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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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den Händen Newtons, dessen große Verdienste um diese Wissenschaft an mehrern Stellen dieses Wörterbuchs, besonders bey den Worten Licht, Sarben, Brechbarkeit, Attraction, Gravitation, Mechanik, Perturbationen, umständlicher angeführt worden sind. Seine vortrefliche Methode zu philosophiren, wobey er ganz der Erfahrung folgte, und alle Hypothesen vermied (s. Hypothesen, Phänomene), verschafte zwar weniger Erklärungen aus den Ursachen, leitete aber desto mehr aus erwiesenen und zum Theil nen erfundenen Naturgesetzen ab. Dadurch ward von dem Gebiete der Physik der große hypothetische Theil abgeschnitten, hingegen der Umfang der unbezweifelten Thatsachen und Gesetze ansehnlich erweitert und im schönsten Zusammenhange dargestellt. Dies alles geschah blos durch Erfahrungen, aber mit Hülfe der erhabensten Geometrie, daher auch Newtons Werke, zumal bey ihrer gedrängten Kürze, einen in der höhern Mathematik sehr geübten Leser erfordern. Auch haben die größten Mathematiker der folgenden Zeiten, besonders die Bernoulli und Euler, bey ihren Untersuchungen immer Newtons Sätze zum Grunde legen müssen, so sehr sie auch in den meisten Stücken dem Systeme und der Denkungsart des Descartes ergeben waren. Newtons Entdeckungen stehen so fest, als die Wahrheit selbst, und haben nichts von der Zeit und dem gewöhnlichen Wechsel der Meinungen zu fürchten. Ihr großer Urheber (geb. 1642, gest. 1726.) verdient ganz den erhabnen Lobspruch, den Pope ihm und seinen Entdeckungen beylegt: Die Natur und ihre Gesetze lagen in Nacht, Gott sprach: Newton werde, und es ward Licht.

Bey allem Beyfall der Kenner fand doch das newtonische System noch vielen Widerspruch. Die cartesianische Physik hatte sich durch ihren Sieg über die Aristoteliker in so großes Ansehen gesetzt, und erklärte so viel, daß man sehr ungern daran gieng, den vollen Raum, die subtile Materie und die Wirbel aufzugeben, und dagegen bey Kräften und Gesetzen stehen zu bleiben, von deren Ursachen sich weiter keine Rechenschaft geben ließ. Bis zur Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts blieben noch viele große Naturforscher,


den Haͤnden Newtons, deſſen große Verdienſte um dieſe Wiſſenſchaft an mehrern Stellen dieſes Woͤrterbuchs, beſonders bey den Worten Licht, Sarben, Brechbarkeit, Attraction, Gravitation, Mechanik, Perturbationen, umſtaͤndlicher angefuͤhrt worden ſind. Seine vortrefliche Methode zu philoſophiren, wobey er ganz der Erfahrung folgte, und alle Hypotheſen vermied (ſ. Hypotheſen, Phaͤnomene), verſchafte zwar weniger Erklaͤrungen aus den Urſachen, leitete aber deſto mehr aus erwieſenen und zum Theil nen erfundenen Naturgeſetzen ab. Dadurch ward von dem Gebiete der Phyſik der große hypothetiſche Theil abgeſchnitten, hingegen der Umfang der unbezweifelten Thatſachen und Geſetze anſehnlich erweitert und im ſchoͤnſten Zuſammenhange dargeſtellt. Dies alles geſchah blos durch Erfahrungen, aber mit Huͤlfe der erhabenſten Geometrie, daher auch Newtons Werke, zumal bey ihrer gedraͤngten Kuͤrze, einen in der hoͤhern Mathematik ſehr geuͤbten Leſer erfordern. Auch haben die groͤßten Mathematiker der folgenden Zeiten, beſonders die Bernoulli und Euler, bey ihren Unterſuchungen immer Newtons Saͤtze zum Grunde legen muͤſſen, ſo ſehr ſie auch in den meiſten Stuͤcken dem Syſteme und der Denkungsart des Descartes ergeben waren. Newtons Entdeckungen ſtehen ſo feſt, als die Wahrheit ſelbſt, und haben nichts von der Zeit und dem gewoͤhnlichen Wechſel der Meinungen zu fuͤrchten. Ihr großer Urheber (geb. 1642, geſt. 1726.) verdient ganz den erhabnen Lobſpruch, den Pope ihm und ſeinen Entdeckungen beylegt: Die Natur und ihre Geſetze lagen in Nacht, Gott ſprach: Newton werde, und es ward Licht.

Bey allem Beyfall der Kenner fand doch das newtoniſche Syſtem noch vielen Widerſpruch. Die carteſianiſche Phyſik hatte ſich durch ihren Sieg uͤber die Ariſtoteliker in ſo großes Anſehen geſetzt, und erklaͤrte ſo viel, daß man ſehr ungern daran gieng, den vollen Raum, die ſubtile Materie und die Wirbel aufzugeben, und dagegen bey Kraͤften und Geſetzen ſtehen zu bleiben, von deren Urſachen ſich weiter keine Rechenſchaft geben ließ. Bis zur Mitte des gegenwaͤrtigen Jahrhunderts blieben noch viele große Naturforſcher,

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[503/0509] den Haͤnden Newtons, deſſen große Verdienſte um dieſe Wiſſenſchaft an mehrern Stellen dieſes Woͤrterbuchs, beſonders bey den Worten Licht, Sarben, Brechbarkeit, Attraction, Gravitation, Mechanik, Perturbationen, umſtaͤndlicher angefuͤhrt worden ſind. Seine vortrefliche Methode zu philoſophiren, wobey er ganz der Erfahrung folgte, und alle Hypotheſen vermied (ſ. Hypotheſen, Phaͤnomene), verſchafte zwar weniger Erklaͤrungen aus den Urſachen, leitete aber deſto mehr aus erwieſenen und zum Theil nen erfundenen Naturgeſetzen ab. Dadurch ward von dem Gebiete der Phyſik der große hypothetiſche Theil abgeſchnitten, hingegen der Umfang der unbezweifelten Thatſachen und Geſetze anſehnlich erweitert und im ſchoͤnſten Zuſammenhange dargeſtellt. Dies alles geſchah blos durch Erfahrungen, aber mit Huͤlfe der erhabenſten Geometrie, daher auch Newtons Werke, zumal bey ihrer gedraͤngten Kuͤrze, einen in der hoͤhern Mathematik ſehr geuͤbten Leſer erfordern. Auch haben die groͤßten Mathematiker der folgenden Zeiten, beſonders die Bernoulli und Euler, bey ihren Unterſuchungen immer Newtons Saͤtze zum Grunde legen muͤſſen, ſo ſehr ſie auch in den meiſten Stuͤcken dem Syſteme und der Denkungsart des Descartes ergeben waren. Newtons Entdeckungen ſtehen ſo feſt, als die Wahrheit ſelbſt, und haben nichts von der Zeit und dem gewoͤhnlichen Wechſel der Meinungen zu fuͤrchten. Ihr großer Urheber (geb. 1642, geſt. 1726.) verdient ganz den erhabnen Lobſpruch, den Pope ihm und ſeinen Entdeckungen beylegt: Die Natur und ihre Geſetze lagen in Nacht, Gott ſprach: Newton werde, und es ward Licht. Bey allem Beyfall der Kenner fand doch das newtoniſche Syſtem noch vielen Widerſpruch. Die carteſianiſche Phyſik hatte ſich durch ihren Sieg uͤber die Ariſtoteliker in ſo großes Anſehen geſetzt, und erklaͤrte ſo viel, daß man ſehr ungern daran gieng, den vollen Raum, die ſubtile Materie und die Wirbel aufzugeben, und dagegen bey Kraͤften und Geſetzen ſtehen zu bleiben, von deren Urſachen ſich weiter keine Rechenſchaft geben ließ. Bis zur Mitte des gegenwaͤrtigen Jahrhunderts blieben noch viele große Naturforſcher,

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/509>, abgerufen am 22.11.2024.