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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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Grundlinie schief liegt, anwenden, und so eine allgemeine Bestätigung des Gesetzes vom Gleichgewichte dreyer Kräfte daraus herleiten könne.

Unmittelbar lehrt Stevins Betrachtung nur den Satz, daß sich zwey Gewichte K und L, Taf. XXI. Fig. 132, die auf den Seiten eines Dreyecks ABC von wagrechter Grundlinie liegen, im Gleichgewichte, wie AC: AB verhalten müssen. Dies fließt aus der vorigen Theorie so. Ihre respectiven Gewichte sind K. sin. C und L. sin B. Diese müssen gleich seyn. Also K:L = sin B:sin C = AC:AB.

Andere mechanische Schriftsteller, z. B. Wolf (Anfangsgr. der Mechanik. Halle, 1716. 8. §. 113. u. f.) gründen die Beweise dieser Theorie auf die Lehre vom Hebel. Sie stellen sich Fig. 130. die Last L in einem Punkte der Linie PM vor, nach deren Richtung sie wirkt, und betrachten den Berührungspunkt Q als den Ruhepunkt eines Winkelhebels, dessen beyde Arme QP und der aus Q auf PM gefällte Perpendikel sind. Hieraus folgt nun nach der Theorie des Hebels, daß sich K und L beym Gleichgewicht, wie die Perpendikel aus Q auf PM und PK verhalten. Diese Perpendikel aber stellen, wenn man PQ für den Sinustotus annimmt, die Sinus der Winkel QPM und QPK vor, deren erster = 0, der zweyte 90° -- u ist. So folgt K:L= sin 0:cos u. Die beyden besondern Sätze in Er. 1 und 2 lassen sich auf diesem Wege sehr leicht, und ohne alle Betrachtung trigonometrischer Linien erweisen. Aber die Vorstellung, daß Q der Ruhepunkt eines Winkelhebels sey, hat etwas Erzwungenes. Sie ist für die Fälle, wo der Körper die Fläche AB in mehrern Punkten berührt, undeutlich, und für die, wo er sie in Q gar nicht berührt, unnatürlich.

In der Ausübung macht das Reiben beträchtliche Ausnahmen von dieser Theorie. Es fällt zwar größtentheils weg, wenn der Körper P eine Kugel oder Walze ist, weil er sich alsdann auf der Fläche nicht schiebt, sondern rollet, s. Reiben. In andern Fällen aber, z. B. wenn er ein Parallelepipedum ist, richtet sich sein Reiben nach der


Grundlinie ſchief liegt, anwenden, und ſo eine allgemeine Beſtaͤtigung des Geſetzes vom Gleichgewichte dreyer Kraͤfte daraus herleiten koͤnne.

Unmittelbar lehrt Stevins Betrachtung nur den Satz, daß ſich zwey Gewichte K und L, Taf. XXI. Fig. 132, die auf den Seiten eines Dreyecks ABC von wagrechter Grundlinie liegen, im Gleichgewichte, wie AC: AB verhalten muͤſſen. Dies fließt aus der vorigen Theorie ſo. Ihre reſpectiven Gewichte ſind K. ſin. C und L. ſin B. Dieſe muͤſſen gleich ſeyn. Alſo K:L = ſin B:ſin C = AC:AB.

Andere mechaniſche Schriftſteller, z. B. Wolf (Anfangsgr. der Mechanik. Halle, 1716. 8. §. 113. u. f.) gruͤnden die Beweiſe dieſer Theorie auf die Lehre vom Hebel. Sie ſtellen ſich Fig. 130. die Laſt L in einem Punkte der Linie PM vor, nach deren Richtung ſie wirkt, und betrachten den Beruͤhrungspunkt Q als den Ruhepunkt eines Winkelhebels, deſſen beyde Arme QP und der aus Q auf PM gefaͤllte Perpendikel ſind. Hieraus folgt nun nach der Theorie des Hebels, daß ſich K und L beym Gleichgewicht, wie die Perpendikel aus Q auf PM und PK verhalten. Dieſe Perpendikel aber ſtellen, wenn man PQ fuͤr den Sinustotus annimmt, die Sinus der Winkel QPM und QPK vor, deren erſter = 0, der zweyte 90° — u iſt. So folgt K:L= ſin 0:coſ u. Die beyden beſondern Saͤtze in Er. 1 und 2 laſſen ſich auf dieſem Wege ſehr leicht, und ohne alle Betrachtung trigonometriſcher Linien erweiſen. Aber die Vorſtellung, daß Q der Ruhepunkt eines Winkelhebels ſey, hat etwas Erzwungenes. Sie iſt fuͤr die Faͤlle, wo der Koͤrper die Flaͤche AB in mehrern Punkten beruͤhrt, undeutlich, und fuͤr die, wo er ſie in Q gar nicht beruͤhrt, unnatuͤrlich.

In der Ausuͤbung macht das Reiben betraͤchtliche Ausnahmen von dieſer Theorie. Es faͤllt zwar groͤßtentheils weg, wenn der Koͤrper P eine Kugel oder Walze iſt, weil er ſich alsdann auf der Flaͤche nicht ſchiebt, ſondern rollet, ſ. Reiben. In andern Faͤllen aber, z. B. wenn er ein Parallelepipedum iſt, richtet ſich ſein Reiben nach der

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[838/0844] Grundlinie ſchief liegt, anwenden, und ſo eine allgemeine Beſtaͤtigung des Geſetzes vom Gleichgewichte dreyer Kraͤfte daraus herleiten koͤnne. Unmittelbar lehrt Stevins Betrachtung nur den Satz, daß ſich zwey Gewichte K und L, Taf. XXI. Fig. 132, die auf den Seiten eines Dreyecks ABC von wagrechter Grundlinie liegen, im Gleichgewichte, wie AC: AB verhalten muͤſſen. Dies fließt aus der vorigen Theorie ſo. Ihre reſpectiven Gewichte ſind K. ſin. C und L. ſin B. Dieſe muͤſſen gleich ſeyn. Alſo K:L = ſin B:ſin C = AC:AB. Andere mechaniſche Schriftſteller, z. B. Wolf (Anfangsgr. der Mechanik. Halle, 1716. 8. §. 113. u. f.) gruͤnden die Beweiſe dieſer Theorie auf die Lehre vom Hebel. Sie ſtellen ſich Fig. 130. die Laſt L in einem Punkte der Linie PM vor, nach deren Richtung ſie wirkt, und betrachten den Beruͤhrungspunkt Q als den Ruhepunkt eines Winkelhebels, deſſen beyde Arme QP und der aus Q auf PM gefaͤllte Perpendikel ſind. Hieraus folgt nun nach der Theorie des Hebels, daß ſich K und L beym Gleichgewicht, wie die Perpendikel aus Q auf PM und PK verhalten. Dieſe Perpendikel aber ſtellen, wenn man PQ fuͤr den Sinustotus annimmt, die Sinus der Winkel QPM und QPK vor, deren erſter = 0, der zweyte 90° — u iſt. So folgt K:L= ſin 0:coſ u. Die beyden beſondern Saͤtze in Er. 1 und 2 laſſen ſich auf dieſem Wege ſehr leicht, und ohne alle Betrachtung trigonometriſcher Linien erweiſen. Aber die Vorſtellung, daß Q der Ruhepunkt eines Winkelhebels ſey, hat etwas Erzwungenes. Sie iſt fuͤr die Faͤlle, wo der Koͤrper die Flaͤche AB in mehrern Punkten beruͤhrt, undeutlich, und fuͤr die, wo er ſie in Q gar nicht beruͤhrt, unnatuͤrlich. In der Ausuͤbung macht das Reiben betraͤchtliche Ausnahmen von dieſer Theorie. Es faͤllt zwar groͤßtentheils weg, wenn der Koͤrper P eine Kugel oder Walze iſt, weil er ſich alsdann auf der Flaͤche nicht ſchiebt, ſondern rollet, ſ. Reiben. In andern Faͤllen aber, z. B. wenn er ein Parallelepipedum iſt, richtet ſich ſein Reiben nach der

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 838. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/844>, abgerufen am 10.05.2024.