Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite


und vermöge dieses Zusammenhangs, der der ganzen Masse Rundung und Kugelgestalt zu geben strebt, da eine Convexität annehmen, wo dieses durch keine überwiegende Anziehung nach der entgegengesetzten Seite verhindert wird. Eben daraus erklärt sich auch, warum ein mit Fett bestrichnes Kügelchen gleichsam eine Grube um sich her in das Wasser drückt; es trennt nämlich die Contiguität der Wassertheile, und bringt an die Stelle des Wassers etwas, das die benachbarten Theile nicht mehr so stark anzieht, daher diese blos der Anziehung des übrigen Wassers folgen, und an dieser Stelle eine convexe Fläche bilden. Dieses Phänomen aus bloßen Anziehungen zu erklären, ist also gar nicht so schwer, als ich mit Unrecht im Art. S. 894. behauptet hatte.

Man hat eine der Materie wesentliche Repulsionskraft aus ihrer Undurchdringlichkeit beweisen wollen. Weil alle Materie, sagt man, anderer, die in ihren Raum eindringen wolle, widerstehe, dieser Widerstand aber als Ursache einer entgegengesetzten Bewegung eine Kraft sey, so erfülle die Materie den Raum nicht durch bloße Existenz, sondern durch zurückstoßende Kraft. Der bloße Satz des Widerspruchs könne keine Materie zurücktreiben, und nur dann, wenn man dem, was sich im Raume befindet, eine Kraft beylege, alles Aeußere zu entfernen, verstehe man, wie es einen Widerspruch enthalte, daß in den Raum, wo ein Ding ist, zugleich ein anderes eindringen könne (Man s. Kants metaphysische Anfangsgr. der Naturwissenschaft. Riga, 1787. 8.). Hr. Mayer erinnert dagegen mit Recht, es sey doch hier blos von demjenigen Raume die Rede, den die Materie vollkommen erfülle, mit Ausschluß der zerstreuten Leere. Diesen noch vollkommner zu erfüllen, sey doch eine absolute Unmöglichkeit, und selbst eine unendliche Kraft würde nicht vermögend seyn, mehr Materie in diesen Raum zu bringen. Daher sey die Existenz der Materie in diesem Raume vollkommen hinreichend, die materielle Undurchdringlichkeit zu erklären, durch eine angenommene Repulsionskraft werde diese Erkläruug um nichts deutlicher, und dann könne man doch das, was verhindere, daß das Seyn eines Dinges zugleich das Seyn eines andern Dinges sey, unmöglich Kraft


und vermoͤge dieſes Zuſammenhangs, der der ganzen Maſſe Rundung und Kugelgeſtalt zu geben ſtrebt, da eine Convexitaͤt annehmen, wo dieſes durch keine uͤberwiegende Anziehung nach der entgegengeſetzten Seite verhindert wird. Eben daraus erklaͤrt ſich auch, warum ein mit Fett beſtrichnes Kuͤgelchen gleichſam eine Grube um ſich her in das Waſſer druͤckt; es trennt naͤmlich die Contiguitaͤt der Waſſertheile, und bringt an die Stelle des Waſſers etwas, das die benachbarten Theile nicht mehr ſo ſtark anzieht, daher dieſe blos der Anziehung des uͤbrigen Waſſers folgen, und an dieſer Stelle eine convexe Flaͤche bilden. Dieſes Phaͤnomen aus bloßen Anziehungen zu erklaͤren, iſt alſo gar nicht ſo ſchwer, als ich mit Unrecht im Art. S. 894. behauptet hatte.

Man hat eine der Materie weſentliche Repulſionskraft aus ihrer Undurchdringlichkeit beweiſen wollen. Weil alle Materie, ſagt man, anderer, die in ihren Raum eindringen wolle, widerſtehe, dieſer Widerſtand aber als Urſache einer entgegengeſetzten Bewegung eine Kraft ſey, ſo erfuͤlle die Materie den Raum nicht durch bloße Exiſtenz, ſondern durch zuruͤckſtoßende Kraft. Der bloße Satz des Widerſpruchs koͤnne keine Materie zuruͤcktreiben, und nur dann, wenn man dem, was ſich im Raume befindet, eine Kraft beylege, alles Aeußere zu entfernen, verſtehe man, wie es einen Widerſpruch enthalte, daß in den Raum, wo ein Ding iſt, zugleich ein anderes eindringen koͤnne (Man ſ. Kants metaphyſiſche Anfangsgr. der Naturwiſſenſchaft. Riga, 1787. 8.). Hr. Mayer erinnert dagegen mit Recht, es ſey doch hier blos von demjenigen Raume die Rede, den die Materie vollkommen erfuͤlle, mit Ausſchluß der zerſtreuten Leere. Dieſen noch vollkommner zu erfuͤllen, ſey doch eine abſolute Unmoͤglichkeit, und ſelbſt eine unendliche Kraft wuͤrde nicht vermoͤgend ſeyn, mehr Materie in dieſen Raum zu bringen. Daher ſey die Exiſtenz der Materie in dieſem Raume vollkommen hinreichend, die materielle Undurchdringlichkeit zu erklaͤren, durch eine angenommene Repulſionskraft werde dieſe Erklaͤruug um nichts deutlicher, und dann koͤnne man doch das, was verhindere, daß das Seyn eines Dinges zugleich das Seyn eines andern Dinges ſey, unmoͤglich Kraft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f1046" xml:id="P.5.1034" n="1034"/><lb/>
und vermo&#x0364;ge die&#x017F;es Zu&#x017F;ammenhangs, der der ganzen Ma&#x017F;&#x017F;e Rundung und Kugelge&#x017F;talt zu geben &#x017F;trebt, da eine Convexita&#x0364;t annehmen, wo die&#x017F;es durch keine u&#x0364;berwiegende Anziehung nach der entgegenge&#x017F;etzten Seite verhindert wird. Eben daraus erkla&#x0364;rt &#x017F;ich auch, warum ein mit Fett be&#x017F;trichnes Ku&#x0364;gelchen gleich&#x017F;am eine Grube um &#x017F;ich her in das Wa&#x017F;&#x017F;er dru&#x0364;ckt; es trennt na&#x0364;mlich die Contiguita&#x0364;t der Wa&#x017F;&#x017F;ertheile, und bringt an die Stelle des Wa&#x017F;&#x017F;ers etwas, das die benachbarten Theile nicht mehr &#x017F;o &#x017F;tark anzieht, daher die&#x017F;e blos der Anziehung des u&#x0364;brigen Wa&#x017F;&#x017F;ers folgen, und an die&#x017F;er Stelle eine convexe Fla&#x0364;che bilden. Die&#x017F;es Pha&#x0364;nomen aus bloßen Anziehungen zu erkla&#x0364;ren, i&#x017F;t al&#x017F;o gar nicht &#x017F;o &#x017F;chwer, als ich mit Unrecht im Art. S. 894. behauptet hatte.</p>
              <p>Man hat eine der Materie we&#x017F;entliche Repul&#x017F;ionskraft aus ihrer Undurchdringlichkeit bewei&#x017F;en wollen. Weil alle Materie, &#x017F;agt man, anderer, die in ihren Raum eindringen wolle, wider&#x017F;tehe, die&#x017F;er Wider&#x017F;tand aber als Ur&#x017F;ache einer entgegenge&#x017F;etzten Bewegung eine Kraft &#x017F;ey, &#x017F;o erfu&#x0364;lle die Materie den Raum nicht durch bloße <hi rendition="#b">Exi&#x017F;tenz,</hi> &#x017F;ondern durch <hi rendition="#b">zuru&#x0364;ck&#x017F;toßende Kraft.</hi> Der bloße Satz des Wider&#x017F;pruchs ko&#x0364;nne keine Materie zuru&#x0364;cktreiben, und nur dann, wenn man dem, was &#x017F;ich im Raume befindet, eine <hi rendition="#b">Kraft</hi> beylege, alles Aeußere zu entfernen, ver&#x017F;tehe man, wie es einen Wider&#x017F;pruch enthalte, daß in den Raum, wo ein Ding i&#x017F;t, zugleich ein anderes eindringen ko&#x0364;nne (Man &#x017F;. <hi rendition="#b">Kants</hi> metaphy&#x017F;i&#x017F;che Anfangsgr. der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Riga, 1787. 8.). Hr. <hi rendition="#b">Mayer</hi> erinnert dagegen mit Recht, es &#x017F;ey doch hier blos von demjenigen Raume die Rede, den die Materie vollkommen erfu&#x0364;lle, mit Aus&#x017F;chluß der zer&#x017F;treuten Leere. Die&#x017F;en noch vollkommner zu erfu&#x0364;llen, &#x017F;ey doch eine ab&#x017F;olute Unmo&#x0364;glichkeit, und &#x017F;elb&#x017F;t eine unendliche Kraft wu&#x0364;rde nicht vermo&#x0364;gend &#x017F;eyn, mehr Materie in die&#x017F;en Raum zu bringen. Daher &#x017F;ey die <hi rendition="#b">Exi&#x017F;tenz</hi> der Materie in die&#x017F;em Raume vollkommen hinreichend, die materielle Undurchdringlichkeit zu erkla&#x0364;ren, durch eine angenommene Repul&#x017F;ionskraft werde die&#x017F;e Erkla&#x0364;ruug um nichts deutlicher, und dann ko&#x0364;nne man doch das, was verhindere, daß das Seyn eines Dinges zugleich das Seyn eines andern Dinges &#x017F;ey, unmo&#x0364;glich <hi rendition="#b">Kraft</hi><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1034/1046] und vermoͤge dieſes Zuſammenhangs, der der ganzen Maſſe Rundung und Kugelgeſtalt zu geben ſtrebt, da eine Convexitaͤt annehmen, wo dieſes durch keine uͤberwiegende Anziehung nach der entgegengeſetzten Seite verhindert wird. Eben daraus erklaͤrt ſich auch, warum ein mit Fett beſtrichnes Kuͤgelchen gleichſam eine Grube um ſich her in das Waſſer druͤckt; es trennt naͤmlich die Contiguitaͤt der Waſſertheile, und bringt an die Stelle des Waſſers etwas, das die benachbarten Theile nicht mehr ſo ſtark anzieht, daher dieſe blos der Anziehung des uͤbrigen Waſſers folgen, und an dieſer Stelle eine convexe Flaͤche bilden. Dieſes Phaͤnomen aus bloßen Anziehungen zu erklaͤren, iſt alſo gar nicht ſo ſchwer, als ich mit Unrecht im Art. S. 894. behauptet hatte. Man hat eine der Materie weſentliche Repulſionskraft aus ihrer Undurchdringlichkeit beweiſen wollen. Weil alle Materie, ſagt man, anderer, die in ihren Raum eindringen wolle, widerſtehe, dieſer Widerſtand aber als Urſache einer entgegengeſetzten Bewegung eine Kraft ſey, ſo erfuͤlle die Materie den Raum nicht durch bloße Exiſtenz, ſondern durch zuruͤckſtoßende Kraft. Der bloße Satz des Widerſpruchs koͤnne keine Materie zuruͤcktreiben, und nur dann, wenn man dem, was ſich im Raume befindet, eine Kraft beylege, alles Aeußere zu entfernen, verſtehe man, wie es einen Widerſpruch enthalte, daß in den Raum, wo ein Ding iſt, zugleich ein anderes eindringen koͤnne (Man ſ. Kants metaphyſiſche Anfangsgr. der Naturwiſſenſchaft. Riga, 1787. 8.). Hr. Mayer erinnert dagegen mit Recht, es ſey doch hier blos von demjenigen Raume die Rede, den die Materie vollkommen erfuͤlle, mit Ausſchluß der zerſtreuten Leere. Dieſen noch vollkommner zu erfuͤllen, ſey doch eine abſolute Unmoͤglichkeit, und ſelbſt eine unendliche Kraft wuͤrde nicht vermoͤgend ſeyn, mehr Materie in dieſen Raum zu bringen. Daher ſey die Exiſtenz der Materie in dieſem Raume vollkommen hinreichend, die materielle Undurchdringlichkeit zu erklaͤren, durch eine angenommene Repulſionskraft werde dieſe Erklaͤruug um nichts deutlicher, und dann koͤnne man doch das, was verhindere, daß das Seyn eines Dinges zugleich das Seyn eines andern Dinges ſey, unmoͤglich Kraft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/1046
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 1034. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/1046>, abgerufen am 18.05.2024.