Nunmehr komme ich auf einen Period aus meinem Leben, der alles übertrifft, was ich bisher gesagt habe. Jch muß mir Gewalt anthun, indem ich ihn beschreibe; so sehr weigert sich mein Herz, die Vor- stellung einer Begebenheit in sich zu er- neuern, die ihm so viel gekostet hat. Jch weis, daß es eine von den Haupttugen- den einer guten Art zu erzählen ist, wenn man so erzählt, daß die Leser nicht die Sache zu lesen, sondern selbst zu sehen glau- ben, und durch eine abgenöthigte Empfin- dung sich unvermerkt an die Stelle der Per- son setzen, welcher die Sache begegnet ist. Allein ich zweifle, daß ich diese Absicht er- halten werde. Wir fuhren, wie ich ge- sagt habe, dem ankommenden Schiffe eine halbe Stunde entgegen. Es waren zehn bis zwölf Deutsche Reisende auf dem- selben, und auch etliche Russen. Diese stiegen in unserm Angesichte ans Land, und gratulirten den Herrn Andreas zur glückli- chen Ankunft seines Schiffes, weil sie hörten,
daß
Leben der Schwediſchen
Nunmehr komme ich auf einen Period aus meinem Leben, der alles übertrifft, was ich bisher geſagt habe. Jch muß mir Gewalt anthun, indem ich ihn beſchreibe; ſo ſehr weigert ſich mein Herz, die Vor- ſtellung einer Begebenheit in ſich zu er- neuern, die ihm ſo viel gekoſtet hat. Jch weis, daß es eine von den Haupttugen- den einer guten Art zu erzählen iſt, wenn man ſo erzählt, daß die Leſer nicht die Sache zu leſen, ſondern ſelbſt zu ſehen glau- ben, und durch eine abgenöthigte Empfin- dung ſich unvermerkt an die Stelle der Per- ſon ſetzen, welcher die Sache begegnet iſt. Allein ich zweifle, daß ich dieſe Abſicht er- halten werde. Wir fuhren, wie ich ge- ſagt habe, dem ankommenden Schiffe eine halbe Stunde entgegen. Es waren zehn bis zwölf Deutſche Reiſende auf dem- ſelben, und auch etliche Ruſſen. Dieſe ſtiegen in unſerm Angeſichte ans Land, und gratulirten den Herrn Andreas zur glückli- chen Ankunft ſeines Schiffes, weil ſie hörten,
daß
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Leben der Schwediſchen
Nunmehr komme ich auf einen Period
aus meinem Leben, der alles übertrifft,
was ich bisher geſagt habe. Jch muß mir
Gewalt anthun, indem ich ihn beſchreibe;
ſo ſehr weigert ſich mein Herz, die Vor-
ſtellung einer Begebenheit in ſich zu er-
neuern, die ihm ſo viel gekoſtet hat. Jch
weis, daß es eine von den Haupttugen-
den einer guten Art zu erzählen iſt, wenn
man ſo erzählt, daß die Leſer nicht die
Sache zu leſen, ſondern ſelbſt zu ſehen glau-
ben, und durch eine abgenöthigte Empfin-
dung ſich unvermerkt an die Stelle der Per-
ſon ſetzen, welcher die Sache begegnet iſt.
Allein ich zweifle, daß ich dieſe Abſicht er-
halten werde. Wir fuhren, wie ich ge-
ſagt habe, dem ankommenden Schiffe
eine halbe Stunde entgegen. Es waren
zehn bis zwölf Deutſche Reiſende auf dem-
ſelben, und auch etliche Ruſſen. Dieſe
ſtiegen in unſerm Angeſichte ans Land, und
gratulirten den Herrn Andreas zur glückli-
chen Ankunft ſeines Schiffes, weil ſie hörten,
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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/132>, abgerufen am 04.07.2024.
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