Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


das bewegte Glied zurücklegen muß. Dies ist der Fall beym Ergreifen und Umspannen mit der Hand, beym Aufheben der Gegenstände vom Boden, beym Werfen, beym Schreiten, Laufen, Steigen, und überhaupt bey den nothwendigsten Bewegungen. Da nun nach den allgemeinen mechanischen Grundgesetzen jede Ersparung der Kraft nothwendig mit Verlust an Raum und Geschwindigkeit begleitet ist, so konnte bey dem Bau der Muskeln die Schonung der Kraft nicht zum Zwecke gewählt werden, ohne den Muskeln und also dem Körper selbst, eine ungeheure Größe und unschickliche Gestalt zu geben. Um z. B. ein Pfund mit ausgestrecktem Arme, 2 Schuh hoch, durch eine Kraft von 1/4 Pfund zu heben, wäre eine Verkürzung des Muskels um 8 Schuh, und also eine ungeheure Größe desselben nöthig gewesen, welche den ganzen Körper verunstaltet und höchst unbehüslflich und schwer gemacht hätte. Auch hätten alsdann die Lasten nicht mit den äussersten Enden des Körpers, welche die größte Entfernung von den Ruhepunkten haben, ergriffen werden können: vielmehr hätten sich die Muskeln vom Stamme aus bis an die äußersten Enden erstrecken und die Glieder zu Ergreifung der Lasten nahe an die Ruhepunkte versetzt werden müssen. Bey demjenigen Bau des Körpers hingegen, den die Natur wirklich gewählt hat, bewirkt eine sehr geringe Verkürzung des Muskels, welche man an der Gestalt des Körpers kaum gewahr wird, Bewegungen der Glieder durch beträchtliche Räume. So wird z. B. der Arm, durch eine Verkürzung des Deltoides um 2 Zoll, durch einen Halbkreis bewegt, dessen Halbmesser 3 Schuh hält, und weil diese Verkürzung in sehr geringer Zeit geschehen kan, so hängt hievon die große Geschwindigkeit ab, die wir den Körpern durch den Wurf mittheilen können, und welche ganz verlohren gehen würde, wenn die Natur zur Verbindung der Muskeln mit den Knochen eine andere, als diese dritte Art des Hebels, oder den Wurfhebel, s. Hebel, gewählt hätte. Der Hauptzweck, der nicht auf Ueberwältigung großer Lasten, sondern auf schnelle und geschickte Bewegungen der Glieder durch beträchtliche Räume gerichtet war, und wodey die bewegende Kraft selbst in


das bewegte Glied zuruͤcklegen muß. Dies iſt der Fall beym Ergreifen und Umſpannen mit der Hand, beym Aufheben der Gegenſtaͤnde vom Boden, beym Werfen, beym Schreiten, Laufen, Steigen, und uͤberhaupt bey den nothwendigſten Bewegungen. Da nun nach den allgemeinen mechaniſchen Grundgeſetzen jede Erſparung der Kraft nothwendig mit Verluſt an Raum und Geſchwindigkeit begleitet iſt, ſo konnte bey dem Bau der Muſkeln die Schonung der Kraft nicht zum Zwecke gewaͤhlt werden, ohne den Muſkeln und alſo dem Koͤrper ſelbſt, eine ungeheure Groͤße und unſchickliche Geſtalt zu geben. Um z. B. ein Pfund mit ausgeſtrecktem Arme, 2 Schuh hoch, durch eine Kraft von 1/4 Pfund zu heben, waͤre eine Verkuͤrzung des Muſkels um 8 Schuh, und alſo eine ungeheure Groͤße deſſelben noͤthig geweſen, welche den ganzen Koͤrper verunſtaltet und hoͤchſt unbehuͤſlflich und ſchwer gemacht haͤtte. Auch haͤtten alsdann die Laſten nicht mit den aͤuſſerſten Enden des Koͤrpers, welche die groͤßte Entfernung von den Ruhepunkten haben, ergriffen werden koͤnnen: vielmehr haͤtten ſich die Muſkeln vom Stamme aus bis an die aͤußerſten Enden erſtrecken und die Glieder zu Ergreifung der Laſten nahe an die Ruhepunkte verſetzt werden muͤſſen. Bey demjenigen Bau des Koͤrpers hingegen, den die Natur wirklich gewaͤhlt hat, bewirkt eine ſehr geringe Verkuͤrzung des Muſkels, welche man an der Geſtalt des Koͤrpers kaum gewahr wird, Bewegungen der Glieder durch betraͤchtliche Raͤume. So wird z. B. der Arm, durch eine Verkuͤrzung des Deltoides um 2 Zoll, durch einen Halbkreis bewegt, deſſen Halbmeſſer 3 Schuh haͤlt, und weil dieſe Verkuͤrzung in ſehr geringer Zeit geſchehen kan, ſo haͤngt hievon die große Geſchwindigkeit ab, die wir den Koͤrpern durch den Wurf mittheilen koͤnnen, und welche ganz verlohren gehen wuͤrde, wenn die Natur zur Verbindung der Muſkeln mit den Knochen eine andere, als dieſe dritte Art des Hebels, oder den Wurfhebel, ſ. Hebel, gewaͤhlt haͤtte. Der Hauptzweck, der nicht auf Ueberwaͤltigung großer Laſten, ſondern auf ſchnelle und geſchickte Bewegungen der Glieder durch betraͤchtliche Raͤume gerichtet war, und wodey die bewegende Kraft ſelbſt in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0306" xml:id="P.3.300" n="300"/><lb/>
das bewegte Glied zuru&#x0364;cklegen muß. Dies i&#x017F;t der Fall beym Ergreifen und Um&#x017F;pannen mit der Hand, beym Aufheben der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde vom Boden, beym Werfen, beym Schreiten, Laufen, Steigen, und u&#x0364;berhaupt bey den nothwendig&#x017F;ten Bewegungen. Da nun nach den allgemeinen mechani&#x017F;chen Grundge&#x017F;etzen jede Er&#x017F;parung der Kraft nothwendig mit Verlu&#x017F;t an Raum und Ge&#x017F;chwindigkeit begleitet i&#x017F;t, &#x017F;o konnte bey dem Bau der Mu&#x017F;keln die Schonung der Kraft nicht zum Zwecke gewa&#x0364;hlt werden, ohne den Mu&#x017F;keln und al&#x017F;o dem Ko&#x0364;rper &#x017F;elb&#x017F;t, eine ungeheure Gro&#x0364;ße und un&#x017F;chickliche Ge&#x017F;talt zu geben. Um z. B. ein Pfund mit ausge&#x017F;trecktem Arme, 2 Schuh hoch, durch eine Kraft von 1/4 Pfund zu heben, wa&#x0364;re eine Verku&#x0364;rzung des Mu&#x017F;kels um 8 Schuh, und al&#x017F;o eine ungeheure Gro&#x0364;ße de&#x017F;&#x017F;elben no&#x0364;thig gewe&#x017F;en, welche den ganzen Ko&#x0364;rper verun&#x017F;taltet und ho&#x0364;ch&#x017F;t unbehu&#x0364;&#x017F;lflich und &#x017F;chwer gemacht ha&#x0364;tte. Auch ha&#x0364;tten alsdann die La&#x017F;ten nicht mit den a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Enden des Ko&#x0364;rpers, welche die gro&#x0364;ßte Entfernung von den Ruhepunkten haben, ergriffen werden ko&#x0364;nnen: vielmehr ha&#x0364;tten &#x017F;ich die Mu&#x017F;keln vom Stamme aus bis an die a&#x0364;ußer&#x017F;ten Enden er&#x017F;trecken und die Glieder zu Ergreifung der La&#x017F;ten nahe an die Ruhepunkte ver&#x017F;etzt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Bey demjenigen Bau des Ko&#x0364;rpers hingegen, den die Natur wirklich gewa&#x0364;hlt hat, bewirkt eine &#x017F;ehr geringe Verku&#x0364;rzung des Mu&#x017F;kels, welche man an der Ge&#x017F;talt des Ko&#x0364;rpers kaum gewahr wird, Bewegungen der Glieder durch betra&#x0364;chtliche Ra&#x0364;ume. So wird z. B. der Arm, durch eine Verku&#x0364;rzung des Deltoides um 2 Zoll, durch einen Halbkreis bewegt, de&#x017F;&#x017F;en Halbme&#x017F;&#x017F;er 3 Schuh ha&#x0364;lt, und weil die&#x017F;e Verku&#x0364;rzung in &#x017F;ehr geringer Zeit ge&#x017F;chehen kan, &#x017F;o ha&#x0364;ngt hievon die große Ge&#x017F;chwindigkeit ab, die wir den Ko&#x0364;rpern durch den Wurf mittheilen ko&#x0364;nnen, und welche ganz verlohren gehen wu&#x0364;rde, wenn die Natur zur Verbindung der Mu&#x017F;keln mit den Knochen eine andere, als die&#x017F;e dritte Art des Hebels, oder den Wurfhebel, &#x017F;. <hi rendition="#b">Hebel,</hi> gewa&#x0364;hlt ha&#x0364;tte. Der Hauptzweck, der nicht auf Ueberwa&#x0364;ltigung großer La&#x017F;ten, &#x017F;ondern auf &#x017F;chnelle und ge&#x017F;chickte Bewegungen der Glieder durch betra&#x0364;chtliche Ra&#x0364;ume gerichtet war, und wodey die bewegende Kraft &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0306] das bewegte Glied zuruͤcklegen muß. Dies iſt der Fall beym Ergreifen und Umſpannen mit der Hand, beym Aufheben der Gegenſtaͤnde vom Boden, beym Werfen, beym Schreiten, Laufen, Steigen, und uͤberhaupt bey den nothwendigſten Bewegungen. Da nun nach den allgemeinen mechaniſchen Grundgeſetzen jede Erſparung der Kraft nothwendig mit Verluſt an Raum und Geſchwindigkeit begleitet iſt, ſo konnte bey dem Bau der Muſkeln die Schonung der Kraft nicht zum Zwecke gewaͤhlt werden, ohne den Muſkeln und alſo dem Koͤrper ſelbſt, eine ungeheure Groͤße und unſchickliche Geſtalt zu geben. Um z. B. ein Pfund mit ausgeſtrecktem Arme, 2 Schuh hoch, durch eine Kraft von 1/4 Pfund zu heben, waͤre eine Verkuͤrzung des Muſkels um 8 Schuh, und alſo eine ungeheure Groͤße deſſelben noͤthig geweſen, welche den ganzen Koͤrper verunſtaltet und hoͤchſt unbehuͤſlflich und ſchwer gemacht haͤtte. Auch haͤtten alsdann die Laſten nicht mit den aͤuſſerſten Enden des Koͤrpers, welche die groͤßte Entfernung von den Ruhepunkten haben, ergriffen werden koͤnnen: vielmehr haͤtten ſich die Muſkeln vom Stamme aus bis an die aͤußerſten Enden erſtrecken und die Glieder zu Ergreifung der Laſten nahe an die Ruhepunkte verſetzt werden muͤſſen. Bey demjenigen Bau des Koͤrpers hingegen, den die Natur wirklich gewaͤhlt hat, bewirkt eine ſehr geringe Verkuͤrzung des Muſkels, welche man an der Geſtalt des Koͤrpers kaum gewahr wird, Bewegungen der Glieder durch betraͤchtliche Raͤume. So wird z. B. der Arm, durch eine Verkuͤrzung des Deltoides um 2 Zoll, durch einen Halbkreis bewegt, deſſen Halbmeſſer 3 Schuh haͤlt, und weil dieſe Verkuͤrzung in ſehr geringer Zeit geſchehen kan, ſo haͤngt hievon die große Geſchwindigkeit ab, die wir den Koͤrpern durch den Wurf mittheilen koͤnnen, und welche ganz verlohren gehen wuͤrde, wenn die Natur zur Verbindung der Muſkeln mit den Knochen eine andere, als dieſe dritte Art des Hebels, oder den Wurfhebel, ſ. Hebel, gewaͤhlt haͤtte. Der Hauptzweck, der nicht auf Ueberwaͤltigung großer Laſten, ſondern auf ſchnelle und geſchickte Bewegungen der Glieder durch betraͤchtliche Raͤume gerichtet war, und wodey die bewegende Kraft ſelbſt in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/306
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/306>, abgerufen am 12.05.2024.