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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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Betrachtet man also die Kräfte als etwas von der Materie Abgesondertes, so verhält sich diese letztere gegen sie nur leidend (passiva est et iners). Sie folgt blos den Eindrücken der Kräfte, und thut für sich nichts, als daß sie in dem Zustand bleibt, in den jene sie versetzen. Dieses hat die Benennung der Trägheit veranlasset.

Wenn man bey diesem richtigen Begriffe stehen bleibt, den außerdem auch Stewart (Some remarks on the laws of motion and the inertia of matter, in den Edinburgh. Essays. Vol. I. p. 70.) und Leopold Hermann (Comment. de inertia. Halae, 1774. 4.) erläutert haben, so entscheiden sich viele über die vermeinte Kraft der Trägheit sonst aufgeworfene Fragen und geführte Streitigkeiten von selbst. Nollet und Brisson beweisen, daß die Kraft der Trägheit (da man z. B. Gewalt anwenden muß, eine Kugel, die an einem Faden hängt, zu bewegen) nicht vom Widerstande der Luft herrühre, 1. weil sie auch im luftleeren Raume statt sindet, 2. weil Widerstand der Luft selbst Trägheit voraussetzt, 3. weil sich die Trägheit nicht, wie die Oberfläche, verhält. Es ist wohl unnöthig, diese Beweise hier auszuführen. Andere, z. B. Gordon (Physicae experiment. elementa. Erf. 1751. 8. Tom. I. p. 42.), Kratzenstein (Diss. Amolitio vis inertiae et vis repulsivae. Havn. 1770. 8.) halten die Kraft der Trägheit für einerley mit der Schwere. Hiegegen darf man nur bemerken, daß das Gewicht einer Kugel, die am Faden hängt, oder auf einer wagrechten Ebene ruht, ganz vom Faden oder der Ebene getragen wird, mithin als Null anzusehen ist. Wer also Kraft anwendet, diese Kugel zu bewegen, hat es gar nicht mit ihrer Schwere zu thun: er verwendet seine Kraft auf Erzeugung einer Bewegung.

D. Franklin (On the vis inertiae of matter in a letter to Mr. Baxter, in Benj. Franklin's Political, miscellaneous and philosophical pieces. London, 1779. 4. p. 479.) hält die Kraft der Trägheit für ein Unding, weil alles eben so erfolgen müßte, wie jetzt, wenn man auch keine besondere Kraft in den Körpern annähme. Hier ist offenbar,


Betrachtet man alſo die Kraͤfte als etwas von der Materie Abgeſondertes, ſo verhaͤlt ſich dieſe letztere gegen ſie nur leidend (paſſiva eſt et iners). Sie folgt blos den Eindruͤcken der Kraͤfte, und thut fuͤr ſich nichts, als daß ſie in dem Zuſtand bleibt, in den jene ſie verſetzen. Dieſes hat die Benennung der Traͤgheit veranlaſſet.

Wenn man bey dieſem richtigen Begriffe ſtehen bleibt, den außerdem auch Stewart (Some remarks on the laws of motion and the inertia of matter, in den Edinburgh. Eſſays. Vol. I. p. 70.) und Leopold Hermann (Comment. de inertia. Halae, 1774. 4.) erlaͤutert haben, ſo entſcheiden ſich viele uͤber die vermeinte Kraft der Traͤgheit ſonſt aufgeworfene Fragen und gefuͤhrte Streitigkeiten von ſelbſt. Nollet und Briſſon beweiſen, daß die Kraft der Traͤgheit (da man z. B. Gewalt anwenden muß, eine Kugel, die an einem Faden haͤngt, zu bewegen) nicht vom Widerſtande der Luft herruͤhre, 1. weil ſie auch im luftleeren Raume ſtatt ſindet, 2. weil Widerſtand der Luft ſelbſt Traͤgheit vorausſetzt, 3. weil ſich die Traͤgheit nicht, wie die Oberflaͤche, verhaͤlt. Es iſt wohl unnoͤthig, dieſe Beweiſe hier auszufuͤhren. Andere, z. B. Gordon (Phyſicae experiment. elementa. Erf. 1751. 8. Tom. I. p. 42.), Kratzenſtein (Diſſ. Amolitio vis inertiae et vis repulſivae. Havn. 1770. 8.) halten die Kraft der Traͤgheit fuͤr einerley mit der Schwere. Hiegegen darf man nur bemerken, daß das Gewicht einer Kugel, die am Faden haͤngt, oder auf einer wagrechten Ebene ruht, ganz vom Faden oder der Ebene getragen wird, mithin als Null anzuſehen iſt. Wer alſo Kraft anwendet, dieſe Kugel zu bewegen, hat es gar nicht mit ihrer Schwere zu thun: er verwendet ſeine Kraft auf Erzeugung einer Bewegung.

D. Franklin (On the vis inertiae of matter in a letter to Mr. Baxter, in Benj. Franklin's Political, miſcellaneous and philoſophical pieces. London, 1779. 4. p. 479.) haͤlt die Kraft der Traͤgheit fuͤr ein Unding, weil alles eben ſo erfolgen muͤßte, wie jetzt, wenn man auch keine beſondere Kraft in den Koͤrpern annaͤhme. Hier iſt offenbar,

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[393/0403] Betrachtet man alſo die Kraͤfte als etwas von der Materie Abgeſondertes, ſo verhaͤlt ſich dieſe letztere gegen ſie nur leidend (paſſiva eſt et iners). Sie folgt blos den Eindruͤcken der Kraͤfte, und thut fuͤr ſich nichts, als daß ſie in dem Zuſtand bleibt, in den jene ſie verſetzen. Dieſes hat die Benennung der Traͤgheit veranlaſſet. Wenn man bey dieſem richtigen Begriffe ſtehen bleibt, den außerdem auch Stewart (Some remarks on the laws of motion and the inertia of matter, in den Edinburgh. Eſſays. Vol. I. p. 70.) und Leopold Hermann (Comment. de inertia. Halae, 1774. 4.) erlaͤutert haben, ſo entſcheiden ſich viele uͤber die vermeinte Kraft der Traͤgheit ſonſt aufgeworfene Fragen und gefuͤhrte Streitigkeiten von ſelbſt. Nollet und Briſſon beweiſen, daß die Kraft der Traͤgheit (da man z. B. Gewalt anwenden muß, eine Kugel, die an einem Faden haͤngt, zu bewegen) nicht vom Widerſtande der Luft herruͤhre, 1. weil ſie auch im luftleeren Raume ſtatt ſindet, 2. weil Widerſtand der Luft ſelbſt Traͤgheit vorausſetzt, 3. weil ſich die Traͤgheit nicht, wie die Oberflaͤche, verhaͤlt. Es iſt wohl unnoͤthig, dieſe Beweiſe hier auszufuͤhren. Andere, z. B. Gordon (Phyſicae experiment. elementa. Erf. 1751. 8. Tom. I. p. 42.), Kratzenſtein (Diſſ. Amolitio vis inertiae et vis repulſivae. Havn. 1770. 8.) halten die Kraft der Traͤgheit fuͤr einerley mit der Schwere. Hiegegen darf man nur bemerken, daß das Gewicht einer Kugel, die am Faden haͤngt, oder auf einer wagrechten Ebene ruht, ganz vom Faden oder der Ebene getragen wird, mithin als Null anzuſehen iſt. Wer alſo Kraft anwendet, dieſe Kugel zu bewegen, hat es gar nicht mit ihrer Schwere zu thun: er verwendet ſeine Kraft auf Erzeugung einer Bewegung. D. Franklin (On the vis inertiae of matter in a letter to Mr. Baxter, in Benj. Franklin's Political, miſcellaneous and philoſophical pieces. London, 1779. 4. p. 479.) haͤlt die Kraft der Traͤgheit fuͤr ein Unding, weil alles eben ſo erfolgen muͤßte, wie jetzt, wenn man auch keine beſondere Kraft in den Koͤrpern annaͤhme. Hier iſt offenbar,

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/403>, abgerufen am 22.11.2024.