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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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Die Unbeweglichkeit der Erde scheint durch das deutliche Zeugniß der Sinne bestätigt zu werden. Natürlich mußten also die ersten Beobachter des Himmels alle erwähnte Bewegungen der Gestirne für wirklich halten, und auf die Erde als einen ruhenden Mittelpunkt beziehen. Dennoch sollen die besondern Erscheinungen der Venus und des Merkur nach des Makrobius Zeugnisse (Somn. Scip. I. 19.) schon die ältern Egyptier bewogen haben, diesen beyden Planeten einen Umlauf um die Sonne zuzuschreiben. In der That muß auch die Betrachtung ihres Laufs, der die Sonne stets begleitet, gar bald auf eine solche Vermuthung führen. Man giebt dieser Weltordnung, die nur Venus und Merkur um die Sonne, alle übrigen Bewegungen aber um die ruhende Erde gehen läßt, gewöhnlich den Namen der egyptischen. Vitruv (De architectura IX. 4.) und Martianus Capella (De nuptiis Philologiae et Mercurii L. VIII.) tragen sie ebenfalls vor, ohne jedoch der Egyptier zu erwähnen. Sehr wahrscheinlich hat sie in der Folge zu denjenigen Systemen Anlaß gegeben, welche alle Planeten überhaupt um die Sonne gehen ließen.

Unter den Griechen kam man schon viel weiter. Es ist entschieden gewiß, daß die pythagoräische oder italische Schule bereits die Bewegung der Erde behauptet hat. Aristoteles (De caelo II. 13.) schreibt diese Lehre den Pythagoräern ausdrücklich zu, und giebt ihnen dabey mit vieler Mißbilligung eine große Menge von Ungereimtheiten Schuld. Pythagoras selbst scheint zwar nach dem, was Plinius (Hist. nat. II. 12.) und Censorin (De die natali c. 13.) von seiner Vergleichung der Planetenabstände mit den musikalischen Intervallen erzählen, eher die Erde in den Mittelpunkt gesetzt zu haben. Aber Montucla vermuthet, er habe die wahre Weltordnung als eine geheimere Lehre unter dem Symbol eines im Mittel der Welt befindlichen Feuers verborgen, bis erst später sein kühnerer Nachfolger Philolaus gewagt habe, sie öffentlich vorzutragen.


Die Unbeweglichkeit der Erde ſcheint durch das deutliche Zeugniß der Sinne beſtaͤtigt zu werden. Natuͤrlich mußten alſo die erſten Beobachter des Himmels alle erwaͤhnte Bewegungen der Geſtirne fuͤr wirklich halten, und auf die Erde als einen ruhenden Mittelpunkt beziehen. Dennoch ſollen die beſondern Erſcheinungen der Venus und des Merkur nach des Makrobius Zeugniſſe (Somn. Scip. I. 19.) ſchon die aͤltern Egyptier bewogen haben, dieſen beyden Planeten einen Umlauf um die Sonne zuzuſchreiben. In der That muß auch die Betrachtung ihres Laufs, der die Sonne ſtets begleitet, gar bald auf eine ſolche Vermuthung fuͤhren. Man giebt dieſer Weltordnung, die nur Venus und Merkur um die Sonne, alle uͤbrigen Bewegungen aber um die ruhende Erde gehen laͤßt, gewoͤhnlich den Namen der egyptiſchen. Vitruv (De architectura IX. 4.) und Martianus Capella (De nuptiis Philologiae et Mercurii L. VIII.) tragen ſie ebenfalls vor, ohne jedoch der Egyptier zu erwaͤhnen. Sehr wahrſcheinlich hat ſie in der Folge zu denjenigen Syſtemen Anlaß gegeben, welche alle Planeten uͤberhaupt um die Sonne gehen ließen.

Unter den Griechen kam man ſchon viel weiter. Es iſt entſchieden gewiß, daß die pythagoraͤiſche oder italiſche Schule bereits die Bewegung der Erde behauptet hat. Ariſtoteles (De caelo II. 13.) ſchreibt dieſe Lehre den Pythagoraͤern ausdruͤcklich zu, und giebt ihnen dabey mit vieler Mißbilligung eine große Menge von Ungereimtheiten Schuld. Pythagoras ſelbſt ſcheint zwar nach dem, was Plinius (Hiſt. nat. II. 12.) und Cenſorin (De die natali c. 13.) von ſeiner Vergleichung der Planetenabſtaͤnde mit den muſikaliſchen Intervallen erzaͤhlen, eher die Erde in den Mittelpunkt geſetzt zu haben. Aber Montucla vermuthet, er habe die wahre Weltordnung als eine geheimere Lehre unter dem Symbol eines im Mittel der Welt befindlichen Feuers verborgen, bis erſt ſpaͤter ſein kuͤhnerer Nachfolger Philolaus gewagt habe, ſie oͤffentlich vorzutragen.

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[704/0714] Die Unbeweglichkeit der Erde ſcheint durch das deutliche Zeugniß der Sinne beſtaͤtigt zu werden. Natuͤrlich mußten alſo die erſten Beobachter des Himmels alle erwaͤhnte Bewegungen der Geſtirne fuͤr wirklich halten, und auf die Erde als einen ruhenden Mittelpunkt beziehen. Dennoch ſollen die beſondern Erſcheinungen der Venus und des Merkur nach des Makrobius Zeugniſſe (Somn. Scip. I. 19.) ſchon die aͤltern Egyptier bewogen haben, dieſen beyden Planeten einen Umlauf um die Sonne zuzuſchreiben. In der That muß auch die Betrachtung ihres Laufs, der die Sonne ſtets begleitet, gar bald auf eine ſolche Vermuthung fuͤhren. Man giebt dieſer Weltordnung, die nur Venus und Merkur um die Sonne, alle uͤbrigen Bewegungen aber um die ruhende Erde gehen laͤßt, gewoͤhnlich den Namen der egyptiſchen. Vitruv (De architectura IX. 4.) und Martianus Capella (De nuptiis Philologiae et Mercurii L. VIII.) tragen ſie ebenfalls vor, ohne jedoch der Egyptier zu erwaͤhnen. Sehr wahrſcheinlich hat ſie in der Folge zu denjenigen Syſtemen Anlaß gegeben, welche alle Planeten uͤberhaupt um die Sonne gehen ließen. Unter den Griechen kam man ſchon viel weiter. Es iſt entſchieden gewiß, daß die pythagoraͤiſche oder italiſche Schule bereits die Bewegung der Erde behauptet hat. Ariſtoteles (De caelo II. 13.) ſchreibt dieſe Lehre den Pythagoraͤern ausdruͤcklich zu, und giebt ihnen dabey mit vieler Mißbilligung eine große Menge von Ungereimtheiten Schuld. Pythagoras ſelbſt ſcheint zwar nach dem, was Plinius (Hiſt. nat. II. 12.) und Cenſorin (De die natali c. 13.) von ſeiner Vergleichung der Planetenabſtaͤnde mit den muſikaliſchen Intervallen erzaͤhlen, eher die Erde in den Mittelpunkt geſetzt zu haben. Aber Montucla vermuthet, er habe die wahre Weltordnung als eine geheimere Lehre unter dem Symbol eines im Mittel der Welt befindlichen Feuers verborgen, bis erſt ſpaͤter ſein kuͤhnerer Nachfolger Philolaus gewagt habe, ſie oͤffentlich vorzutragen.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/714>, abgerufen am 12.06.2024.