Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Da es gewisse Körper giebt, die man verschiedener Eigenschaften wegen zu mehrern Naturreichen zugleich zählen könnte, wie z. B. die Corallengewächse durch alle drey Reiche versetzt worden sind, ehe sie ihren bestimmten Platz im Thierreiche behauptet haben, so ist von einigen Naturforschern, als von Münchhausen (Des Hausvaters, II. B. 2. St. S. 745.) ein Mittelreich für die Thierpflanzen (Zoophyta et Lithophyta) und Pilze (Fungi) angenommen worden. Man hat dies aber nicht nöthig. Denn obgleich die Natur die Vollkommenheiten der Geschöpfe in so feinen Abstufungen zunehmen läßt, daß es schwer wird, die Grenzen der Naturreiche mit völliger Bestimmtheit zu ziehen, so sind doch der organische Bau und die Empfindlichkeit genugsam entscheidende Kennzeichen, nach welchen sich jedem natürlichen Körper sein Platz in einem der drey bekannten Reiche anweisen läßt. So gehören die Thierpflanzen wegen ihrer Empfindlichkeit zu den Thieren, und würden daher schicklicher Pflanzthiere heissen, die Pilze hingegen sind wegen des Mangels der Empfindung zu den Pflanzen zu zählen. Zu den letztern gehören auch die Mimosa sensitiva, die Dionaea muscipula, Averrhoa carambola, u. a., deren Leben und Bewegung sich bisweilen in einem hohen, an Empfindung sehr nahe grenzenden Grade, äußert. Es liegt aber in dieser Pflanzenbewegung nichts einem Unterscheidungsvermögen und einer willkührlichen Bewegung ähnliches. Die Dionaea zieht ihr Blatt zusammen, es mag dasselbe von einem Holze, Feder u. dgl. oder von einer Fliege berührt werden: bey dem Polypen aber unterscheidet sich die Bewegung seiner Arme nach etwas, das ihm zur Nahrung dient, sehr merklich von der Bewegung bey Berührung anderer Dinge. Bonnet (Contemplation de la nature. Amsterdam, 1764. 8.) hat diese Unterschiede und Verbindungen der natürlichen Körper sehr gut beschrieben.

Andere haben zu dem Umfange der Naturgeschichte, Beschreibungen und Classificationen einfacherer Stoffe, z. B. verschiedner Gattungen des Wassers, der Luft u. s. w. gezogen. So nimmt Wallerius (Hydrologia, Stockh. 1748. 8.) ein Wasserreich, Denso (J. G. Wallerius Hydrologie,


Da es gewiſſe Koͤrper giebt, die man verſchiedener Eigenſchaften wegen zu mehrern Naturreichen zugleich zaͤhlen koͤnnte, wie z. B. die Corallengewaͤchſe durch alle drey Reiche verſetzt worden ſind, ehe ſie ihren beſtimmten Platz im Thierreiche behauptet haben, ſo iſt von einigen Naturforſchern, als von Muͤnchhauſen (Des Hausvaters, II. B. 2. St. S. 745.) ein Mittelreich fuͤr die Thierpflanzen (Zoophyta et Lithophyta) und Pilze (Fungi) angenommen worden. Man hat dies aber nicht noͤthig. Denn obgleich die Natur die Vollkommenheiten der Geſchoͤpfe in ſo feinen Abſtufungen zunehmen laͤßt, daß es ſchwer wird, die Grenzen der Naturreiche mit voͤlliger Beſtimmtheit zu ziehen, ſo ſind doch der organiſche Bau und die Empfindlichkeit genugſam entſcheidende Kennzeichen, nach welchen ſich jedem natuͤrlichen Koͤrper ſein Platz in einem der drey bekannten Reiche anweiſen laͤßt. So gehoͤren die Thierpflanzen wegen ihrer Empfindlichkeit zu den Thieren, und wuͤrden daher ſchicklicher Pflanzthiere heiſſen, die Pilze hingegen ſind wegen des Mangels der Empfindung zu den Pflanzen zu zaͤhlen. Zu den letztern gehoͤren auch die Mimoſa ſenſitiva, die Dionaea muſcipula, Averrhoa carambola, u. a., deren Leben und Bewegung ſich bisweilen in einem hohen, an Empfindung ſehr nahe grenzenden Grade, aͤußert. Es liegt aber in dieſer Pflanzenbewegung nichts einem Unterſcheidungsvermoͤgen und einer willkuͤhrlichen Bewegung aͤhnliches. Die Dionaea zieht ihr Blatt zuſammen, es mag daſſelbe von einem Holze, Feder u. dgl. oder von einer Fliege beruͤhrt werden: bey dem Polypen aber unterſcheidet ſich die Bewegung ſeiner Arme nach etwas, das ihm zur Nahrung dient, ſehr merklich von der Bewegung bey Beruͤhrung anderer Dinge. Bonnet (Contemplation de la nature. Amſterdam, 1764. 8.) hat dieſe Unterſchiede und Verbindungen der natuͤrlichen Koͤrper ſehr gut beſchrieben.

Andere haben zu dem Umfange der Naturgeſchichte, Beſchreibungen und Claſſificationen einfacherer Stoffe, z. B. verſchiedner Gattungen des Waſſers, der Luft u. ſ. w. gezogen. So nimmt Wallerius (Hydrologia, Stockh. 1748. 8.) ein Waſſerreich, Denſo (J. G. Wallerius Hydrologie,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0320" xml:id="P.3.314" n="314"/><lb/>
            </p>
            <p>Da es gewi&#x017F;&#x017F;e Ko&#x0364;rper giebt, die man ver&#x017F;chiedener Eigen&#x017F;chaften wegen zu mehrern Naturreichen zugleich za&#x0364;hlen ko&#x0364;nnte, wie z. B. die Corallengewa&#x0364;ch&#x017F;e durch alle drey Reiche ver&#x017F;etzt worden &#x017F;ind, ehe &#x017F;ie ihren be&#x017F;timmten Platz im Thierreiche behauptet haben, &#x017F;o i&#x017F;t von einigen Naturfor&#x017F;chern, als <hi rendition="#b">von Mu&#x0364;nchhau&#x017F;en</hi> (Des Hausvaters, <hi rendition="#aq">II.</hi> B. 2. St. S. 745.) ein Mittelreich fu&#x0364;r die Thierpflanzen <hi rendition="#aq">(Zoophyta et Lithophyta)</hi> und Pilze <hi rendition="#aq">(Fungi)</hi> angenommen worden. Man hat dies aber nicht no&#x0364;thig. Denn obgleich die Natur die Vollkommenheiten der Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe in &#x017F;o feinen Ab&#x017F;tufungen zunehmen la&#x0364;ßt, daß es &#x017F;chwer wird, die Grenzen der Naturreiche mit vo&#x0364;lliger Be&#x017F;timmtheit zu ziehen, &#x017F;o &#x017F;ind doch der organi&#x017F;che Bau und die Empfindlichkeit genug&#x017F;am ent&#x017F;cheidende Kennzeichen, nach welchen &#x017F;ich jedem natu&#x0364;rlichen Ko&#x0364;rper &#x017F;ein Platz in einem der drey bekannten Reiche anwei&#x017F;en la&#x0364;ßt. So geho&#x0364;ren die Thierpflanzen wegen ihrer Empfindlichkeit zu den Thieren, und wu&#x0364;rden daher &#x017F;chicklicher <hi rendition="#b">Pflanzthiere</hi> hei&#x017F;&#x017F;en, die Pilze hingegen &#x017F;ind wegen des Mangels der Empfindung zu den Pflanzen zu za&#x0364;hlen. Zu den letztern geho&#x0364;ren auch die <hi rendition="#aq">Mimo&#x017F;a &#x017F;en&#x017F;itiva,</hi> die <hi rendition="#aq">Dionaea mu&#x017F;cipula, Averrhoa carambola,</hi> u. a., deren Leben und Bewegung &#x017F;ich bisweilen in einem hohen, an Empfindung &#x017F;ehr nahe grenzenden Grade, a&#x0364;ußert. Es liegt aber in die&#x017F;er Pflanzenbewegung nichts einem Unter&#x017F;cheidungsvermo&#x0364;gen und einer willku&#x0364;hrlichen Bewegung a&#x0364;hnliches. Die <hi rendition="#aq">Dionaea</hi> zieht ihr Blatt zu&#x017F;ammen, es mag da&#x017F;&#x017F;elbe von einem Holze, Feder u. dgl. oder von einer Fliege beru&#x0364;hrt werden: bey dem Polypen aber unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich die Bewegung &#x017F;einer Arme nach etwas, das ihm zur Nahrung dient, &#x017F;ehr merklich von der Bewegung bey Beru&#x0364;hrung anderer Dinge. <hi rendition="#b">Bonnet</hi> <hi rendition="#aq">(Contemplation de la nature. Am&#x017F;terdam, 1764. 8.)</hi> hat die&#x017F;e Unter&#x017F;chiede und Verbindungen der natu&#x0364;rlichen Ko&#x0364;rper &#x017F;ehr gut be&#x017F;chrieben.</p>
            <p>Andere haben zu dem Umfange der Naturge&#x017F;chichte, Be&#x017F;chreibungen und Cla&#x017F;&#x017F;ificationen einfacherer Stoffe, z. B. ver&#x017F;chiedner Gattungen des Wa&#x017F;&#x017F;ers, der Luft u. &#x017F;. w. gezogen. So nimmt <hi rendition="#b">Wallerius</hi> <hi rendition="#aq">(Hydrologia, Stockh. 1748. 8.)</hi> ein <hi rendition="#b">Wa&#x017F;&#x017F;erreich, Den&#x017F;o</hi> (J. G. <hi rendition="#b">Wallerius</hi> Hydrologie,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0320] Da es gewiſſe Koͤrper giebt, die man verſchiedener Eigenſchaften wegen zu mehrern Naturreichen zugleich zaͤhlen koͤnnte, wie z. B. die Corallengewaͤchſe durch alle drey Reiche verſetzt worden ſind, ehe ſie ihren beſtimmten Platz im Thierreiche behauptet haben, ſo iſt von einigen Naturforſchern, als von Muͤnchhauſen (Des Hausvaters, II. B. 2. St. S. 745.) ein Mittelreich fuͤr die Thierpflanzen (Zoophyta et Lithophyta) und Pilze (Fungi) angenommen worden. Man hat dies aber nicht noͤthig. Denn obgleich die Natur die Vollkommenheiten der Geſchoͤpfe in ſo feinen Abſtufungen zunehmen laͤßt, daß es ſchwer wird, die Grenzen der Naturreiche mit voͤlliger Beſtimmtheit zu ziehen, ſo ſind doch der organiſche Bau und die Empfindlichkeit genugſam entſcheidende Kennzeichen, nach welchen ſich jedem natuͤrlichen Koͤrper ſein Platz in einem der drey bekannten Reiche anweiſen laͤßt. So gehoͤren die Thierpflanzen wegen ihrer Empfindlichkeit zu den Thieren, und wuͤrden daher ſchicklicher Pflanzthiere heiſſen, die Pilze hingegen ſind wegen des Mangels der Empfindung zu den Pflanzen zu zaͤhlen. Zu den letztern gehoͤren auch die Mimoſa ſenſitiva, die Dionaea muſcipula, Averrhoa carambola, u. a., deren Leben und Bewegung ſich bisweilen in einem hohen, an Empfindung ſehr nahe grenzenden Grade, aͤußert. Es liegt aber in dieſer Pflanzenbewegung nichts einem Unterſcheidungsvermoͤgen und einer willkuͤhrlichen Bewegung aͤhnliches. Die Dionaea zieht ihr Blatt zuſammen, es mag daſſelbe von einem Holze, Feder u. dgl. oder von einer Fliege beruͤhrt werden: bey dem Polypen aber unterſcheidet ſich die Bewegung ſeiner Arme nach etwas, das ihm zur Nahrung dient, ſehr merklich von der Bewegung bey Beruͤhrung anderer Dinge. Bonnet (Contemplation de la nature. Amſterdam, 1764. 8.) hat dieſe Unterſchiede und Verbindungen der natuͤrlichen Koͤrper ſehr gut beſchrieben. Andere haben zu dem Umfange der Naturgeſchichte, Beſchreibungen und Claſſificationen einfacherer Stoffe, z. B. verſchiedner Gattungen des Waſſers, der Luft u. ſ. w. gezogen. So nimmt Wallerius (Hydrologia, Stockh. 1748. 8.) ein Waſſerreich, Denſo (J. G. Wallerius Hydrologie,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/320
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/320>, abgerufen am 12.05.2024.