Füße abbilden. Wir haben gelernt und sind gewohnt, das für unten zu halten, was sich an diesem Orte der Netzhaut abbildet, oder die hier befindlichen Nerven rührt, weil uns das Gefühl belehrt hat, daß wir die Hände nach den Füssen zu ausstrecken müssen, wenn wir es erreichen wollen. Wäre das Auge so gebaut, daß das Bild aufrecht stünde, so würde dies im Sehen selbst nicht den geringsten Unterschied machen. Die untern Theile würden sich zwar auf andern Stellen der Netzhaut abbilden und andere Nervenspitzen rühren, als bey der jetzigen Lage des Bildes: aber es würde daraus blos eine andere Vergesellschaftung der Begriffe entstehen; wir würden lernen das für oben halten, was die obern Nerven der Netzhaut rührte, weil uns das Gefühl belehren würde, daß es vom Erdboden oder von unsern Füßen hinweggekehrt wäre u. s. w.
Kepler (Paralipomena ad Vitellionem, p. 169.), der zuerst die Wirkung des Lichts aufs Auge richtig erklärte, stellt sich vor, wenn die Seele den Stoß des Lichtstrals auf den untern Theil der Netzhaut empfinde, so betrachte sie diesen Stral so, als käme er von oben her, und nehme daher das für den obern Theil der Sache, was sich unten abbilde: oder, wie sich Kepler eigentlich ausdrückt, der wirkende Theil werde dem leidenden gerade gegenüber empfunden. Descartes (Dioptr. Cap. VI. §. 10.) erläutert dies durch das Beyspiel eines Blinden, der zween einander durchkreuzende Stäbe in den Händen hält, und damit das obere und untere Ende einer aufgerichteten Sache befühlt; dieser würde das für das obere Ende halten, was er mit dem in der untern Hand befindlichen Stabe berührte. Man kan diese Erklärung Keplers und Descartes allenfalls gelten lassen, wenn man nur dabey bemerkt, daß dieses Urtheil über die Stellen nicht auf einer natürlichen Nothwendigkeit beruht, sondern erst durch Vergleichung mit dem Gefühl gebildet wird; aber ohne diese Bemerkung wäre die Auflösung unzulänglich. Herr Kästner (Hamb. Magazin, B. VIII. St. 4. Art. 8. u. B. IX St. 1. Art. 4.) handelt diese ganze Frage sehr umständlich und gründlich ab. Sie hat keine Schwierigkeit mehr, wenn man bedenkt, daß
Fuͤße abbilden. Wir haben gelernt und ſind gewohnt, das fuͤr unten zu halten, was ſich an dieſem Orte der Netzhaut abbildet, oder die hier befindlichen Nerven ruͤhrt, weil uns das Gefuͤhl belehrt hat, daß wir die Haͤnde nach den Fuͤſſen zu ausſtrecken muͤſſen, wenn wir es erreichen wollen. Waͤre das Auge ſo gebaut, daß das Bild aufrecht ſtuͤnde, ſo wuͤrde dies im Sehen ſelbſt nicht den geringſten Unterſchied machen. Die untern Theile wuͤrden ſich zwar auf andern Stellen der Netzhaut abbilden und andere Nervenſpitzen ruͤhren, als bey der jetzigen Lage des Bildes: aber es wuͤrde daraus blos eine andere Vergeſellſchaftung der Begriffe entſtehen; wir wuͤrden lernen das fuͤr oben halten, was die obern Nerven der Netzhaut ruͤhrte, weil uns das Gefuͤhl belehren wuͤrde, daß es vom Erdboden oder von unſern Fuͤßen hinweggekehrt waͤre u. ſ. w.
Kepler (Paralipomena ad Vitellionem, p. 169.), der zuerſt die Wirkung des Lichts aufs Auge richtig erklaͤrte, ſtellt ſich vor, wenn die Seele den Stoß des Lichtſtrals auf den untern Theil der Netzhaut empfinde, ſo betrachte ſie dieſen Stral ſo, als kaͤme er von oben her, und nehme daher das fuͤr den obern Theil der Sache, was ſich unten abbilde: oder, wie ſich Kepler eigentlich ausdruͤckt, der wirkende Theil werde dem leidenden gerade gegenuͤber empfunden. Descartes (Dioptr. Cap. VI. §. 10.) erlaͤutert dies durch das Beyſpiel eines Blinden, der zween einander durchkreuzende Staͤbe in den Haͤnden haͤlt, und damit das obere und untere Ende einer aufgerichteten Sache befuͤhlt; dieſer wuͤrde das fuͤr das obere Ende halten, was er mit dem in der untern Hand befindlichen Stabe beruͤhrte. Man kan dieſe Erklaͤrung Keplers und Descartes allenfalls gelten laſſen, wenn man nur dabey bemerkt, daß dieſes Urtheil uͤber die Stellen nicht auf einer natuͤrlichen Nothwendigkeit beruht, ſondern erſt durch Vergleichung mit dem Gefuͤhl gebildet wird; aber ohne dieſe Bemerkung waͤre die Aufloͤſung unzulaͤnglich. Herr Kaͤſtner (Hamb. Magazin, B. VIII. St. 4. Art. 8. u. B. IX St. 1. Art. 4.) handelt dieſe ganze Frage ſehr umſtaͤndlich und gruͤndlich ab. Sie hat keine Schwierigkeit mehr, wenn man bedenkt, daß
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Fuͤße abbilden. Wir haben gelernt und ſind gewohnt, das fuͤr unten zu halten, was ſich an dieſem Orte der Netzhaut abbildet, oder die hier befindlichen Nerven ruͤhrt, weil uns das Gefuͤhl belehrt hat, daß wir die Haͤnde nach den Fuͤſſen zu ausſtrecken muͤſſen, wenn wir es erreichen wollen. Waͤre das Auge ſo gebaut, daß das Bild aufrecht ſtuͤnde, ſo wuͤrde dies im Sehen ſelbſt nicht den geringſten Unterſchied machen. Die untern Theile wuͤrden ſich zwar auf andern Stellen der Netzhaut abbilden und andere Nervenſpitzen ruͤhren, als bey der jetzigen Lage des Bildes: aber es wuͤrde daraus blos eine andere Vergeſellſchaftung der Begriffe entſtehen; wir wuͤrden lernen das fuͤr oben halten, was die obern Nerven der Netzhaut ruͤhrte, weil uns das Gefuͤhl belehren wuͤrde, daß es vom Erdboden oder von unſern Fuͤßen hinweggekehrt waͤre u. ſ. w.</p><p><hirendition="#b">Kepler</hi> (<hirendition="#aq">Paralipomena ad Vitellionem, p. 169.</hi>), der zuerſt die Wirkung des Lichts aufs Auge richtig erklaͤrte, ſtellt ſich vor, wenn die Seele den Stoß des Lichtſtrals auf den untern Theil der Netzhaut empfinde, ſo betrachte ſie dieſen Stral ſo, als kaͤme er von oben her, und nehme daher das fuͤr den obern Theil der Sache, was ſich unten abbilde: oder, wie ſich <hirendition="#b">Kepler</hi> eigentlich ausdruͤckt, der wirkende Theil werde dem leidenden gerade gegenuͤber empfunden. <hirendition="#b">Descartes</hi> (<hirendition="#aq">Dioptr. Cap. VI. §. 10.</hi>) erlaͤutert dies durch das Beyſpiel eines Blinden, der zween einander durchkreuzende Staͤbe in den Haͤnden haͤlt, und damit das obere und untere Ende einer aufgerichteten Sache befuͤhlt; dieſer wuͤrde das fuͤr das obere Ende halten, was er mit dem in der untern Hand befindlichen Stabe beruͤhrte. Man kan dieſe Erklaͤrung Keplers und Descartes allenfalls gelten laſſen, wenn man nur dabey bemerkt, daß dieſes Urtheil uͤber die Stellen nicht auf einer natuͤrlichen Nothwendigkeit beruht, ſondern erſt durch Vergleichung mit dem Gefuͤhl gebildet wird; aber ohne dieſe Bemerkung waͤre die Aufloͤſung unzulaͤnglich. Herr <hirendition="#b">Kaͤſtner</hi> (Hamb. Magazin, B. <hirendition="#aq">VIII.</hi> St. 4. Art. 8. u. B. <hirendition="#aq">IX</hi> St. 1. Art. 4.) handelt dieſe ganze Frage ſehr umſtaͤndlich und gruͤndlich ab. Sie hat keine Schwierigkeit mehr, wenn man bedenkt, daß<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
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Fuͤße abbilden. Wir haben gelernt und ſind gewohnt, das fuͤr unten zu halten, was ſich an dieſem Orte der Netzhaut abbildet, oder die hier befindlichen Nerven ruͤhrt, weil uns das Gefuͤhl belehrt hat, daß wir die Haͤnde nach den Fuͤſſen zu ausſtrecken muͤſſen, wenn wir es erreichen wollen. Waͤre das Auge ſo gebaut, daß das Bild aufrecht ſtuͤnde, ſo wuͤrde dies im Sehen ſelbſt nicht den geringſten Unterſchied machen. Die untern Theile wuͤrden ſich zwar auf andern Stellen der Netzhaut abbilden und andere Nervenſpitzen ruͤhren, als bey der jetzigen Lage des Bildes: aber es wuͤrde daraus blos eine andere Vergeſellſchaftung der Begriffe entſtehen; wir wuͤrden lernen das fuͤr oben halten, was die obern Nerven der Netzhaut ruͤhrte, weil uns das Gefuͤhl belehren wuͤrde, daß es vom Erdboden oder von unſern Fuͤßen hinweggekehrt waͤre u. ſ. w.
Kepler (Paralipomena ad Vitellionem, p. 169.), der zuerſt die Wirkung des Lichts aufs Auge richtig erklaͤrte, ſtellt ſich vor, wenn die Seele den Stoß des Lichtſtrals auf den untern Theil der Netzhaut empfinde, ſo betrachte ſie dieſen Stral ſo, als kaͤme er von oben her, und nehme daher das fuͤr den obern Theil der Sache, was ſich unten abbilde: oder, wie ſich Kepler eigentlich ausdruͤckt, der wirkende Theil werde dem leidenden gerade gegenuͤber empfunden. Descartes (Dioptr. Cap. VI. §. 10.) erlaͤutert dies durch das Beyſpiel eines Blinden, der zween einander durchkreuzende Staͤbe in den Haͤnden haͤlt, und damit das obere und untere Ende einer aufgerichteten Sache befuͤhlt; dieſer wuͤrde das fuͤr das obere Ende halten, was er mit dem in der untern Hand befindlichen Stabe beruͤhrte. Man kan dieſe Erklaͤrung Keplers und Descartes allenfalls gelten laſſen, wenn man nur dabey bemerkt, daß dieſes Urtheil uͤber die Stellen nicht auf einer natuͤrlichen Nothwendigkeit beruht, ſondern erſt durch Vergleichung mit dem Gefuͤhl gebildet wird; aber ohne dieſe Bemerkung waͤre die Aufloͤſung unzulaͤnglich. Herr Kaͤſtner (Hamb. Magazin, B. VIII. St. 4. Art. 8. u. B. IX St. 1. Art. 4.) handelt dieſe ganze Frage ſehr umſtaͤndlich und gruͤndlich ab. Sie hat keine Schwierigkeit mehr, wenn man bedenkt, daß
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/29>, abgerufen am 22.11.2024.
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