die Abweſenheit meines Ge-
mahls zu Nutze zu machen. Er bedien-
te mich bey aller Gelegenheit mit einer
ungemeinen Ehrerbietung, und mit einem
Vorzuge, der recht prächtig in die Augen
fiel. Er wagte es zuweilen mir von einer
Neigung zu ſagen, die ich verabſcheuete.
Dennoch wußte ich der Ehrerbietung, die
er ſtets mit untermengte, nicht genug zu
widerſtehen. Jch war ſo treu und tu-
gendhaft, als man ſeyn kann; allein viel-
leicht nicht ſtrenge genug in dem äußerli-
chen Bezeigen. Hierdurch machte ich
den Prinzen nur beherzter. Er kam an
einem Nachmittage unangemeldet zu mir.
Er machte mir allerhand kleine Liebkoſun-
gen; doch bey der erſten Freyheit, die er
ſich heraus nahm, ſagte ich zu ihm: Er-
lauben ſie mir, daß ich es ihrer Gemah-
linn darf melden laſſen, daß Sie bey mir
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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/43>, abgerufen am 04.07.2024.
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