Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Aus dem richtigen Begrisfe folgt auch leicht, daß sich die Trägheit, wie die Menge der Masse, verhalte. Das heißt nemlich: In einem Körper von doppelter, dreyfacher Masse rc. eben so viel Aenderung des Zustandes hervorzubringen, ist doppelt, dreymal so viel Kraft rc. nöthig, als in einem Körper von einfacher Masse ein gleiches zu thun. Das ist nun ganz natürlich, da wir keine andere, als träge Masse, kennen, also die doppelte Masse so viel ausmacht, als zween Körper, deren jeder die einfache Kraft erfordert u. s. w. Daher kömmt es auch, daß man den Mittelpunkt der Masse da Mittelpunkt der Trägheit nennt, wo blos von träger, nicht von schwerer, Masse die Rede ist, s. Mittelpunkt der Masse. Bey dem allen ist doch die ganze Sache nur allgemeines Phänomen, und mehr als dieses muß man nie darinn suchen. Wir betrachten freylich die Kräfte als abgesondert von der Materie, und in dieser Betrachtungsart werden jene der thatige Theil, so wie diese der leidende indifferente, träge wird. Aber wer kan wohl behaupten, daß in der wirklichen Welt alle Kräfte völlig außethalb der Materie liegen, vorzüglich bey den Bewegungen der thierischen Körper, und bey so vielen andern, die durch Anziehung, Verwandtschaft u. dergl. veranlaßt werden? Man geht weit über die Grenzen der Physik hinaus, wenn man einen so kühnen Ausspruch wagen will, s. Körper (Th. II. S. 781.). Auf der andern Seite giebt es Metaphysiker, die alle Kräfte in der Materie suchen, s. Materie (Th. II. S. 153 u. f.). Uns, die wir dies alles unentschieden lassen, müssen doch beyde Partheyen zugeben, daß zu jeder Aenderung des Zustands eine Ursache gehöre, sie finde nun in oder außer dem Körper statt. So bald wir diese Ursache absondern, bleibt die Vorstellung des trägen Körpers zurück, und mehr als dieses wollen wir mit der ganzen Lehre von Kraft und Trägheit nicht sagen. Euler (Enodatio quaestionis, utrum materiae facultas cogitandi tribui possit, nec ne; in Opusc. var. arg. To.
Aus dem richtigen Begriſfe folgt auch leicht, daß ſich die Traͤgheit, wie die Menge der Maſſe, verhalte. Das heißt nemlich: In einem Koͤrper von doppelter, dreyfacher Maſſe rc. eben ſo viel Aenderung des Zuſtandes hervorzubringen, iſt doppelt, dreymal ſo viel Kraft rc. noͤthig, als in einem Koͤrper von einfacher Maſſe ein gleiches zu thun. Das iſt nun ganz natuͤrlich, da wir keine andere, als traͤge Maſſe, kennen, alſo die doppelte Maſſe ſo viel ausmacht, als zween Koͤrper, deren jeder die einfache Kraft erfordert u. ſ. w. Daher koͤmmt es auch, daß man den Mittelpunkt der Maſſe da Mittelpunkt der Traͤgheit nennt, wo blos von traͤger, nicht von ſchwerer, Maſſe die Rede iſt, ſ. Mittelpunkt der Maſſe. Bey dem allen iſt doch die ganze Sache nur allgemeines Phaͤnomen, und mehr als dieſes muß man nie darinn ſuchen. Wir betrachten freylich die Kraͤfte als abgeſondert von der Materie, und in dieſer Betrachtungsart werden jene der thatige Theil, ſo wie dieſe der leidende indifferente, traͤge wird. Aber wer kan wohl behaupten, daß in der wirklichen Welt alle Kraͤfte voͤllig außethalb der Materie liegen, vorzuͤglich bey den Bewegungen der thieriſchen Koͤrper, und bey ſo vielen andern, die durch Anziehung, Verwandtſchaft u. dergl. veranlaßt werden? Man geht weit uͤber die Grenzen der Phyſik hinaus, wenn man einen ſo kuͤhnen Ausſpruch wagen will, ſ. Koͤrper (Th. II. S. 781.). Auf der andern Seite giebt es Metaphyſiker, die alle Kraͤfte in der Materie ſuchen, ſ. Materie (Th. II. S. 153 u. f.). Uns, die wir dies alles unentſchieden laſſen, muͤſſen doch beyde Partheyen zugeben, daß zu jeder Aenderung des Zuſtands eine Urſache gehoͤre, ſie finde nun in oder außer dem Koͤrper ſtatt. So bald wir dieſe Urſache abſondern, bleibt die Vorſtellung des traͤgen Koͤrpers zuruͤck, und mehr als dieſes wollen wir mit der ganzen Lehre von Kraft und Traͤgheit nicht ſagen. Euler (Enodatio quaeſtionis, utrum materiae facultas cogitandi tribui poſſit, nec ne; in Opuſc. var. arg. To. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0404" xml:id="P.4.394" n="394"/><lb/> daß dieſer große Phyſiker nur ſeinen eignen unrichtigen Begrif, nicht das Phaͤnomen der Traͤgheit ſelbſt, beſtreitet.</p> <p>Aus dem richtigen Begriſfe folgt auch leicht, daß ſich die Traͤgheit, wie die Menge der Maſſe, verhalte. Das heißt nemlich: In einem Koͤrper von doppelter, dreyfacher Maſſe rc. eben ſo viel Aenderung des Zuſtandes hervorzubringen, iſt doppelt, dreymal ſo viel Kraft rc. noͤthig, als in einem Koͤrper von einfacher Maſſe ein gleiches zu thun. Das iſt nun ganz natuͤrlich, da wir keine andere, als traͤge Maſſe, kennen, alſo die doppelte Maſſe ſo viel ausmacht, als zween Koͤrper, deren jeder die einfache Kraft erfordert u. ſ. w. Daher koͤmmt es auch, daß man den Mittelpunkt der Maſſe da Mittelpunkt der Traͤgheit nennt, wo blos von traͤger, nicht von ſchwerer, Maſſe die Rede iſt, <hi rendition="#b">ſ. Mittelpunkt der Maſſe.</hi></p> <p>Bey dem allen iſt doch die ganze Sache nur allgemeines <hi rendition="#b">Phaͤnomen,</hi> und mehr als dieſes muß man nie darinn ſuchen. Wir betrachten freylich die Kraͤfte als <hi rendition="#b">abgeſondert</hi> von der Materie, und in dieſer Betrachtungsart werden jene der <hi rendition="#b">thatige</hi> Theil, ſo wie dieſe der <hi rendition="#b">leidende</hi> indifferente, traͤge wird. Aber wer kan wohl behaupten, daß in der wirklichen Welt alle Kraͤfte voͤllig <hi rendition="#b">außethalb</hi> der Materie liegen, vorzuͤglich bey den Bewegungen der thieriſchen Koͤrper, und bey ſo vielen andern, die durch Anziehung, Verwandtſchaft u. dergl. veranlaßt werden? Man geht weit uͤber die Grenzen der Phyſik hinaus, wenn man einen ſo kuͤhnen Ausſpruch wagen will, <hi rendition="#b">ſ. Koͤrper</hi> (Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 781.). Auf der andern Seite giebt es Metaphyſiker, die alle Kraͤfte <hi rendition="#b">in der Materie</hi> ſuchen, <hi rendition="#b">ſ. Materie</hi> (Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 153 u. f.). Uns, die wir dies alles unentſchieden laſſen, muͤſſen doch beyde Partheyen zugeben, daß zu jeder Aenderung des Zuſtands eine Urſache gehoͤre, ſie finde nun in oder außer dem Koͤrper ſtatt. So bald wir dieſe Urſache abſondern, bleibt die Vorſtellung des <hi rendition="#b">traͤgen Koͤrpers</hi> zuruͤck, und mehr als dieſes wollen wir mit der ganzen Lehre von Kraft und Traͤgheit nicht ſagen.</p> <p><hi rendition="#b">Euler</hi> (<hi rendition="#aq">Enodatio quaeſtionis, utrum materiae facultas cogitandi tribui poſſit, nec ne; in Opuſc. var. arg. To.<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [394/0404]
daß dieſer große Phyſiker nur ſeinen eignen unrichtigen Begrif, nicht das Phaͤnomen der Traͤgheit ſelbſt, beſtreitet.
Aus dem richtigen Begriſfe folgt auch leicht, daß ſich die Traͤgheit, wie die Menge der Maſſe, verhalte. Das heißt nemlich: In einem Koͤrper von doppelter, dreyfacher Maſſe rc. eben ſo viel Aenderung des Zuſtandes hervorzubringen, iſt doppelt, dreymal ſo viel Kraft rc. noͤthig, als in einem Koͤrper von einfacher Maſſe ein gleiches zu thun. Das iſt nun ganz natuͤrlich, da wir keine andere, als traͤge Maſſe, kennen, alſo die doppelte Maſſe ſo viel ausmacht, als zween Koͤrper, deren jeder die einfache Kraft erfordert u. ſ. w. Daher koͤmmt es auch, daß man den Mittelpunkt der Maſſe da Mittelpunkt der Traͤgheit nennt, wo blos von traͤger, nicht von ſchwerer, Maſſe die Rede iſt, ſ. Mittelpunkt der Maſſe.
Bey dem allen iſt doch die ganze Sache nur allgemeines Phaͤnomen, und mehr als dieſes muß man nie darinn ſuchen. Wir betrachten freylich die Kraͤfte als abgeſondert von der Materie, und in dieſer Betrachtungsart werden jene der thatige Theil, ſo wie dieſe der leidende indifferente, traͤge wird. Aber wer kan wohl behaupten, daß in der wirklichen Welt alle Kraͤfte voͤllig außethalb der Materie liegen, vorzuͤglich bey den Bewegungen der thieriſchen Koͤrper, und bey ſo vielen andern, die durch Anziehung, Verwandtſchaft u. dergl. veranlaßt werden? Man geht weit uͤber die Grenzen der Phyſik hinaus, wenn man einen ſo kuͤhnen Ausſpruch wagen will, ſ. Koͤrper (Th. II. S. 781.). Auf der andern Seite giebt es Metaphyſiker, die alle Kraͤfte in der Materie ſuchen, ſ. Materie (Th. II. S. 153 u. f.). Uns, die wir dies alles unentſchieden laſſen, muͤſſen doch beyde Partheyen zugeben, daß zu jeder Aenderung des Zuſtands eine Urſache gehoͤre, ſie finde nun in oder außer dem Koͤrper ſtatt. So bald wir dieſe Urſache abſondern, bleibt die Vorſtellung des traͤgen Koͤrpers zuruͤck, und mehr als dieſes wollen wir mit der ganzen Lehre von Kraft und Traͤgheit nicht ſagen.
Euler (Enodatio quaeſtionis, utrum materiae facultas cogitandi tribui poſſit, nec ne; in Opuſc. var. arg. To.
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