Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Gänge sehr vielmal im Umfange der Spindel enthalten ist, oder wenn man ihr bey einem starken Umfange enge Gänge giebt.

Dagegen wird die Last oder der Widerstand nur um die Weite eines Ganges fortgebracht, indem die Kraft einmal herum, oder durch den Umfang der Spindel, gegangen ist. Daher verhalten sich die Wege, welche Kraft und Last in gleicher Zeit beschreiben, umgekehrt, wie Kraft und Last im Gleichgewichte, und es wird auch hier so viel an Raum und Geschwindigkeit verlohren, als man an Kraft gewinnt.

So wird die Theorie der Schraube insgemein vorgetragen. Freylich ist hiebey viel vorausgesetzt, was in der That so genau nicht statt findet. Die Last wird bey der Schraube auf der Fläche des Ganges gehoben, welche sehr verschiedene Gestalten haben kann, da die Theorie nur das betrachtet, was auf der Linie AQ, Fig. 136., vorgeht. Es läßt sich aber die Fläche eines Schraubengangs nicht so auf die einzige krumme Linie AQ bringen, wie man etwa die schiefe Ebne auf die Betrachtung der einzigen geraden Linie AB, Fig. 130. bringen kann. Eine ebne Fläche, z. B. ein Rechteck, mit der einen Seite um einen Cylinder gewunden, kann nicht mehr eben bleiben, ihre Theile werden so verzogen, daß sie mit der Grundfläche des Cylinders verschiedene Winkel machen; folglich ist der Schraubengang eine krumme Fläche, deren Theile nicht alle einerley Neigungswinkel haben, und daher nicht einerley Verhältniß der Kraft zur Last geben können. Von dieser Gestalt der Schraubengänge handelt Herr Kästner (Ad theoriam cochleae pertinens observatio geometr. in Diss. math. et physic. Altenb. 1771. 4. no 6.). Man hat aber noch bis jetzt keine genaue Theorie der Schraube, bey welcher gehörige Rücksicht hierauf genommen wäre. Ohnedies ist bey dieser Maschine das Reiben so stark, daß man schon darum keine Uebereinstimmung der Erfahrung mit genauern Theorien erwarten kann; daher sich auch die besten mechanischen Schriftsteller begnügen, die gewöhnliche Theorie mit den nöthigen Erinnerungen vorzutragen.


Gaͤnge ſehr vielmal im Umfange der Spindel enthalten iſt, oder wenn man ihr bey einem ſtarken Umfange enge Gaͤnge giebt.

Dagegen wird die Laſt oder der Widerſtand nur um die Weite eines Ganges fortgebracht, indem die Kraft einmal herum, oder durch den Umfang der Spindel, gegangen iſt. Daher verhalten ſich die Wege, welche Kraft und Laſt in gleicher Zeit beſchreiben, umgekehrt, wie Kraft und Laſt im Gleichgewichte, und es wird auch hier ſo viel an Raum und Geſchwindigkeit verlohren, als man an Kraft gewinnt.

So wird die Theorie der Schraube insgemein vorgetragen. Freylich iſt hiebey viel vorausgeſetzt, was in der That ſo genau nicht ſtatt findet. Die Laſt wird bey der Schraube auf der Flaͤche des Ganges gehoben, welche ſehr verſchiedene Geſtalten haben kann, da die Theorie nur das betrachtet, was auf der Linie AQ, Fig. 136., vorgeht. Es laͤßt ſich aber die Flaͤche eines Schraubengangs nicht ſo auf die einzige krumme Linie AQ bringen, wie man etwa die ſchiefe Ebne auf die Betrachtung der einzigen geraden Linie AB, Fig. 130. bringen kann. Eine ebne Flaͤche, z. B. ein Rechteck, mit der einen Seite um einen Cylinder gewunden, kann nicht mehr eben bleiben, ihre Theile werden ſo verzogen, daß ſie mit der Grundflaͤche des Cylinders verſchiedene Winkel machen; folglich iſt der Schraubengang eine krumme Flaͤche, deren Theile nicht alle einerley Neigungswinkel haben, und daher nicht einerley Verhaͤltniß der Kraft zur Laſt geben koͤnnen. Von dieſer Geſtalt der Schraubengaͤnge handelt Herr Kaͤſtner (Ad theoriam cochleae pertinens obſervatio geometr. in Diſſ. math. et phyſic. Altenb. 1771. 4. no 6.). Man hat aber noch bis jetzt keine genaue Theorie der Schraube, bey welcher gehoͤrige Ruͤckſicht hierauf genommen waͤre. Ohnedies iſt bey dieſer Maſchine das Reiben ſo ſtark, daß man ſchon darum keine Uebereinſtimmung der Erfahrung mit genauern Theorien erwarten kann; daher ſich auch die beſten mechaniſchen Schriftſteller begnuͤgen, die gewoͤhnliche Theorie mit den noͤthigen Erinnerungen vorzutragen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0877" xml:id="P.3.871" n="871"/><lb/>
Ga&#x0364;nge &#x017F;ehr vielmal im Umfange der Spindel enthalten i&#x017F;t, oder wenn man ihr bey einem &#x017F;tarken Umfange enge Ga&#x0364;nge giebt.</p>
            <p>Dagegen wird die La&#x017F;t oder der Wider&#x017F;tand nur um die Weite eines Ganges fortgebracht, indem die Kraft einmal herum, oder durch den Umfang der Spindel, gegangen i&#x017F;t. Daher verhalten &#x017F;ich die Wege, welche Kraft und La&#x017F;t in gleicher Zeit be&#x017F;chreiben, umgekehrt, wie Kraft und La&#x017F;t im Gleichgewichte, und es wird auch hier &#x017F;o viel an Raum und Ge&#x017F;chwindigkeit verlohren, als man an Kraft gewinnt.</p>
            <p>So wird die Theorie der Schraube insgemein vorgetragen. Freylich i&#x017F;t hiebey viel vorausge&#x017F;etzt, was in der That &#x017F;o genau nicht &#x017F;tatt findet. Die La&#x017F;t wird bey der Schraube auf der Fla&#x0364;che des Ganges gehoben, welche &#x017F;ehr ver&#x017F;chiedene Ge&#x017F;talten haben kann, da die Theorie nur das betrachtet, was auf der Linie <hi rendition="#aq">AQ,</hi> Fig. 136., vorgeht. Es la&#x0364;ßt &#x017F;ich aber die <hi rendition="#b">Fla&#x0364;che eines Schraubengangs</hi> nicht &#x017F;o auf die einzige krumme Linie <hi rendition="#aq">AQ</hi> bringen, wie man etwa die <hi rendition="#b">&#x017F;chiefe Ebne</hi> auf die Betrachtung der einzigen geraden Linie <hi rendition="#aq">AB,</hi> Fig. 130. bringen kann. Eine ebne Fla&#x0364;che, z. B. ein Rechteck, mit der einen Seite um einen Cylinder gewunden, kann nicht mehr eben bleiben, ihre Theile werden &#x017F;o verzogen, daß &#x017F;ie mit der Grundfla&#x0364;che des Cylinders ver&#x017F;chiedene Winkel machen; folglich i&#x017F;t der Schraubengang eine krumme Fla&#x0364;che, deren Theile nicht alle einerley Neigungswinkel haben, und daher nicht einerley Verha&#x0364;ltniß der Kraft zur La&#x017F;t geben ko&#x0364;nnen. Von die&#x017F;er Ge&#x017F;talt der Schraubenga&#x0364;nge handelt Herr <hi rendition="#b">Ka&#x0364;&#x017F;tner</hi> <hi rendition="#aq">(Ad theoriam cochleae pertinens ob&#x017F;ervatio geometr. in Di&#x017F;&#x017F;. math. et phy&#x017F;ic. Altenb. 1771. 4. no 6.).</hi> Man hat aber noch bis jetzt keine genaue Theorie der Schraube, bey welcher geho&#x0364;rige Ru&#x0364;ck&#x017F;icht hierauf genommen wa&#x0364;re. Ohnedies i&#x017F;t bey die&#x017F;er Ma&#x017F;chine das Reiben &#x017F;o &#x017F;tark, daß man &#x017F;chon darum keine Ueberein&#x017F;timmung der Erfahrung mit genauern Theorien erwarten kann; daher &#x017F;ich auch die be&#x017F;ten mechani&#x017F;chen Schrift&#x017F;teller begnu&#x0364;gen, die gewo&#x0364;hnliche Theorie mit den no&#x0364;thigen Erinnerungen vorzutragen.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[871/0877] Gaͤnge ſehr vielmal im Umfange der Spindel enthalten iſt, oder wenn man ihr bey einem ſtarken Umfange enge Gaͤnge giebt. Dagegen wird die Laſt oder der Widerſtand nur um die Weite eines Ganges fortgebracht, indem die Kraft einmal herum, oder durch den Umfang der Spindel, gegangen iſt. Daher verhalten ſich die Wege, welche Kraft und Laſt in gleicher Zeit beſchreiben, umgekehrt, wie Kraft und Laſt im Gleichgewichte, und es wird auch hier ſo viel an Raum und Geſchwindigkeit verlohren, als man an Kraft gewinnt. So wird die Theorie der Schraube insgemein vorgetragen. Freylich iſt hiebey viel vorausgeſetzt, was in der That ſo genau nicht ſtatt findet. Die Laſt wird bey der Schraube auf der Flaͤche des Ganges gehoben, welche ſehr verſchiedene Geſtalten haben kann, da die Theorie nur das betrachtet, was auf der Linie AQ, Fig. 136., vorgeht. Es laͤßt ſich aber die Flaͤche eines Schraubengangs nicht ſo auf die einzige krumme Linie AQ bringen, wie man etwa die ſchiefe Ebne auf die Betrachtung der einzigen geraden Linie AB, Fig. 130. bringen kann. Eine ebne Flaͤche, z. B. ein Rechteck, mit der einen Seite um einen Cylinder gewunden, kann nicht mehr eben bleiben, ihre Theile werden ſo verzogen, daß ſie mit der Grundflaͤche des Cylinders verſchiedene Winkel machen; folglich iſt der Schraubengang eine krumme Flaͤche, deren Theile nicht alle einerley Neigungswinkel haben, und daher nicht einerley Verhaͤltniß der Kraft zur Laſt geben koͤnnen. Von dieſer Geſtalt der Schraubengaͤnge handelt Herr Kaͤſtner (Ad theoriam cochleae pertinens obſervatio geometr. in Diſſ. math. et phyſic. Altenb. 1771. 4. no 6.). Man hat aber noch bis jetzt keine genaue Theorie der Schraube, bey welcher gehoͤrige Ruͤckſicht hierauf genommen waͤre. Ohnedies iſt bey dieſer Maſchine das Reiben ſo ſtark, daß man ſchon darum keine Uebereinſtimmung der Erfahrung mit genauern Theorien erwarten kann; daher ſich auch die beſten mechaniſchen Schriftſteller begnuͤgen, die gewoͤhnliche Theorie mit den noͤthigen Erinnerungen vorzutragen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/877
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 871. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/877>, abgerufen am 23.11.2024.