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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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Nimmt man endlich noch hinzu, daß diese Planetenbahnen nicht in der Ebene der Ekliptik selbst liegen, sondern diese Ebene unter kleinen Neigungswinkeln in Knotenlinien schneiden, so lassen sich mit hinzugenommener Bewegung der Erde auch die Phänomene der Breiten in völliger Uebereinstimmung mit den Erscheinungen erklären.

Da der Mond um die Erde selbst läuft, so kann er keine Stillstände und Rückgänge zeigen. So verhält es sich auch wirklich: es fallen blos Ungleichheiten seines rechtläusigen Fortgangs und Veränderung seiner Breite in die Augen, wovon jene erst durch die von Kepler und Newton angegebenen Gründe richtig erklärt worden sind, diese aber von der Neigung der Mondbahn gegen die Ekliptik herrühren. Einwürfe gegen die copernikanische Weltordnung.

Die Beweise des Aristoteles, daß die Erde im Mittelpunkte stehe, welche Copernikus (De revol. I. c. 7-9.) widerlegt, gründen sich meistens auf willkührlich angenommene Sätze, z. B. daß alles Schwere nach dem Mittelpunkte des Ganzen falle, alles Leichte nach dem Umfange strebe, daß alle himmlische Körper kreisförmige, alle irdische geradlinichte Bewegungen zeigen, daher die Erde keiner Kreisbewegung fähig sey. In des Copernikus Beantwortung finden sich Spuren des Begriffs von allgemeiner Schwere, s. Gravitation (Th. II. S. 519.).

Ptolemäus führt im Almagest den Umstand, daß wir stets eine völlige Helfte des Himmels über dem Horizonte sehen, und von entgegengesetzten Stellen der Sphäre die eine in eben dem Augenblicke aufgeht, in welchem die andere untergeht, als einen Beweis an, daß die Erde in der Mitte des Ganzen stehe. Man hatte schon dem Aristarch von Samos diesen Einwurf gemacht, welcher sehr richtig antwortete, die Erdbahn verhalte sich zum Abstande der Fixsterne, wie der Mittelpunkt einer Kugel zu ihrem Halbmesser (s. Archimedis Arenarius, in Jo. Wallisii Opp. Tom. III. p. 514.) d. h. die ganze Erdbahn sey gegen diesen Abstand unendlich klein, oder als ein Punkt anzusehen.


Nimmt man endlich noch hinzu, daß dieſe Planetenbahnen nicht in der Ebene der Ekliptik ſelbſt liegen, ſondern dieſe Ebene unter kleinen Neigungswinkeln in Knotenlinien ſchneiden, ſo laſſen ſich mit hinzugenommener Bewegung der Erde auch die Phaͤnomene der Breiten in voͤlliger Uebereinſtimmung mit den Erſcheinungen erklaͤren.

Da der Mond um die Erde ſelbſt laͤuft, ſo kann er keine Stillſtaͤnde und Ruͤckgaͤnge zeigen. So verhaͤlt es ſich auch wirklich: es fallen blos Ungleichheiten ſeines rechtlaͤuſigen Fortgangs und Veraͤnderung ſeiner Breite in die Augen, wovon jene erſt durch die von Kepler und Newton angegebenen Gruͤnde richtig erklaͤrt worden ſind, dieſe aber von der Neigung der Mondbahn gegen die Ekliptik herruͤhren. Einwuͤrfe gegen die copernikaniſche Weltordnung.

Die Beweiſe des Ariſtoteles, daß die Erde im Mittelpunkte ſtehe, welche Copernikus (De revol. I. c. 7-9.) widerlegt, gruͤnden ſich meiſtens auf willkuͤhrlich angenommene Saͤtze, z. B. daß alles Schwere nach dem Mittelpunkte des Ganzen falle, alles Leichte nach dem Umfange ſtrebe, daß alle himmliſche Koͤrper kreisfoͤrmige, alle irdiſche geradlinichte Bewegungen zeigen, daher die Erde keiner Kreisbewegung faͤhig ſey. In des Copernikus Beantwortung finden ſich Spuren des Begriffs von allgemeiner Schwere, ſ. Gravitation (Th. II. S. 519.).

Ptolemaͤus fuͤhrt im Almageſt den Umſtand, daß wir ſtets eine voͤllige Helfte des Himmels uͤber dem Horizonte ſehen, und von entgegengeſetzten Stellen der Sphaͤre die eine in eben dem Augenblicke aufgeht, in welchem die andere untergeht, als einen Beweis an, daß die Erde in der Mitte des Ganzen ſtehe. Man hatte ſchon dem Ariſtarch von Samos dieſen Einwurf gemacht, welcher ſehr richtig antwortete, die Erdbahn verhalte ſich zum Abſtande der Fixſterne, wie der Mittelpunkt einer Kugel zu ihrem Halbmeſſer (ſ. Archimedis Arenarius, in Jo. Walliſii Opp. Tom. III. p. 514.) d. h. die ganze Erdbahn ſey gegen dieſen Abſtand unendlich klein, oder als ein Punkt anzuſehen.

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[726/0736] Nimmt man endlich noch hinzu, daß dieſe Planetenbahnen nicht in der Ebene der Ekliptik ſelbſt liegen, ſondern dieſe Ebene unter kleinen Neigungswinkeln in Knotenlinien ſchneiden, ſo laſſen ſich mit hinzugenommener Bewegung der Erde auch die Phaͤnomene der Breiten in voͤlliger Uebereinſtimmung mit den Erſcheinungen erklaͤren. Da der Mond um die Erde ſelbſt laͤuft, ſo kann er keine Stillſtaͤnde und Ruͤckgaͤnge zeigen. So verhaͤlt es ſich auch wirklich: es fallen blos Ungleichheiten ſeines rechtlaͤuſigen Fortgangs und Veraͤnderung ſeiner Breite in die Augen, wovon jene erſt durch die von Kepler und Newton angegebenen Gruͤnde richtig erklaͤrt worden ſind, dieſe aber von der Neigung der Mondbahn gegen die Ekliptik herruͤhren. Einwuͤrfe gegen die copernikaniſche Weltordnung. Die Beweiſe des Ariſtoteles, daß die Erde im Mittelpunkte ſtehe, welche Copernikus (De revol. I. c. 7-9.) widerlegt, gruͤnden ſich meiſtens auf willkuͤhrlich angenommene Saͤtze, z. B. daß alles Schwere nach dem Mittelpunkte des Ganzen falle, alles Leichte nach dem Umfange ſtrebe, daß alle himmliſche Koͤrper kreisfoͤrmige, alle irdiſche geradlinichte Bewegungen zeigen, daher die Erde keiner Kreisbewegung faͤhig ſey. In des Copernikus Beantwortung finden ſich Spuren des Begriffs von allgemeiner Schwere, ſ. Gravitation (Th. II. S. 519.). Ptolemaͤus fuͤhrt im Almageſt den Umſtand, daß wir ſtets eine voͤllige Helfte des Himmels uͤber dem Horizonte ſehen, und von entgegengeſetzten Stellen der Sphaͤre die eine in eben dem Augenblicke aufgeht, in welchem die andere untergeht, als einen Beweis an, daß die Erde in der Mitte des Ganzen ſtehe. Man hatte ſchon dem Ariſtarch von Samos dieſen Einwurf gemacht, welcher ſehr richtig antwortete, die Erdbahn verhalte ſich zum Abſtande der Fixſterne, wie der Mittelpunkt einer Kugel zu ihrem Halbmeſſer (ſ. Archimedis Arenarius, in Jo. Walliſii Opp. Tom. III. p. 514.) d. h. die ganze Erdbahn ſey gegen dieſen Abſtand unendlich klein, oder als ein Punkt anzuſehen.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 726. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/736>, abgerufen am 12.06.2024.