Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


der untere Theil des Tropfens trennt sich von dem obern, der am Glase anhängt, so daß niemals der ganze Tropfen, sondern nur ein Theil desselben, vom Glase abfällt.

Wenn zween Tropfen von einerley Flüßigkeit auf einer reinen Oberfläche, von der sie wenig gezogen werden, zur Berührung kommen, so fließen sie augenblicklich in einen einzigen Tropfen zusammen. Am deutlichsten sieht man dieses an kleinen sehr reinen Quecksilbertropfen auf reinem glatten Papier oder auf einem Glasspiegel. Wenn aber mehrere Tropfen Wasser oder Weingeist auf Glas neben einander liegen, und einer davon nach und nach bis zur Berührung mit den andern vergrößert wird, so vereinigen sie sich zwar auch, aber nicht so vollkommen; sie bilden vielmehr eine längliche Figur, die in der Mitte einen schmalen Hals behält. Dies kömmt daher, weil die Wassertheile, welche das Glas zuerst benetzt haben, an demselben so stark anhängen, daß sie von den zusammenfließenden Theilen der Tropfen nicht losgerissen werden können; daher sich der neue Tropfen an den einmal benetzten Stellen des Glases weiter verbreitet, als in der Mitte, wo das Glas vorher noch trocken war. Tropfen von geschmolzenem Zinn, Bley Wismuth u. dergl. auf heißem Eisen verhalten sich, wie Quecksilbertropfen auf Glas.

Auch dieses Zusammenfließen der Tropfen hat man aus dem Drucke der Luft erklären wollen. Die Ausflüsse aus dem einen Tropfen sollten wegen der ähnlichen Gestalt der Poren sehr häufig in den andern eindringen und die zwischen beyden befindliche Luft aus der Stelle treiben, daher der Seitendruck der umliegenden Luft die Tropfen zusammentriebe. Aber die Ausflüsse, welche die Luft vertreiben sollen, sind doch nur erdichtet, und alles erfolgt im luftleeren Raume genau so, wie im luftvollen. Mit eben so wenig Glück hat man nachher den Aether an die Stelle der Luft zu setzen gesucht. Dieser würde die Tropfen durchdringen, also nicht zusammentreiben. Die Gelehrten würden, wie Musschenbroek sehr richtig sagt, solche Erklärungen gar nicht erdacht haben, wenn sie sich die Mühe genommen hätten, die Versuche selbst anzustellen. Diese zeigen sehr deutlich,


der untere Theil des Tropfens trennt ſich von dem obern, der am Glaſe anhaͤngt, ſo daß niemals der ganze Tropfen, ſondern nur ein Theil deſſelben, vom Glaſe abfaͤllt.

Wenn zween Tropfen von einerley Fluͤßigkeit auf einer reinen Oberflaͤche, von der ſie wenig gezogen werden, zur Beruͤhrung kommen, ſo fließen ſie augenblicklich in einen einzigen Tropfen zuſammen. Am deutlichſten ſieht man dieſes an kleinen ſehr reinen Queckſilbertropfen auf reinem glatten Papier oder auf einem Glasſpiegel. Wenn aber mehrere Tropfen Waſſer oder Weingeiſt auf Glas neben einander liegen, und einer davon nach und nach bis zur Beruͤhrung mit den andern vergroͤßert wird, ſo vereinigen ſie ſich zwar auch, aber nicht ſo vollkommen; ſie bilden vielmehr eine laͤngliche Figur, die in der Mitte einen ſchmalen Hals behaͤlt. Dies koͤmmt daher, weil die Waſſertheile, welche das Glas zuerſt benetzt haben, an demſelben ſo ſtark anhaͤngen, daß ſie von den zuſammenfließenden Theilen der Tropfen nicht losgeriſſen werden koͤnnen; daher ſich der neue Tropfen an den einmal benetzten Stellen des Glaſes weiter verbreitet, als in der Mitte, wo das Glas vorher noch trocken war. Tropfen von geſchmolzenem Zinn, Bley Wismuth u. dergl. auf heißem Eiſen verhalten ſich, wie Queckſilbertropfen auf Glas.

Auch dieſes Zuſammenfließen der Tropfen hat man aus dem Drucke der Luft erklaͤren wollen. Die Ausfluͤſſe aus dem einen Tropfen ſollten wegen der aͤhnlichen Geſtalt der Poren ſehr haͤufig in den andern eindringen und die zwiſchen beyden befindliche Luft aus der Stelle treiben, daher der Seitendruck der umliegenden Luft die Tropfen zuſammentriebe. Aber die Ausfluͤſſe, welche die Luft vertreiben ſollen, ſind doch nur erdichtet, und alles erfolgt im luftleeren Raume genau ſo, wie im luftvollen. Mit eben ſo wenig Gluͤck hat man nachher den Aether an die Stelle der Luft zu ſetzen geſucht. Dieſer wuͤrde die Tropfen durchdringen, alſo nicht zuſammentreiben. Die Gelehrten wuͤrden, wie Muſſchenbroek ſehr richtig ſagt, ſolche Erklaͤrungen gar nicht erdacht haben, wenn ſie ſich die Muͤhe genommen haͤtten, die Verſuche ſelbſt anzuſtellen. Dieſe zeigen ſehr deutlich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0409" xml:id="P.4.399" n="399"/><lb/>
der untere Theil des Tropfens trennt &#x017F;ich von dem obern, der am Gla&#x017F;e anha&#x0364;ngt, &#x017F;o daß niemals der ganze Tropfen, &#x017F;ondern nur ein Theil de&#x017F;&#x017F;elben, vom Gla&#x017F;e abfa&#x0364;llt.</p>
            <p>Wenn zween Tropfen von einerley Flu&#x0364;ßigkeit auf einer reinen Oberfla&#x0364;che, von der &#x017F;ie wenig gezogen werden, zur Beru&#x0364;hrung kommen, &#x017F;o fließen &#x017F;ie augenblicklich in einen einzigen Tropfen zu&#x017F;ammen. Am deutlich&#x017F;ten &#x017F;ieht man die&#x017F;es an kleinen &#x017F;ehr reinen Queck&#x017F;ilbertropfen auf reinem glatten Papier oder auf einem Glas&#x017F;piegel. Wenn aber mehrere Tropfen Wa&#x017F;&#x017F;er oder Weingei&#x017F;t auf Glas neben einander liegen, und einer davon nach und nach bis zur Beru&#x0364;hrung mit den andern vergro&#x0364;ßert wird, &#x017F;o vereinigen &#x017F;ie &#x017F;ich zwar auch, aber nicht &#x017F;o vollkommen; &#x017F;ie bilden vielmehr eine la&#x0364;ngliche Figur, die in der Mitte einen &#x017F;chmalen Hals beha&#x0364;lt. Dies ko&#x0364;mmt daher, weil die Wa&#x017F;&#x017F;ertheile, welche das Glas zuer&#x017F;t benetzt haben, an dem&#x017F;elben &#x017F;o &#x017F;tark anha&#x0364;ngen, daß &#x017F;ie von den zu&#x017F;ammenfließenden Theilen der Tropfen nicht losgeri&#x017F;&#x017F;en werden ko&#x0364;nnen; daher &#x017F;ich der neue Tropfen an den einmal benetzten Stellen des Gla&#x017F;es weiter verbreitet, als in der Mitte, wo das Glas vorher noch trocken war. Tropfen von ge&#x017F;chmolzenem Zinn, Bley Wismuth u. dergl. auf heißem Ei&#x017F;en verhalten &#x017F;ich, wie Queck&#x017F;ilbertropfen auf Glas.</p>
            <p>Auch die&#x017F;es Zu&#x017F;ammenfließen der Tropfen hat man aus dem Drucke der Luft erkla&#x0364;ren wollen. Die Ausflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e aus dem einen Tropfen &#x017F;ollten wegen der a&#x0364;hnlichen Ge&#x017F;talt der Poren &#x017F;ehr ha&#x0364;ufig in den andern eindringen und die zwi&#x017F;chen beyden befindliche Luft aus der Stelle treiben, daher der Seitendruck der umliegenden Luft die Tropfen zu&#x017F;ammentriebe. Aber die Ausflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, welche die Luft vertreiben &#x017F;ollen, &#x017F;ind doch nur erdichtet, und alles erfolgt im luftleeren Raume genau &#x017F;o, wie im luftvollen. Mit eben &#x017F;o wenig Glu&#x0364;ck hat man nachher den Aether an die Stelle der Luft zu &#x017F;etzen ge&#x017F;ucht. Die&#x017F;er wu&#x0364;rde die Tropfen durchdringen, al&#x017F;o nicht zu&#x017F;ammentreiben. Die Gelehrten wu&#x0364;rden, wie <hi rendition="#b">Mu&#x017F;&#x017F;chenbroek</hi> &#x017F;ehr richtig &#x017F;agt, &#x017F;olche Erkla&#x0364;rungen gar nicht erdacht haben, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich die Mu&#x0364;he genommen ha&#x0364;tten, die Ver&#x017F;uche &#x017F;elb&#x017F;t anzu&#x017F;tellen. Die&#x017F;e zeigen &#x017F;ehr deutlich,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0409] der untere Theil des Tropfens trennt ſich von dem obern, der am Glaſe anhaͤngt, ſo daß niemals der ganze Tropfen, ſondern nur ein Theil deſſelben, vom Glaſe abfaͤllt. Wenn zween Tropfen von einerley Fluͤßigkeit auf einer reinen Oberflaͤche, von der ſie wenig gezogen werden, zur Beruͤhrung kommen, ſo fließen ſie augenblicklich in einen einzigen Tropfen zuſammen. Am deutlichſten ſieht man dieſes an kleinen ſehr reinen Queckſilbertropfen auf reinem glatten Papier oder auf einem Glasſpiegel. Wenn aber mehrere Tropfen Waſſer oder Weingeiſt auf Glas neben einander liegen, und einer davon nach und nach bis zur Beruͤhrung mit den andern vergroͤßert wird, ſo vereinigen ſie ſich zwar auch, aber nicht ſo vollkommen; ſie bilden vielmehr eine laͤngliche Figur, die in der Mitte einen ſchmalen Hals behaͤlt. Dies koͤmmt daher, weil die Waſſertheile, welche das Glas zuerſt benetzt haben, an demſelben ſo ſtark anhaͤngen, daß ſie von den zuſammenfließenden Theilen der Tropfen nicht losgeriſſen werden koͤnnen; daher ſich der neue Tropfen an den einmal benetzten Stellen des Glaſes weiter verbreitet, als in der Mitte, wo das Glas vorher noch trocken war. Tropfen von geſchmolzenem Zinn, Bley Wismuth u. dergl. auf heißem Eiſen verhalten ſich, wie Queckſilbertropfen auf Glas. Auch dieſes Zuſammenfließen der Tropfen hat man aus dem Drucke der Luft erklaͤren wollen. Die Ausfluͤſſe aus dem einen Tropfen ſollten wegen der aͤhnlichen Geſtalt der Poren ſehr haͤufig in den andern eindringen und die zwiſchen beyden befindliche Luft aus der Stelle treiben, daher der Seitendruck der umliegenden Luft die Tropfen zuſammentriebe. Aber die Ausfluͤſſe, welche die Luft vertreiben ſollen, ſind doch nur erdichtet, und alles erfolgt im luftleeren Raume genau ſo, wie im luftvollen. Mit eben ſo wenig Gluͤck hat man nachher den Aether an die Stelle der Luft zu ſetzen geſucht. Dieſer wuͤrde die Tropfen durchdringen, alſo nicht zuſammentreiben. Die Gelehrten wuͤrden, wie Muſſchenbroek ſehr richtig ſagt, ſolche Erklaͤrungen gar nicht erdacht haben, wenn ſie ſich die Muͤhe genommen haͤtten, die Verſuche ſelbſt anzuſtellen. Dieſe zeigen ſehr deutlich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/409
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/409>, abgerufen am 13.05.2024.