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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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seinem Lehrbuche (Epitome Astronomiae. Heidelb. 1582. 8.) nur das ptolemäische Weltgebäude vor. Man sieht wohl, daß diese Aufnahme sehr kaltsinnig war, weil man den Muth nicht hatte, sich über den sinnlichen Schein und die verjährten Vorurtheile des Ansehens zu erheben; vielleicht auch, weil Furcht und Mißtrauen Manchen abhielt, sich den Machtsprüchen der Schule zu widersetzen, welche die Unbeweglichkeit der Erde aus dem Aristoteles und einigen buchstäblich erklärten Stellen der heiligen Schrift mit vermeinter Unfehlbarkeit behauptete.

Inzwischen hatte doch Copernikus die Mängel der alten Weltordnung fühlbarer gemacht. Man sahe ein, daß mit dieser nicht mehr auszureichen sey, und bemühte sich daher, neue Systeme zu erdenken, an welchen die damalige Zeit sehr fruchtbar ward. Unter diese gehört nun außer denen von Fracastori, Raimund Ursus u. a. auch die Hypothese des Tycho de Brahe. Dieser große praktische Astronom suchte einen Mittelweg zwischen dem alten und neuen System, indem er aus dem letztern soviel annahm, als immer möglich war, ohne dem Aristoteles und der damaligen Schriftauslegung zu widersprechen. Tychonisches Weltsystem.

Tycho de Brahe (De mundi aetherei recentioribus Phaenomenis liber secundus. Vranib. 1588. 4maj. und nachher Pragae, 1603.) setzte zwar die Erde unbewegt ins Mittel, und ließ um sie den Mond und in größerer Entfernung die Sonne umlaufen: den übrigen fünf Planeten aber gab er Bahnen, welche um die Sonne giengen, deren Mittelpunkt also durch die Bewegung der Sonne selbst im Kreise herumgeführt ward. Man übersieht gar leicht, daß hiedurch die wahre Bewegung der Planeten wiederum in Epicykloiden geschehen muß, woraus die verschiedene Geschwindigkeit nebst den Stillständen und Rückgängen begreiflich wird, ohne die ptolemäischen Epicykel zu gebrauchen. Merkur und Venus beschreiben um die Sonne Kreise, deren Halbmesser kleiner ist, als der Halbmesser der


ſeinem Lehrbuche (Epitome Aſtronomiae. Heidelb. 1582. 8.) nur das ptolemaͤiſche Weltgebaͤude vor. Man ſieht wohl, daß dieſe Aufnahme ſehr kaltſinnig war, weil man den Muth nicht hatte, ſich uͤber den ſinnlichen Schein und die verjaͤhrten Vorurtheile des Anſehens zu erheben; vielleicht auch, weil Furcht und Mißtrauen Manchen abhielt, ſich den Machtſpruͤchen der Schule zu widerſetzen, welche die Unbeweglichkeit der Erde aus dem Ariſtoteles und einigen buchſtaͤblich erklaͤrten Stellen der heiligen Schrift mit vermeinter Unfehlbarkeit behauptete.

Inzwiſchen hatte doch Copernikus die Maͤngel der alten Weltordnung fuͤhlbarer gemacht. Man ſahe ein, daß mit dieſer nicht mehr auszureichen ſey, und bemuͤhte ſich daher, neue Syſteme zu erdenken, an welchen die damalige Zeit ſehr fruchtbar ward. Unter dieſe gehoͤrt nun außer denen von Fracaſtori, Raimund Urſus u. a. auch die Hypotheſe des Tycho de Brahe. Dieſer große praktiſche Aſtronom ſuchte einen Mittelweg zwiſchen dem alten und neuen Syſtem, indem er aus dem letztern ſoviel annahm, als immer moͤglich war, ohne dem Ariſtoteles und der damaligen Schriftauslegung zu widerſprechen. Tychoniſches Weltſyſtem.

Tycho de Brahe (De mundi aetherei recentioribus Phaenomenis liber ſecundus. Vranib. 1588. 4maj. und nachher Pragae, 1603.) ſetzte zwar die Erde unbewegt ins Mittel, und ließ um ſie den Mond und in groͤßerer Entfernung die Sonne umlaufen: den uͤbrigen fuͤnf Planeten aber gab er Bahnen, welche um die Sonne giengen, deren Mittelpunkt alſo durch die Bewegung der Sonne ſelbſt im Kreiſe herumgefuͤhrt ward. Man uͤberſieht gar leicht, daß hiedurch die wahre Bewegung der Planeten wiederum in Epicykloiden geſchehen muß, woraus die verſchiedene Geſchwindigkeit nebſt den Stillſtaͤnden und Ruͤckgaͤngen begreiflich wird, ohne die ptolemaͤiſchen Epicykel zu gebrauchen. Merkur und Venus beſchreiben um die Sonne Kreiſe, deren Halbmeſſer kleiner iſt, als der Halbmeſſer der

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[713/0723] ſeinem Lehrbuche (Epitome Aſtronomiae. Heidelb. 1582. 8.) nur das ptolemaͤiſche Weltgebaͤude vor. Man ſieht wohl, daß dieſe Aufnahme ſehr kaltſinnig war, weil man den Muth nicht hatte, ſich uͤber den ſinnlichen Schein und die verjaͤhrten Vorurtheile des Anſehens zu erheben; vielleicht auch, weil Furcht und Mißtrauen Manchen abhielt, ſich den Machtſpruͤchen der Schule zu widerſetzen, welche die Unbeweglichkeit der Erde aus dem Ariſtoteles und einigen buchſtaͤblich erklaͤrten Stellen der heiligen Schrift mit vermeinter Unfehlbarkeit behauptete. Inzwiſchen hatte doch Copernikus die Maͤngel der alten Weltordnung fuͤhlbarer gemacht. Man ſahe ein, daß mit dieſer nicht mehr auszureichen ſey, und bemuͤhte ſich daher, neue Syſteme zu erdenken, an welchen die damalige Zeit ſehr fruchtbar ward. Unter dieſe gehoͤrt nun außer denen von Fracaſtori, Raimund Urſus u. a. auch die Hypotheſe des Tycho de Brahe. Dieſer große praktiſche Aſtronom ſuchte einen Mittelweg zwiſchen dem alten und neuen Syſtem, indem er aus dem letztern ſoviel annahm, als immer moͤglich war, ohne dem Ariſtoteles und der damaligen Schriftauslegung zu widerſprechen. Tychoniſches Weltſyſtem. Tycho de Brahe (De mundi aetherei recentioribus Phaenomenis liber ſecundus. Vranib. 1588. 4maj. und nachher Pragae, 1603.) ſetzte zwar die Erde unbewegt ins Mittel, und ließ um ſie den Mond und in groͤßerer Entfernung die Sonne umlaufen: den uͤbrigen fuͤnf Planeten aber gab er Bahnen, welche um die Sonne giengen, deren Mittelpunkt alſo durch die Bewegung der Sonne ſelbſt im Kreiſe herumgefuͤhrt ward. Man uͤberſieht gar leicht, daß hiedurch die wahre Bewegung der Planeten wiederum in Epicykloiden geſchehen muß, woraus die verſchiedene Geſchwindigkeit nebſt den Stillſtaͤnden und Ruͤckgaͤngen begreiflich wird, ohne die ptolemaͤiſchen Epicykel zu gebrauchen. Merkur und Venus beſchreiben um die Sonne Kreiſe, deren Halbmeſſer kleiner iſt, als der Halbmeſſer der

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/723>, abgerufen am 28.07.2024.